Warum es Sinn macht, Digital Natives Gehör zu schenken

Eine Generation mit Einfluss

Eine der beliebtesten Sessions auf der ­Republica war in diesem Jahr ein Snapchat-­Tutorial. Dass diese in ihren Funktionen, Bilder und Videos zu versenden, auf den ers­ten Blick so unspektakuläre App momentan alle Social-Media-Interessierten Kopf stehen lässt – geschenkt. Spannender ist eigentlich, dass einer der größten Stars der Berliner Digitalkonferenz ein 14-Jähriger war, der den Erwachsenen das Prinzip und den Coolnessfaktor der App in einer ­Live-Schalte auf dem Heimweg von der ­Schule erklärt.

Dieser Teenager, Joshua Arntzen, spricht auf Konferenzen und in Talkrunden auf dem Podium. Lässig erläutert er Kreativen und Anzug­trägern, wie digitale Welten für Teenager heute funktionieren. Für Internet-Eingeborene, diejenigen, die sich nicht mühsam einfinden mussten, die nicht schmunzelnd auf alte Schreibmaschinenzeiten verweisen oder diskutieren, wie das Web ihre Arbeit ­erleichtert hat.

 

Di­-gi-­tal Na­-tive, der
Wortart: Substantiv, maskulin
Person, die mit digitalen Technologien
aufgewachsen ist und in ihrer
Benutzung geübt ist.
(Quelle: Duden)

 

Es macht durchaus Sinn, den Jungen Gehör zu schenken, gerade für Unternehmen, die sich kommunikativ an Zielgruppen dieser ­Altersklasse richten möchten. Auch in der Agentur- und Beratungslandschaft stößt die Expertise der unter 30-Jährigen auf große Nachfrage. Das bestätigt der 27-jährige Hendrik ­Unger, Gründer und Geschäftsführer der Kreativagentur 36 Grad.

Herr Unger, haben Sie den Eindruck, die Unternehmen in Deutschland verpassen in ihrer Kommunikation den Anschluss an junge Zielgruppen?
Hendrik Unger: Branchenübergreifend lässt sich das pauschal kaum beantworten. Einige Branchen sind ganz sicher nicht auf dem Stand, auf dem sie sein könnten. Relativ weit vorn sind Unternehmen, die greifbare und gut abzubildende Konsumgüter im Fashion- und Lifestyle-Bereich herstellen. B2B-Unternehmen, Technikhersteller und Dienstleister halten sich da deutlich stärker bedeckt, obwohl das Potenzial da ist.

Kanäle, die gestern noch große Bedeutung hatten, taugen heute zum Teil nur noch zur Kommunikation mit Eltern und Lehrern. Wie können Marketer und Kommunikatoren da auf dem Laufenden bleiben?
Hendrik Unger: Aber es ist doch gerade das Schöne, dass sich so viel verändert! Es tun sich für die Unternehmenskommunikation immer wieder neue Chancen auf, so wie im Moment beispielsweise der Pokémon-Go-Hype. Getreu dem Motto „Alles kann, nichts muss“ ist niemand gezwungen, überall aufzusatteln und alle Netzwerke zu bespielen. Qualität geht hier ganz klar vor Quantität und jedes Unternehmen beziehungsweise jeder Social-Media-Manager sollte sich die Perlen rauspicken, die zum Unternehmen passen.

Also hat man nicht gleich ­verloren, wenn man nicht überall mitmischt.
Hendrik Unger: Es braucht nicht zwangsläufig eine Aktivität auf 20 verschiedenen Kanälen, um alle potenziellen Kunden oder Fans abzuholen. Das können auch nicht alle Unternehmen leisten. Besser ist es dann, nur zwei Kanäle zu bespielen und das Unternehmen dort adäquat zu präsentieren und flächendeckend und zeitnah Community Management zu betreiben.

Auch dafür braucht es ­Manpower.
Hendrik Unger: Natürlich. Ich erlebe es oft, dass für die Pflege der Social-Media-Kanäle eine halbe Praktikumsstelle eingerichtet wird. Das reicht nicht. Und der Leistungsdruck, beispielsweise auf Snapchat präsent zu sein, weil der Konkurrent es auch ist, ist fehlplatziert. Oberflächliche Ziele, zum Beispiel mehr Fans zu haben, bringen am Ende wenig, sind in der Social-Media-Kommunikation nur ein KPI von vielen. Viel wichtiger ist es, das übergeordnete Ziel zu erreichen. Das geht auch mit wenigen Fans und Followern, solange die richtige Kernzielgruppe erreicht wird.

Wenn sich Kanäle vervielfältigen, die Mitarbeiterzahl in Kommunikation und Marketing aber dieselbe bleibt, würden Sie dann dazu raten, mit den Trends zu gehen und „alte“ Kanäle abzuschalten?
Hendrik Unger: Wenn Kanäle nicht regelmäßig mit frischem Content befüllt werden können, finde ich es völlig legitim, sie auf Eis zu legen. Nur mit gelegentlichem Infotainment kommt man nicht weiter. Dann ist man vielleicht kurzfristig cool und hip, kann sich aber in den Köpfen der Konsumenten nicht verankern. Hier gilt es, mehr darauf zu schauen, was für eine Firma wirklich lohnend und kos­teneffizient ist und sich über einen langen Zeitraum in Form des ROI auszahlt. Ich bekomme oft mit, dass Unternehmensvertreter sagen: „Wir müssen jetzt unbedingt zu Snapchat!“ oder „Wir sollten Pokémon-Go irgendwie mitnehmen!“ Ohne eine Strategie macht das aber überhaupt keinen Sinn. Ein virales One-Hit-Wonder zu landen ohne soliden Basis-Content im Hintergrund, ist wie ein Strohfeuer.

In Bezug auf Snapchat gibt es immer wieder Diskussionen, wie viel Werbung und Unternehmens-PR der App guttut und wie empfänglich die – hauptsächlich jugendlichen – Nutzer dafür sind. Diese könnten die Kontaktversuche durch Unternehmen ja auch als unerwünschtes Eindringen in den eigenen Mikrokosmos empfinden.
Hendrik Unger: Ein Eindringen ist es definitiv. Aber in beinahe jedem Netzwerk gibt es inzwischen Werbung und Unternehmenskommunikation, die sich als klarer Fremdkörper zwischen Nutzer A und Nutzer B stellt und damit die private Kommunikation immens stört. Damit hat sich der Großteil der Nutzer, auch der jungen, abgefunden, vergrault werden nur wenige. Werbung gehört heutzutage in sozialen Medien dazu wie der Rüssel zum Elefanten.

Für den Erfolg solcher ­Plattformen ist das kein Störfaktor?
Hendrik Unger: Nein. Nehmen Sie Google, auch hier haben die Gründer anfangs dafür plädiert, die Suchmaschine könne nur frei von Werbung funktionieren. Wenn Sie heute beispielsweise nach einer Versicherung suchen, besteht auf dem Smartphone der komplette erste Sichtbereich der Suchtreffer in Anzeigen. Dennoch ist Google nach wie vor klarer Marktführer und die Werbung wird akzeptiert. Auch das oft schon totgesagte Facebook ist nach wie vor kaum ausgedünnt. Bei Nutzerzahlen in Milliardenhöhe macht es fast gar nichts, wenn hier und da mal ein paar Millionen Nutzer einer Teilzielgruppe abspringen.

Mit einer Vermischung haben wir es auch beim Thema Influencer Marketing zu tun. Selbst alteingesessene Unternehmen setzen inzwischen darauf, so wie der Reiseanbieter Neckermann, der im vergangenen Jahr Youtube-Star Bibi auf Maledivenreise schickte. Ist diese Art der Kommunikation die Zukunft, wenn es darum geht, die Jungen zu erreichen? Oder nutzt sich das Prinzip irgendwann ab, weil die Authentizität auf der Strecke bleibt?
Hendrik Unger: Ein tatsächlich authentisches Feeling war bei vielen Youtubern von Anfang an kaum gegeben. Darüber sehen die Nutzer aber hinweg. Das von vielen Bloggern genutzte Prinzip des Product Placements schwappte aus den USA auch nach Deutschland. Mein Gefühl ist: Die Nutzer nehmen lieber eine solche Art des Marketings in Kauf, als sich simple und oft platte Werbung anzuschauen.

Warum?
Hendrik Unger: Wenn mein Idol, ein Youtube-Star, mir in kumpelhafter Art erzählt, was gerade cool ist, interessiert mich das viel mehr, als wenn eine Anzeige oder ein Unternehmensvertreter das tut. Klar – vielen ist dabei bewusst, dass es sich um eine Art der Werbung handelt. Trotzdem wird diese durch die gefühlte Nähe der Protagonisten interessant und meine Aufmerksamkeit ist geschärft.

Welche Protagonisten gerade großen Einfluss haben und für Jugendliche spannend sind, wechselt häufig und ist für Kommunikatoren nicht unbedingt leicht durchschaubar. Wie findet man den passenden Influencer?
Hendrik Unger: Das ist inzwischen gar kein Problem mehr. Es gibt immer mehr große Netzwerke wie Mediakraft, Tube One oder Hitch On, die sich um die Vermittlung von ­Werbeplätzen zwischen Youtubern, Instagramern und Co. und den Firmen kümmern. Diese Berater der Netzwerke kennen sich in der Szene aus und wissen über die Reichweiten der Social-Media-Stars genauestens Bescheid. Auch das Casting und die Auswahl von passenden Gesichtern werden als Komplettpaket angeboten.

Screenshot: youtube / BibisBeautyPalace
Bianca „Bibi“ Heinicke und Julian „Julienco“ Claßen auf den Malediven. Im Vlog schwärmen sie für die Reise.

Meistens werden ­Influencer für das Marketing eingesetzt. Wird ihre Wirkung in Bezug auf PR, beispielsweise das Unternehmensimage, unterschätzt?
Hendrik Unger: Auf jeden Fall. Ich debattiere oft mit Pressesprechern, die noch aus der analogen Kommunikation kommen. Viele von ihnen tun es noch immer als bedeutungslosen Einzelfall ab, wenn ein Influencer beispielsweise einen negativen Tweet zum Unternehmen absetzt. Wenn ich ihnen dann  zeige, wie viele zehntausend Follower Influencer zum Teil haben, fällt ihnen oft die Kinnlade herunter.

Wie können sich Unternehmen ein Stück Macht sichern, am Hoheitswissen teilhaben? Ist es beispielsweise sinnvoll, in der UK einen jungen Praktikanten an Bord zu haben, der über die neuesten Trends aufklärt?
Hendrik Unger: Das kann auf jeden Fall nicht schaden. Zur ersten Orientierung sind natürlich immer Workshops, in denen eine Wissensvermittlung rund um Social-Media-Themen stattfindet, ganz gut, um sich einen Überblick über die aktuell starken Trends und Plattformen zu verschaffen und von da aus weiter in die Strategieplanung ­überzugehen.

Sie haben im vergangenen Jahr in Köln die Kreativ­agentur 36 Grad gegründet, zudem sind Sie als Speaker, Dozent und Buchautor unterwegs. Was glauben Sie, warum entscheiden sich Unternehmen für eine Beratung durch junge Teams, anstatt sich von alteingesessenen Profis Online-Marketing ­erklären zu lassen?
Hendrik Unger: Junge und flexible Teams haben das Know-how und die Fähigkeit, das zu bieten, was Unternehmen heute haben möchten. Die Firmen suchen gezielt nach Expertise und nach bewährten Taktikten für einzelne Kanäle. Und da sind natürlich die Fachleute ganz vorn, die das Medium wirklich verstehen, damit aufgewachsen sind, die Erfolg bringenden Taktiken beherrschen. Auf jahrzehntelange Erfahrung kommt es nicht an, da es die meisten Social-Media-Kanäle, wenn überhaupt, seit gerade einmal knapp zehn Jahren gibt. Kein Mensch kann mit „20 Jahren Erfahrung im Social Media Management“ für sich werben, die Entwicklung ist ja noch eine relativ neue. Das haben die Unternehmen auch weitgehend verstanden und greifen daher gern auf Digital Natives zurück.

Und wer sind Ihre ­Auftraggeber?
Hendrik Unger: Zu uns kommen die unterschiedlichsten Kunden. Ob Großkonzerne, die ihr Marketing verbessern wollen, oder Mittelständler, die noch vor einem weißen Blatt sitzen, was digitale Kommunikation betrifft – wir bedienen fast jede Branche. Die Vielschichtigkeit ist genau das, was wir am Agenturleben mittlerweile so lieben. Heute vermarktet man Kabelbinder und morgen vielleicht schon das Auto der Zukunft.

Welches Unternehmen in Deutschland ist, was digitale Kommunikation anbelangt, Ihrer Meinung nach gut aufgestellt?
Hendrik Unger: Gerade im Bereich Community Management ist zum Beispiel der Autovermieter Sixt ein großer Player. Dieses schnelle Aufgreifen politisch und gesellschaftlich aktueller Themen erregt große Aufmerksamkeit und kommt auch bei der jüngeren Zielgruppe an. Genau das ist es, was modernes Social Media Marketing ausmacht.

Mit den Reichweiten der jugendlichen Influencer wächst auch das Bestreben der Unternehmen, sie zu umwerben. Wächst durch die digitale Welt der Einfluss der Jungen?
Hendrik Unger: Ich finde nicht, dass man diesen Einfluss unbedingt an einer bestimmten Altersgruppe festmachen sollte. Jeder, der digitale Kommunikation beherrscht, kann davon profitieren und seine Reichweite steigern. Ich kann Emotionen teilen, die jeder auf der Welt in Echtzeit wahrnehmen kann. Somit wird von den Firmen im Prinzip jeder umworben, der sich in der Social-Media-Welt bewegt und empfänglich für Werbebotschaften ist – egal ob jung oder alt. Die Zielgruppe, die in sozialen Medien momentan am stärksten wächst, ist im Übrigen in Deutschland die Altersgruppe ab 55 plus. Der Content, den diese Zielgruppe konsumiert, ist einfach ein anderer als im Teenager-Bereich. Die Silver Surfer interessieren sich beispielsweise eher für Koch-Shows, Tutorials und How-To’s.

Aber welcher Kanal oder welche Marke zum Trend wird, bestimmen traditionell die Jungen. Sie laufen immer ein paar Schritte vor.
Hendrik Unger: Das stimmt, denn die Kids verhalten sich im Social Web sehr extrovertiert. Sie sind von der Masse gesehen nicht in der Überzahl, dafür aber ganz sicher die lautesten.


Das sind der Agentur ­Junges Herz zufolge die derzeit wichtigsten ­Influencer auf ­Youtube und Instagram.
 

Was sind die ersten ­Schritte, um einen ­passenden ­Influencer für eine ­Kampagne auszuwählen?
Jakob Osman, Leiter der Personal­marketing-Agentur ­Junges Herz: Marketing-Entscheider sollten zuerst die Zielgruppe analysieren und sich dann gemeinsam mit passenden Influencern ein Konzept überlegen. Deren Auswahl sollte dabei, was Alter, Interessen und Mediennutzung betrifft, sehr dicht anhand der Zielgruppe erfolgen. Ein sehr gelungenes Beispiel ist die Kampagne für das Spiel „Disney Magic Kingdoms“ von Gameloft mit Youtuberin Bibi. Einfach gut gemacht.
 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Macht. Das Heft können Sie hier bestellen.

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