Welche Schwerpunkte Siemens in der globalen Medienarbeit setzt

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Herr Martens, Sie leiten die internationalen Media Relations von Siemens und werden gerne als „Pressechef“ tituliert. Inwieweit wird Ihnen diese Bezeichnung gerecht?

Traditionell war diese Funktion bei Siemens so angelegt. Sie hat sich in den vergangenen drei Jahren allerdings stark weiterentwickelt: Die Vorstandskommunikation wurde mit der Pressestelle verschmolzen. Vor einem Jahr kam dann Thought Leadership als weiteres Element hinzu. Ziel ist die Fokussierung der Inhalte, des Agenda Settings und der kontinuierlichen Bespielung der Business-relevanten Themen – bestmöglich vernetzt mit der Medienarbeit und Vorstandspositionierung. Es geht darum, die integrierte Kommunikation und inhaltliche Arbeit zu verstärken. Die Medienarbeit ist dabei weiterhin ein wichtiges Element im Mix.

Siemens hatte als eines der ersten Unternehmen in Deutschland einen Newsroom. Dieser ist also weiterhin im Einsatz?

Der Newsroom ist für uns noch immer hoch relevant. Er ist weit mehr als nur ein physischer Raum, er ist ein Mindset. Es geht um die integrierte und vernetzte Zusammenarbeit entlang der Themen und über alle Kanäle hinweg. Unsere Arbeit im Newsroom hat sich deutlich weiterentwickelt: Durch die Pandemie ist sie überwiegend virtuell geworden. Hinzu kommt: Das Kommunikationsteam ist inzwischen auf sehr viele Standorte verteilt. Allein unser Team mit knapp 50 Personen ist an sechs Standorten tätig. Den Newsroom als Raum gibt es natürlich weiterhin. Von hier aus findet beispielsweise jeden Morgen unser „Hub“ statt, die internationale Lagebesprechung der globalen Kommunikation. Der Newsroom ist damit ein wesentliches Mittel, um Austausch und Kollaboration zu fördern.

Welche Journalisten sind für Siemens besonders wichtig?

Das sind viele verschiedene und das wandelt sich gerade, weil sich unser Unternehmen ja auch sehr stark verändert hat. Wir haben immer noch einen sehr „klassischen“ und wichtigen Stamm an Berichterstattern, der von deutschen und globalen Wirtschafts- und Tagesmedien geprägt ist. Aber nicht nur. Der Kreis erweitert sich um neue Journalistinnen und Journalisten mit Schwerpunkten wie Technologie und Nachhaltigkeit sowie Fachexperten, die frei arbeiten oder sich auf ein Thema konzentrieren. Darunter können auch Podcast-Betreiberinnen und -Betreiber, Blogger oder Influencer sein. Die Influencer Relations sind Teil von Thought Leadership in meinem Team. Hier sind wir natürlich B2B-fokussiert.

Siemens ist eines der führenden deutschen Unternehmen. Ein Traditionskonzern. Wie wichtig ist für die Öffentlichkeitsarbeit der deutsche Markt im Verhältnis zum internationalen Geschäft?

Wir sehen uns als international agierendes Team. Das heißt nicht, dass der deutsche Markt und die Medienlandschaft weniger wichtig geworden sind. Die internationale Koordination und Kollaboration in der Medienarbeit verstärken wir aber ganz bewusst. Siemens war früher ein Konglomerat mit bis zu 16 Geschäftseinheiten. Dadurch war es nicht nötig und möglich, weltweit alles zu steuern. Jetzt sind wir als Technologieunternehmen deutlich fokussierter, mit drei Geschäftseinheiten in der AG, und wollen unsere Arbeit zwischen den Regionen und Geschäftseinheiten bestmöglich verzahnen. Es geht um Kohärenz und Konsistenz. Wir betreiben sehr viel mehr internationale Medienarbeit. Aktuell laufen gleichzeitig vier große Projekte, in denen es um internationale Medienaktivitäten geht.

Wie viele Anfragen bekommen Sie außerhalb von Krisenzeiten im Durchschnitt pro Tag?

Ganz grob gesagt bekommen wir allein in unserem Team jeden Tag bis zu ein Dutzend Anfragen. Das sind nicht nur Medienanfragen, sondern auch solche nach Reden, Fachexperten, Konferenzen, Medienpartnerschaften und vielem mehr. Diese Vielzahl und Vielfalt wollen wir systematisch und professionell bearbeiten, auch in Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Bei uns liegt der Corporate-Bereich. Es gibt zusätzlich noch die Business-Einheiten, die zum Beispiel die Fachpresse bedienen.

Sie sprachen das Thought Leadership an. Wie will Siemens global wahrgenommen werden? Was ist die zentrale Botschaft in der Positionierung?

Das ist relativ einfach zu beantworten: Wir wollen als global führendes Technologieunternehmen wahrgenommen werden. Wir verbinden die reale und die digitale Welt wie keine andere Firma. Mit unseren Produkten, unserer Software und den Services unterstützen wir Kundenbranchen wie Industrie, Infrastruktur, Mobilität und Gesundheit – also das Rückgrat der Wirtschaft. Hier sind wir technologisch führend.

Was sind konkrete Themen, die Sie aktuell pushen und in denen Sie proaktiv nach außen gehen?

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind hier die Oberbegriffe. Bei Nachhaltigkeit ist es die Dekarbonisierung der Industrie, der Infrastruktur und der Mobilität. Dazu kommen Themen wie Ressourceneffizienz und die Zirkularität in Form der Kreislaufwirtschaft, für die wir zahlreiche Technologien anbieten. Bei der Digitalisierung ist es die Verbindung von Hardware und Software. Wir kommen ursprünglich aus dem Hardware-Bereich und sind heute ein führender Anbieter von Software mit sechseinhalb Milliarden Euro Umsatz im Digitalgeschäft. Hier wollen wir Themen frühzeitig besetzen. Nur ein Beispiel: Wir haben den Begriff des industriellen Metaversums gesetzt und geprägt.

Siemens deckt weiterhin diverse Geschäftsfelder ab. In welchen Bereichen ist es Ihnen besonders wichtig, mit Ihren Themen durchzudringen?

Das sind die Technologieaspekte. Für einige Journalisten ist es neu, auf Siemens nicht mehr als ein großes Konglomerat zu blicken, das von Waschmaschinen über Kernkraftwerke bis zu Zügen alles anbietet, sondern sich darauf einzulassen, dass die Siemens AG ein Hightech-Unternehmen ist, in dem Digitalisierung, Daten und Software eine genauso wichtige Rolle einnehmen wie die ursprünglichen Hardware-Themen. Es ist unsere Aufgabe, das Verständnis für unsere neue Geschäftsstrategie und -inhalte zu fördern.

Wie vermitteln Sie diese neuen Inhalte konkret?

Wir haben beispielsweise im vergangenen Herbst in Berlin einen Digital Business Media Day veranstaltet, an dem wir Journalistinnen und Journalisten aus mehr als 20 Ländern Einblicke in unser Digital- und Softwareportfolio gegeben haben. Warum? Weil sie damit bisher wenig Berührungspunkte hatten. Ein Journalist hat vielleicht vorher über unsere Hardware-Themen geschrieben oder war auf einer Pressereise in einem Kraftwerk dabei. Also müssen wir unsere Medienarbeit anpassen und unsere Software- und Digitalangebote erklären.

Der Digital Business Media Day bei Siemens. © Siemens

Der Digital Business Media Day bei Siemens. © Siemens

Wenn Sie morgens den Pressespiegel durchblättern: Welche Storys lesen Sie gerne über Siemens?

Durch einen guten Artikel lernt man etwas Neues, zum Beispiel unbekannte Zusammenhänge oder Einblicke. Natürlich müssen die Fakten stimmen. Qualität ist für mich eine faktisch korrekte, objektive Geschichte, die natürlich auch kritische Aspekte ansprechen kann und soll. Das ist die Grundaufgabe des Journalismus. Die größte Herausforderung in der Medienarbeit ist heute in meinen Augen der thesengetriebene Journalismus. Da rede ich gar nicht von Siemens. Werde ich wirklich „aufgeschlaut“ als Leser? Oder werde ich primär mit Thesen konfrontiert? Wurde etwas „eingeflüstert“? Werde ich mit Framing in eine Richtung geleitet? Mehr Synthese, weniger These – das wäre in Einzelfällen wünschenswert.

Anhand welcher Kennziffern und KPIs messen Sie den Erfolg Ihrer eigenen Arbeit?

Reichweite, Tonalität und Platzierung sind als wichtige Kennziffern immer noch gang und gäbe. Das finde ich auch gar nicht schlimm. Warum möchte ich denn Medienberichterstattung generieren? Weil ich die Reichweite suche. Man muss aufpassen, dass man sich nicht zu sehr verkopft. Ein Bericht über ein Technologiethema oder Werk von Siemens im „Heute-Journal“ ist nach wie vor viel wert, weil er eine hohe Reichweite erzielt.

Auch wenn Siemens nicht so umfangreiches Storytelling betreibt wie beispielsweise BMW, dürften Sie doch deutlich mehr messen – insbesondere im digitalen Bereich.

Wir betreiben auch Storytelling, allerdings für andere Zielgruppen, denn wir sind ein B2B-Unternehmen. Die KPIs definieren und messen wir über alle PESO-Kanäle – Paid, Earned, Shared, Owned – hinweg, zum Beispiel auch für unseren Owned-Channel siemens.com. Wir besprechen im globalen Leitungsteam der Kommunikation jeden Monat sehr ausführlich unser KPI-Dashboard. Das eine ist, sich historische Daten anzuschauen und die Vergangenheit zu verstehen. Das andere: Kann ich durch Analysen auch in die Zukunft blicken, Dinge antizipieren? Kann ich Entscheidungen mit Daten hinterlegen? Wir betreiben Monitoring und Listening zu wichtigen Reputationsthemen. Wenn wir vor kommunikationsstrategischen Entscheidungen stehen, schauen wir in die Daten, um mit deren Hilfe Entscheidungen herbeizuführen, die am Ende ein Mensch trifft. Kernaufgabe von Führungskräften in der Kommunikation ist es weiterhin, am Ende selbst eine Entscheidung zu treffen.

Das klingt, als wären Sie nicht besonders zahlengetrieben.

Wir sind sehr zahlengetrieben und verwenden sehr viel Zeit darauf, Daten zu analysieren, die strategischen Implikationen zu diskutieren und die Zahlen dem Management zur Verfügung zu stellen. Es gibt zu jedem großen Kommunikationsanlass und Thema eine Datenanalyse, die wir mit dem Vorstand teilen und für diesen einordnen. Die menschliche Komponente in der Entscheidung bleibt wichtig.

Siemens war immer geprägt von Vorstands­vorsitzenden, die für die gesamte deutsche Wirtschaft gesprochen haben. Das war bei Heinrich von Pierer so, zuletzt bei Joe Kaeser. Welche strategische Rolle nimmt Roland Busch ein?

Wir haben eine klare strategische Ausrichtung definiert. Roland Busch führt als Teil seines Vorstandsteams einen globalen Technologiekonzern. Die Strategie ist wie bereits erwähnt: Wir verbinden die reale und die digitale Welt. Für diese Transformation steht das gesamte Vorstandsteam. Natürlich nimmt Roland Busch auch die übergeordnete Rolle ein, die ein Siemens-CEO immer haben wird und die beispielsweise durch seinen Vorsitz des Asien-Pazifik-Ausschusses zum Ausdruck kommt, wodurch er die deutsche Wirtschaft in Asien-Fragen repräsentiert. Das alles passiert in enger Abstimmung mit dem CEO-Team.

Roland Busch, CEO von Siemens © Siemens AG 2023

Roland Busch, CEO von Siemens © Siemens AG 2023

Welche Themen sollen mit Herrn Busch assoziiert werden? Wann gibt er beispielsweise Wortlautinterviews?

Wir sprechen primär über Siemens, unsere Technologien, wie diese unsere Kunden und damit die Gesellschaft unterstützen, über unsere Geschäftsstrategie und unsere Ergebnisse. Wenn wir in den USA ein neues Werk bauen, wie etwa im April bekanntgegeben, dann planen wir ein umfassendes Medienprogramm in den USA. Oder wenn Roland Busch und andere Vorstände auf der Hannover Messe auftreten, äußern sie sich im Vorfeld und vor Ort. Bei solchen Anlässen sind unsere Vorstände medial aktiv. Natürlich gibt es auch den übergeordneten Kontext: Was passiert in der Welt? Was hat das für eine Rückkoppelung auf Siemens und seine Kunden? Es gibt ein berechtigtes Interesse daran, vom Siemens-Chef eine Einordnung zu großen Entwicklungen zu bekommen, in der Geopolitik, zu China-Fragen oder zur Wettbewerbsfähigkeit. Wir folgen aber dem Prinzip, relativ nah an dem zu bleiben, was Siemens betrifft.

Ab einer bestimmten Tragweite müssen Medienanfragen an den Vorstand herangetragen werden. Anhand welcher Kriterien entscheiden Sie, was den Vorstand erreicht? Oder geht es nach Bauchgefühl?

Bauchgefühl ist es nicht. Man muss das mit einer Systematik hinterlegen. Bei uns gilt die Prämisse, dass der zuständige Vorstand immer dann informiert wird, wenn die Reputation oder die Außenwirkung des Unternehmens betroffen sind. Das heißt nicht, dass man den ganzen Vorstand informiert oder gar eine Vorstandsentscheidung braucht. Wir sind – neudeutsch formuliert – sehr „empowered“, Empfehlungen abzugeben, Vorschläge zu machen und die Position des Unternehmens zu artikulieren. Unsere globale Kommunikationschefin Lynette Jackson und ich arbeiten eng zusammen und entscheiden über die Eskalationsstufen. Bei komplexen oder kritischen Anfragen informieren wir. Das hat auch den einfachen Grund, dass es am nächsten Tag sowieso in der Zeitung oder im Internet steht und der Vorstand, aber auch andere Stakeholder die Berichterstattung wahrnehmen werden.

Sie erwähnten Medientermine in den USA. Insbesondere US-Medien sind bekannt dafür, dass sie ein deutlich größeres Interesse an amerikanischen Unternehmen besitzen als an europäischen. Wie groß ist das Interesse von US-Journalisten an einem deutschen Siemens-CEO?

Das Interesse in den USA an internationalen Unternehmen war schon immer relativ gering – durchaus nachvollziehbar aufgrund der zahlreichen großen und erfolgreichen Firmen im eigenen Land. Daran hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. Durch den wirtschaftlichen Druck sind auch dort die redaktionellen Kapazitäten eher rückläufig. Ich habe selbst sieben Jahre in den USA gelebt und dreieinhalb Jahre dort Medienarbeit gemacht. Wenn Sie als internationales Unternehmen in den USA medial Wirkung erzielen wollen, müssen Sie sich zunächst die Frage stellen, warum ein US-Medium Interesse an Ihrer Geschichte und Ihrem Thema haben sollte. Das funktioniert nur, wenn Sie starke Anknüpfungspunkte finden. Stichwort industrielle Präsenz, Arbeitsplätze oder für die Amerikaner relevante Produkte. Eine Investition wie unser Zugwerk hat Relevanz, weil wir 500 Jobs in Amerika schaffen. Die USA sind zudem unser größter Einzelmarkt.

Regionalmedien können zwar häufig noch eine große Reichweite bieten, verfügen aber oft nicht mehr über eine eigene Wirtschaftsredaktion. Wie wichtig sind solche Medien für ein Unternehmen wie Siemens?

Insbesondere die regionalen Zeitungen halten wir für eine wichtige Zielgruppe. Wir sind seit jeher als globales Unternehmen in allen Regionen der Welt aktiv und haben ein großes Interesse daran, dass wir dort auch medial stattfinden – das gilt international, aber auch für Lokalzeitungen in Erlangen, Nürnberg oder im Rhein-Main-Gebiet. Insbesondere dort, wo wir große Standorte betreiben, gibt es ein Interesse daran, mit uns in Kontakt zu sein. Auf der einen Seite sind natürlich dpa und Reuters entscheidend, weil sich Regionalmedien aus deren News-Pool bedienen. Zum anderen gibt es zunehmend Medienverbunde. Wenn man hier die richtigen Beziehungen aufbaut, haben beide Seiten etwas davon. Wir haben auch regionale Pressesprecher, die für Regionen zuständig sind. Wir wollen und können nicht nur mit den ganz Großen wie der „FT“ oder dem „Handelsblatt“ arbeiten, sondern mit der gesamten breiten Palette der heutigen Medienlandschaft.

Florian Martens kam 2020 von Daimler zu Siemens. Bei Daimler war Martens insgesamt fast 15 Jahre tätig; zuletzt als Head of Global Communications für Daimler Trucks & Buses. Auf dem Kommunikationskongress spricht Martens über das Thema Reputationsmanagement. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Medien. Das Heft können Sie hier bestellen.

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