Was auch immer ich mir für diesen dritten Teil meiner Kolumne-Serie „Die Sprache muss sich ändern“ vorgenommen habe: Der vom russischen Präsidenten Putin angeordnete Krieg gegen die Ukraine hat alles über den Haufen geworden. Und zugleich zwei Dinge gezeigt: Wir Kommunikatoren (Journalisten, Pressesprecher, Berater, Texter, Ghostwriter und so weiter) sollen und wollen erstens immer wieder schnell handeln. Und das, obwohl uns, zweitens, solche (welt-)politischen Entwicklungen und mit Verlaub menschenverachtendes und ideologisch überdrehtes Handeln eines Despoten zugleich sprachlos machen.
Und das ist ein Problem. Für mich ebenso wie für viele andere. Denn sprachlos sein und zugleich schnell zu reagieren und zu kommunizieren trägt immer das Risiko in sich, dass die Kommunikation überstürzt und unreflektiert ist. Dass wir über Themen sprechen und sie bewerten sollen, ohne alle Details, Hintergründe und Ursachen zu kennen, geschweige denn ihre Folgen absehen zu können. Dass außerdem sich Kommunikationsmaßnahmen überschneiden und überladen oder überlagern, sodass sie gar nicht richtig wahrgenommen und ausgewertet werden können. Ein Sender-Empfänger-Problem par excellence.
Kommunikation soll verstehen helfen
Das ist ein Phänomen, das wir seit Beginn der Corona-Pandemie auch in der Politik und der politischen Kommunikation beobachten: Die Maßnahmen ändern sich schneller, als sie kommuniziert werden können. Und sie werden schneller kommuniziert, als sie en detail geklärt und erklärt sind. Beim staunenden Publikum kam und kommt das immer wieder als Sammlung von Irrungen, Wirrungen und Widersprüchen an. Doch wer trägt Schuld? Die Politiker, die sich nicht einigen oder nach einer Einigung schnell widersprechen? Oder die Medien, die jede kleinste gedankliche Maus als faktisch Elefant-gewordene Sau durchs Dorf jagen und dadurch vielleicht Verwirrung stiften, wo keine ist?
Die allgemein zu beobachtende Tendenz „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“ – die leider auch vor seriösen Redaktionen nicht Halt macht und erst recht alle Spielarten von sozialen Medien betrifft – hat zu gesellschaftlichen Irritationen geführt, die nicht nötig gewesen wären, wenn alle mal einen Moment stillhalten, durchatmen, sich die Fakten vergegenwärtigen, nachdenken würden – und erst dann den Mund aufmachen oder auf „Senden“ klicken.
Missverständnisse und Fake News sind ein Risiko
„Wie das Virus ist auch die Infodemie, also die schnelle und weitreichende Verbreitung sowohl korrekter als auch falscher Informationen, ein globales Phänomen“, zitierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ Anfang des Jahres den Virologen Christian Drosten. An Falschmeldungen (oder auch „Fake News“) haben wir uns schon gewöhnt, und das ist brandgefährlich. Der Autor Marc Elsberg hat diese Gefahr in seinem fiktiv gedachten (und in Teilen erschreckend real gewordenen) Roman „Blackout“ eingebracht, wenn er seine Protagonisten sagen lässt: „Die Menschen da draußen sind mehr und mehr auf Hörensagen und Gerüchte angewiesen. Das kann ganz schnell eine gefährliche Dynamik annehmen. (…) Ich will gar nicht wissen, was die stille Post daraus macht, bis sie bei der Mehrheit angekommen ist.“
In puncto Corona hat der Deutsche Städtetag schon vor einem Jahr – auf einem der mittlerweile vielen Höhepunkte von Corona-Wellen und Maßnahmen-Unmut – an Bund und Länder appelliert, die beschlossenen Gegenmaßnahmen gegenüber den Menschen klar und verständlich zu kommunizieren. Es müsse „ein neues Kapitel auch in der Kommunikation aufgeschlagen werden“. Eine Bundesnotbremse, um die es damals ging, greife nur, „wenn die Menschen sie verstehen und mitmachen“.
Kommunikation = Erklären + Verstehen
Auf einem meiner Charts, die ich in meinen Seminaren zum journalistischen Schreiben oder zur Pressearbeit verwende, stehen die beiden Worte „Erklären“ und „Verstehen“. Die Sender im Kommunikationsprozess müssen erklären, damit die Sender verstehen. Beide Seiden müssen sich dafür Zeit nehmen. Wie um das nochmals zu bestätigen, zitierte die „Zeit“ kürzlich im Zusammenhang mit Putins Angriff auf die Ukraine die Generalsekretärin des Weltbundes Religions for Peace, Azza Karam, mit den Worten: „Was ich momentan am meisten vermisse [sic] ist die Bereitschaft zum Zuhören und Verstehen.“
Ach, Kommunikation ist manchmal etwas schrecklich Kompliziertes, weil höchst subjektiv und menschlich. Da gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. Da gibt es nur das Bemühen, seine Botschaft so rüberzubringen, dass der jeweils andere sie versteht. Dafür braucht es Erklären und Zuhören. In der großen Weltpolitik wie auch im ganz Kleinen, in der internen und externen Unternehmenskommunikation, in der politischen Kommunikation, bei Verbänden, Stiftungen und Einrichtungen, in der Wissenschaftskommunikation und, ja, auch in der privaten Kommunikation.