Was bedeutet das „Google-Urteil“ für die PR-Praxis?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 13. Mai 2014 in der Rechtssache zwischen Google Spanien und Google USA auf der einen Seite und der spanischen Datenschutzagentur (AEPD) sowie Costeja González auf der anderen Seite festgestellt, dass die Einbeziehung von Links in Suchergebnissen von Google unzulässig sein kann, wenn sich herausstellt, dass die dort abrufbaren Informationen nicht oder nicht mehr erheblich sind. In diesem Fall müssen die betreffenden Informationen und Links von Google aus der Ergebnisliste gelöscht werden. Was beinhaltet das Urteil, gibt es tatsächlich ein allgemeines „Recht auf Vergessenwerden“ – und welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Praxis?

Grundlage des Urteils

Der Betroffene, ein spanischer Staatsbürger, hatte vor sechzehn Jahren finanzielle Probleme. Wer ihn googelte, stieß nach wie vor auf eine damals angekündigte Zwangsversteigerung seiner Immobilie. Der Spanier wollte die Auffindbarkeit solcher Bekanntmachungen über die damals anstehende Zwangsversteigerung nicht länger hinnehmen und wandte sich deshalb an die spanische Datenschutzagentur AEPD. Diese ging zwar nicht gegen die nach wie vor abrufbare Ankündigung der Zwangsversteigerung vor, untersagte jedoch Google, Informationen und Links zur angekündigten Zwangsversteigerung länger in den Suchergebnissen bereitzuhalten.

Google wehrte sich gerichtlich gegen diese Untersagung; das Verfahren ging bis zum EuGH und ist auch noch nicht abgeschlossen. Der EuGH bejahte – für die meisten Juristen durchaus erstaunlich – sowohl die Anwendbarkeit europäischen Datenschutzrechts als auch die Möglichkeit, von Google die Löschung der Inhalte über den Betroffenen aus den Suchergebnissen zu verlangen.

Informationsinteresse kontra Persönlichkeitsrechte

Im Presserecht wird bei Berichterstattungen über Straftaten bereits seit Jahrzehnten eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen vorgenommen. Wird z.B. ein Straftäter wegen einer schwerwiegenden Straftat zu einer Haftstrafe verurteilt, muss er es in der Regel hinnehmen, dass die Presse über ihn namentlich berichtet.

Anders kann dies aber bei seiner Haftentlassung oder Jahre danach sein. Hier ist auch der Gedanke der Resozialisierung zu berücksichtigen, d.h. je länger die Verurteilung zurückliegt, desto mehr setzt sich das Recht des Betroffenen auf Anonymität wieder durch und er hat unter Umständen einen Anspruch darauf „in Ruhe gelassen zu werden“. Dieser Gedanke wurde in den vergangenen Jahren im Zuge der Digitalisierung und der damit verbundenen Zunahme der Verarbeitung personenbezogener Daten im Datenschutzrecht aufgegriffen, als sich zumindest in Europa die These durchsetzte: „Das Internet vergisst nicht – dagegen müssen wir etwas tun“. Im Zuge des Entwurfs eines neuen europäischen Datenschutzrechts in 2011 (sogenannte EU-Datenschutzgrundverordnung) wurde erstmals ein „Recht auf Vergessenwerden“ (im Englischen: „right to be forgotten“) aufgenommen.

Wie weit dies reichen sollte und ob ein solches Recht überhaupt umsetzbar ist, war jedoch von Angang an umstritten, zumal die Löschung eines Beitrags nicht zwangsläufig bedeutet, dass die darin enthaltenen Inhalte im Internet tatsächlich nicht mehr auffindbar sind.

Die angedachte EU-Datenschutzgrundverordnung ist bis heute noch nicht in Kraft und der letzte Entwurf aus 2013 enthält auch gar kein explizites „Recht auf Vergessenwerden“ mehr. Umso erstaunlicher ist es, dass der EuGH ein solches Recht nun aus der bereits bestehenden EU-Datenschutzrichtlinie von 1995 abgeleitet hat.

Dort ist in gewissen Fällen ein Widerspruchsrecht gegen die Verarbeitung personenbezogener Daten enthalten. Allerdings gilt dies nur für Fälle, in denen die betroffene Person tatsächlich überwiegende schutzwürdige Interessen vorbringen kann. Daraus hat das Gericht nun abgeleitet, dass zumindest bei sensiblen Informationen, deren Veröffentlichung bereits Jahre zurückliegt, der Betroffene ein Recht darauf haben kann, dass diese Informationen nicht mehr durch Ergebnislisten von Suchmaschinen mit seinem Namen verknüpft werden. Insoweit wurde tatsächlich ein datenschutzrechtliches Recht auf Vergessenwerden durch Suchmaschinenbetreiber bejaht.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil ist ein Paukenschlag, stellt das Gericht in seinem Grundsatzurteil doch den Schutz der Persönlichkeitsrechte sehr deutlich über das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Informationen. Bislang galt unter Medienanwälten in Bezug auf Suchmaschinen überwiegend die Annahme, dass Verpflichtungen zur Löschung von Suchbeiträgen eher unverhältnismäßig und daher gerichtlich schwer durchsetzbar sind. Insoweit hat der EuGH mit seiner Entscheidung tatsächlich ein Tor aufgestoßen.

Die bei Suchmaschinenbetreibern eingereichten Löschungsanträge und darauf folgende Klagen dürften nun immens zunehmen. So wurde nach Online-Freischaltung eines Löschungsantrags durch Google am 30.05.2014 bereits berichtet, dass binnen einer Woche mehr als 40.000 Löschungsanträge eingingen.

Andererseits darf die EuGH-Entscheidung nicht überbewertet werden. Das Urteil besagt keineswegs, dass Suchmaschinenbetreiber nun ohne Einzelfallprüfung Löschungsanträgen einzelner Personen Folge leisten müssen. Vielmehr betonen die Richter am Ende des Urteils auch, dass die getroffene Wertung insbesondere bei Personen des öffentlichen Lebens durchaus anders ausfallen kann, sofern ein überwiegendes Interesse der breiten Öffentlichkeit besteht.

Ein Freibrief zur Zensur dürfte das Urteil daher aus unserer Sicht keineswegs sein. Spannend wird nun insbesondere die Frage, ob die Wertung des EuGH künftig von nationalen Gerichten auch auf andere Anbieter als Suchmaschinenbetreiber, z.B. Social-Media-Plattformen oder dergleichen, übertragen wird. Zumindest bei Online-Archiven von Zeitungsunternehmen hatte der Bundesgerichtshof bislang in einigen Entscheidungen geurteilt, dass erkennbare Altmeldungen auch Jahre später noch im Archiv bereitgehalten und damit abrufbar bleiben dürfen.

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