Zukunft braucht Herkunft

History Communication

Wie gut kennen Unternehmen ihre ­Geschichte? Welche strategischen Vorteile bringt „History Communication“ für die Unternehmenskommunikation? Welche Risiken stehen den positiven Potenzialen gegenüber? Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, um History Communication professionell zu entwickeln? Wie geht man kommunikativ klug mit Jubiläen um? Und mit der Zeit danach? – Oder generell gefragt: Wozu braucht’s eigentlich Firmengeschichte?

History Communication, gelegentlich auch „History Marketing“ oder „Heritage Communication“ genannt, bezeichnet ein Konzept, Geschichte und historische Themen als integrale Bestandteile der Unternehmenskommunikation zu begreifen. Hierbei umfasst das begriffliche Dach von History Communication sowohl Aspekte der Markenbildung und Corporate Identity als auch Aspekte der klassischen Public Relations (CSR, Krisenkommunikation).

Sie ist zwar schon lange kein kommunikatives Mauerblümchen mehr. Doch an der Schnittstelle zwischen Unternehmenskommunikation und Firmenarchiv braucht History Communication in Zukunft in dreierlei Hinsicht ein entschiedenes „Mehr“, um richtig aufzublühen: mehr Aufmerksamkeit der Kommunikationsverantwortlichen, mehr strategisch-konzeptionelle Denke und auch mehr Budget.

Dass es bislang noch nicht zu einem richtigen Aufschwung für diese Spezialdisziplin gekommen ist, mag sicherlich auch an dem teilweise schwachen Image von Unternehmensarchivaren und Firmenhistorikern liegen. Solange Archive „als Tempel der Bildungsbürger“ (Frank Schätzing) wahrgenommen werden und deren Betreiber als angestaubt-konservativ und akademisch gelten, wird es keine hinreichende Akzeptanz für das oben geforderte „Mehr“ geben.

Andererseits braucht es auch bei den Kommunikationsverantwortlichen ein Mehr an Verständnis und Wertschätzung für die Spezifika und Herausforderungen der Firmenarchivare – so es diese Funktion im Unternehmen überhaupt gibt.

Das Firmenarchiv als Basis

Mit einem gut geführten Firmenarchiv – „Das wertvolle Gedächtnis des Unternehmens“ (Evonik) – lässt sich History Communication professionell gestalten. Denn das Archiv ist die Basis oder – wenn man so will – die „Schatzkammer“, mit deren Hilfe History Communication überhaupt geleistet werden kann.

Ohne Archiv lassen sich weder eine Firmen-Chronik noch eine fundierte, also wissenschaftlich korrekte Firmengeschichte schreiben. Ohne historische Fundstücke (wie zum Beispiel Produkte, Werbeanzeigen, Fotografien, Verträge, Urkunden et cetera) lassen sich keine Ausstellungen inszenieren oder Firmenmuseen ausstatten.

Mit anderen Worten: Nur wenn ein hinreichend erschlossenes Archiv existiert – und nicht nur einige unsystematisch verwaltete Akten und Materialien in Umzugskartons – kann man als Unternehmenskommunikator mit der Konzeption von History Communication für die eigene Firma starten.

Strategischer Vorteil

Der Clou von History Communication besteht für Unternehmen darin, sich der eigenen, einmaligen und damit unverwechselbaren Vergangenheit, ihrer „Wurzeln und Werte“ nach Bühler und Dürig bewusst zu werden. Dieser „historische“ USP ist letztlich der Boden, auf dem Firmen ihre Reputation begründen, Marken gestaltet werden, Mitarbeiter ihre Loyalität zur Company entwickeln und Kommunikationsprofis tief verankerte Corporate-Themen finden. Und er ist die Basis für Zukunftsentwürfe im Sinne des deutschen Philosophen Odo Marquard, dessen Credo lautete: „Zukunft braucht Herkunft“.

Initialzündung Firmenjubiläum

Es ist kein Geheimnis, dass ein rundes ­Firmenjubiläum häufig der Auslöser ist, History Communication prinzipiell anzugehen und ihre kommunikativen Potenziale auszuloten. Dagegen ist nichts einzuwenden. Schließlich steht der Kommunikationsabteilung zumeist auch ein Jubiläumsbudget als Surplus zum Jahresetat zur Verfügung, sodass sich dann aufwändigere Projekte (wie zum Beispiel Buch, Ausstellung, Video) finanzieren lassen.

Gleichwohl kommt es beim „Einstielen“ eines Jubiläumsprojekts darauf an, über das Jubeljahr hinauszudenken beziehungsweise zu konzipieren, um History Communication als integralen und dauerhaften Bestandteil in die Unternehmenskommunikation einzubauen.

Wer zum Firmenjubiläum nicht nur seine -geschichte als Buch oder Broschüre veröffentlicht, sondern beispielsweise als mehrteilige Fortsetzungsstory in der Mitarbeiterzeitschrift oder im Intranet, erfüllt diesen nachhaltigen Aspekt gut und richtig. Es geht also letztlich darum, bereits vor dem Jubiläum die Zeit nach dem Jubiläum klug zu planen.

History Communication – Themen und wie man sie findet

Die Palette von möglichen History Communication-Themen ist breit gefächert. Hier kommt es in erster Linie darauf an, unter welchen Aspekten man seine Firmengeschichte betrachten will und welche Quellen und Belege es archivseitig dazu gibt. Folgende Perspektiven lassen sich laut Schug unter anderem unterscheiden:

• Gründungs- und Entwicklungs­geschichte (institutionelle Historie)
• Produkte und Produktnamen (Produkt­historie)
• Region/Standort (topographische His­torie)
• Werte und Legenden (kulturelle Historie)
• Innovationen (F und E-Historie) sowie
• Symbole, Logos, Bilder (Werbe-­His­torie).

Mit Hilfe dieser Kategorien gelingt es, die nötigen Fakten zusammenzutragen und über die Erzählung von (Teil-)Geschichten schließlich zur Gesamtdarstellung der Unternehmenshistorie zu gelangen, die das Heute anschlussfähig an die Herkunft macht.

Chancen und Risiken

Während die großen Chancen von ­History Communication sicherlich in ihren Beiträgen zur Identitätsstiftung im Sinne einer Corporate Identity nach Bühler und Dürig sowie zur Markenbildung eines Unternehmens nach Herbrand und Röhrig liegen, gibt es andererseits auch gravierende Risiken, derer man sich prinzipiell bewusst sein sollte, wenn man mit History Communication professionell beginnt.

Hierbei geht es sowohl um die Verstrickungen im Zusammenhang von zeit- und wirtschaftshistorischen Großthemen wie zum Beispiel die Zwangsarbeiterfrage während der Nazizeit oder die Häftlingsarbeit westdeutscher Unternehmen in der DDR.

Des Weiteren geht es aber auch um (politisch) inkorrektes Verhalten des eigenen Managements in der Vergangenheit. Dabei reicht die Spannweite von schlichter Kriminalität bis hin zu den Grauwerten politisch inkorrekten Verhaltens, mangelnder Umweltsensibilität oder auch unsozialer Haltung nach Schug.

Diese Risiken, von Schug auch „Geschichtsfallen“ genannt, können sich durch unkluges Ignorieren bis hin zu veritablen Kommunikationskrisen ausweiten; während sich durch eine wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung der Firmenhistorie diese Art von Risiken erheblich reduzieren lässt.

Wozu am Ende also History Communication?

Gut gemachte History Communication schafft es, die Retrospektive mit der Zukunftsperspektive eines Unternehmens zu verbinden. Und zwar indem Geschichten erzählt werden (s. pressesprecher „Storytelling“ 06/15) über Produkte, Dienstleistungen und Ideen. Und vor allem über die Menschen, die dahinter stehen.

In den Worten von Odo Marquard: „Denn die Menschen: das sind ihre Geschichten. Geschichten aber muss man erzählen. Das tun die Geisteswissenschaften [und gute Kommunikatoren, der Autor]: sie kompensieren Modernisierungsschäden, indem sie erzählen; und je mehr versachlicht wird, desto mehr – kompensatorisch – muss erzählt werden: sonst sterben die Menschen an narrativer Atrophie.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.

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