Der Otto-Newsroom wurde 2018 eingeführt. Wie kam es dazu?
Martin Frommhold: Die Unternehmenskommunikation war bis dahin klassisch in eine externe und eine interne Kommunikation gegliedert. Letztere verantworte bereits ein sehr gutes Social Intranet. Dagegen war die klassische Corporate Website mit Pressemitteilungen und Fotos wenig attraktiv gestaltet, eher statisch und nicht darauf ausgelegt, aktiv Informationen zu vermitteln. Das passte überhaupt nicht zur Unternehmenswirklichkeit.
Im vergangenen Jahr haben den Otto-Katalog eingestellt, sind heute ein E-Commerce-Unternehmen. Aktuell entwickeln wir unser Geschäftsmodell vom Händler zur Plattform. Es passiert also extrem viel bei Otto – diesen Geschichten wollten wir Raum geben.
Wie haben Ihre Mitarbeiter die neue Organisationsform aufgenommen?
Naja – wir haben alle potenziell möglichen Zyklen im Veränderungsmodus mitgenommen – von Frust bis Begeisterung. Teilweise hält das durchaus noch an, wenn auch weniger ausgeprägt. Schließlich sind wir noch nicht fertig – aber stolz darauf, was wir erreicht haben. Wir haben eine flache Hierarchie etabliert und uns eine 360-Grad-Perspektive verordnet. Weil wir Geschichten ganzheitlich denken und erzählen wollen.
Das hat aber nicht von heute auf morgen ruckelfrei geklappt. Wir mussten uns in der neuen Organisationsform erst einmal zurechtfinden. Auch war es ein Irrtum von mir zu glauben, dass sich Kommunikationsexperten, die den Change ja oft einordnend begleiten, sozusagen aus Erfahrung mit Veränderungen eher arrangieren können. Auch wir Kommunikatoren sind Gewohnheitstiere mit Komfortzonen!
Wie ist die Stimmung heute?
Deutlich besser, auch weil wir als Team enorm zusammengewachsen sind, offener mit Kritik umgehen und vor allen Dingen verstehen, dass selbst die beste Entscheidung von gestern heute schon wieder hinfällig sein kann. Wir verstehen den Newsroom als Kern unserer Kommunikation: Alles, was Otto auszeichnet, sollen Interessierte dort finden. Das klappt und findet Anklang, auch bei unseren eigenen Mitarbeitern.
Worüber wird im Otto-Newsroom berichtet?
Wir haben uns auf Basis unserer Kommunikationsstrategie und somit passend zum Otto-Geschäftsmodell drei große Themenfelder erschlossen: Erstens die Technologie: Wir arbeiten mit modernsten KI-Instrumenten bei der Kundeninformation, sind beim Thema CGI vorne mit dabei und werden dazu oft von klassischen Medien und über die sozialen Kanäle angesprochen. Zweitens die Kultur: Beispielsweise sind wir in der Positionierung der Arbeitgeber-Marke im Bereich der Corporate Influencer sehr aktiv. Wie stellt sich das Unternehmen zu New Work, welche Menschen arbeiten in welchem Umfeld? Und drittens der Kundenfokus: Unsere Kunden stehen im Mittelpunkt und wir berichten über vieles, was mit unserer historisch gewachsenen Marke zu tun hat.
Wie sieht die Themenfindung aus?
Zu jedem der drei großen Themenblöcke gibt es Themenkoordinatoren. Das sind im Regelfall zwei Kollegen oder Kolleginnen, die sehr eng an den Fachbereichen arbeiten und deshalb interessante Aspekte aufgreifen und schnell zu Geschichten weiterentwickeln können. Themenfindung funktioniert aber auch in die andere Richtung: Wir beobachten laufend die Trends in den Medien und fragen: Was können wir dazu beitragen? Wie am öffentlichen Interesse partizipieren? Hier arbeitet der CvD auch eng mit den Pressesprechern zusammen und überprüft, ob wir die Thematik sinnstiftend bespielen können oder nur an der Oberfläche kratzen. Grundsätzlich versuchen wir aber, alle Themen sowohl extern als auch intern auszuspielen, natürlich jeweils mit der passenden Konnotation.
Themenkoordinatoren, CvD, Pressesprecher: Wer arbeitet noch am Newsroom mit?
In unseren Newsroom arbeitet fast das ganze Team hinein. Das sind aktuell 17 Personen. Im vergangenen Jahr haben wir uns beispielsweise auch mit einem Mediendesigner verstärkt. Die Kommunikation wird immer bild- und videolastiger, worauf sich aber viele Kommunikationsabteilungen noch nicht intern einstellen, sondern weiterhin viele Aufgaben outsourcen. Das kostet Geld und Zeit. Unser Mediendesigner sitzt dagegen bei uns auf der Fläche bei den Redakteuren, ist in alle Teamroutinen eingebunden und bringt sich entsprechend kreativ ein.
Das Redaktionsteam unterstützt die Themenkoordinatoren, setzt eigene Impulse, betreut das Intranet und schult zunehmend Mitarbeiter darin, selbst kommunikativ aktiv zu werden. Dazu kommen noch eine Social-Media-Expertin sowie unsere Channel-Managerin, die sich auch um das hauseigene Monitor-Informationssystem kümmert. Überdies haben wir noch eine Kollegin, die sich explizit mit Kommunikationsstrategien, dafür notwendigen Instrumenten sowie internen Organisations- und Netzwerkstrukturen beschäftigt, um den Prozess der sich kontinuierlich wandelnden Arbeitsbedingungen angemessen zu begleiten.
Stichwort Kanäle: Wie sieht es mit Social Media aus?
Wir nutzen Social Media, um Themen im Newsroom zu verlängern. Wir verbreiten aber nicht jede Pressemitteilung auf Twitter, sondern prüfen immer, welches Thema in welchem Kanal funktionieren kann und wie es dafür bearbeitet werden muss.
Hat sich seit der Einführung des Newsrooms alles so entwickelt wie geplant?
Nein. Anfangs gab es den Anspruch, nicht nur Otto-Geschichten zu erzählen, sondern über den Branchen-Tellerrand zu schauen und über die digitale Wirtschaft im Allgemeinen zu schreiben. Dabei sind wir dann an Grenzen gestoßen, was die Kapazitäten, aber insbesondere auch die Glaubwürdigkeit anging. Das Team hat sich damit schlichtweg nicht wohl gefühlt.
Wir erhielten dann auch von Sparringspartnern – einer erfahrenden Journalistin wie Sabine Väth oder dem sehr geschätzten Telekom-Kommunikationschef Philipp Schindera – schnell die Rückmeldung: Ihr zieht euch da etwas an, was euch eigentlich nicht passt. Wer solche Geschichten lesen will, geht zu etablierten Magazinen mit unabhängigen Redaktionen. Von euch will man wissen, wie es bei Otto aussieht.
Wie haben Sie auf die Kritik reagiert?
„Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ – das war die Lehre daraus. Die Aufgabe, die insbesondere ich an uns gestellt hatte, war nicht zu erfüllen und außerdem strategisch fragwürdig. Das mag Außenstehende auch gar nicht so sehr überraschen. Ein gewisser hygienischer Abstand zu den selbstredend total großartigen Themen des eigenen Hauses ist sicher wünschenswert. Aber man sollte sich eben auch nicht Lichtjahre davon entfernen. Glücklicherweise haben wir diese Rückmeldungen direkt in der Launch-Phase erhalten und waren auch selbst hinreichend selbstkritisch reflektiert.
Als wir unser Konzept dann überarbeitet hatten, fiel vom ganzen Team eine Last ab, weil wir nun das tun, womit wir uns wohl fühlen und was wir gut können: über Otto berichten. Zum Glück haben wir durch die Unternehmensentwicklung eine große thematische Bandbreite. Wir erleben Emotionen, Erfolge, aber manchmal eben auch Enttäuschung, wenn sich ein Projekt nicht gleich wie erwartet entwickelt. Darüber können wir sicherlich authentischer berichten als zu irgendwelchen technischen Sensationen aus dem Silicon Valley.
Wie gehen Sie mit kontroversen oder erklärungsbedürftigen Themen um? Zurzeit finden sich auf der Newsroom-Webseite beispielsweise Beiträge zu den Themen Diversity oder gendergerechte Sprache.
Otto versteht sich traditionell als weltoffenes Unternehmen. Gesellschaftlich relevante Themen bewegen uns auch intern. Wir haben keine Scheu davor, unsere Haltung transparent zu kommunizieren. Daran ändern auch Negativ-Kommentare nichts. Der weitaus größere Teil des Feedbacks ist eher anerkennend, teilweise sogar anrührend. Deswegen heben wir nicht ab, gehen aber garantiert auch nicht in Sack und Asche, wenn man uns kritisiert.
Wo geht es bei Otto in Zukunft mit dem Newsroom hin?
Momentan arbeiten wir daran, besser zu entschlüsseln, welche Themen gut ankommen oder wie sich die Zugriffszahlen entwickeln. Dafür decken wir uns mit entsprechenden Analysetools ein. Künftig wollen wir stärker anhand von KPIs arbeiten und den Newsroom steuern.
Wie wird sich die Unternehmenskommunikation ihrer Meinung nach in Zukunft entwickeln?
Wir leben in einer Zeit, in der die Branche immer wieder stark von irgendwelchen Hypes geprägt wird. Hier wünsche ich uns allen generell mehr Gelassenheit. Auf dem Kommunikationskongress war beispielsweise das Thema KI sehr aktuell, gerade auch im potenziell möglichen PR-Einsatz. Es gibt jedoch noch keine vernünftige, geschweige denn finanzierbare Anwendung für die Unternehmenskommunikation. Ich weiß übrigens auch nichts von einem akut zu befriedigenden Bedarf. Das wird sich selbstverständlich ändern und das Thema KI sollte im Blick behalten werden, aber mit Augenmaß. Entsprechend empfehle ich, abzuwarten sowie neue Tools sehr genau nach Mehrwerten für die eigene Arbeit zu überprüfen. Bis die auf den Markt kommen, sind viele Kommunikationsbereiche weiterhin gut beraten, ihre Social-Media-Strategie zu fixen, Mitarbeiter entsprechend zu schulen und Kanäle zu entwickeln. Also die Basisarbeit zu optimieren.
Welchen Platz hat also der Newsroom in der künftigen Kommunikation?
Mit dem Newsroom ist es ähnlich. Ich warne davor, diesen umsetzen, nur weil es halt gerade irgendwie hip ist: Ohne eine leistungsfähige Redaktion und einen Content Flow, der sich aus dem Unternehmen und seinem Handeln heraus ergibt, wird das ein Rohrkrepierer. Es gibt in Deutschland nun mal nicht nur große Unternehmen mit entsprechenden PR-Bereichen. In vielen Firmen operieren deutlich kleinere Units, in denen gleichwohl vorbildlich gearbeitet wird. Bei vielen hochspezialisierten Mittelständlern ist das zu bedienende Medienset zudem sehr spitz, häufig B2B-orientiert und viele Kollegen pflegen ihre direkten Kontakte entsprechend aufmerksam. Wenn das so ist, sollte man nicht zuerst in große Newsroom-Lösungen denken, sondern eher alle Möglichkeiten nutzen, um die Personalisierung in Richtung der adressierten Zielgruppe weiter zu entwickeln. Man muss ja nicht jedem Trend hinterherlaufen.
Martin Frommhold wird den Otto-Newsroom im Rahmen der Corporate Newsroom Experience am 8. November vorstellen. Das Programm gibt es hier.