Die Deutsche Bahn hat ein Kommunikationsproblem

Krisenkommunikation

Vor zwei Wochen bin ich mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Ich gehöre zu denen, die die Bahn gerne und oft nutzen – und in vielen Fällen sogar wie geplant am Zielort ankommen: ohne technische Störung am Zug, ohne Störung an der Strecke, kein fehlender Zugteil, alle Wagen vollzählig und in korrekter Reihenfolge, keine Probleme mit dem Bord-Bistro, den Klimaanlagen oder den Toiletten.

So war es auch an diesem Tag. Es hätte also alles so schön werden können. Doch dann die erste Irritation beim Blick auf die Anzeige im Bahnhof: „Bitte beachten Sie die angezeigte geänderte Wagenreihung“. Mmmh…. Der Wagen mit der Nummer 19, in dem mein reservierter Platz auf mich wartete, sollte laut Plan am Ende des Zuges sein, ein Anhängsel an die 1. Wagenklasse. Das Anhängsel taucht in der Anzeige nicht auf. Also frage ich beim hilfsbereiten Bahn-Personal am „Service Point“. Die Anhängsel-Wagen, so war zu hören, seien leer und verschlossen. Ich müsse mir dann einen anderen Platz suchen in dem Zug, der laut Bahn-App ausgebucht ist. Dort heißt es „Bitte wählen Sie eine andere Verbindung.“

Also: Mein Wagen sei am anderen Zugende, sagt die Anzeige, der Wagen sei verschlossen und mein Platz nicht verfügbar, sagen die Mitarbeiter, der Zug sei ausgebucht und ohne neue Platzreservierung für mich nicht nutzbar, sagt die App.

Wenn Computer und Menschen unterschiedliche Sprachen sprechen

Die Wirklichkeit sah ganz anders aus: Der Wagen war da, wo er hingehörte, der Platz erwartete freudig meine Präsenz, und der Zug war nur halbvoll. Die Deutsche Bahn hat zweifellos jede Menge Probleme. Sie hat aber vor allem ein Kommunikationsproblem. Das ist so groß, dass ich in dieser Kolumne eine eigene Reihe mit den wirrsten Erfahrungsberichten füllen könnte.

Zum Beispiel dieser hier: Fahrt zu einem meiner Seminare für Pressearbeit nach Freiburg. Die Anzeige im Bahnhof lässt keine Hiobsbotschaften erkennen. Doch dann – die Abfahrtszeit ist bereits überschritten – wird doch eine Verspätung von fünf Minuten angezeigt. Eine Computerstimme bestätigt das Ganze akustisch. Weitere fünf Minuten später werden zehn Minuten Verspätung erst angezeigt, dann angesagt. Addition beherrscht man hier ganz offenbar. Die Computerstimme erhöht schon bald auf 20 Minuten. Eine lebendige Frauenstimme meldet sich zu Wort und gibt per Lautsprecher eine Verspätung von nur noch 10 Minuten bekannt (die zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten waren). Die Computerstimme geht runter auf 15 Minuten, die menschliche Stimme erhöht auf 20 Minuten, die Computerstimme reduziert weiter auf 10 Minuten. So geht das eine ganze Weile hin und her.

Kleine Formulierungsfehler mit großer Wirkung aufs Image

Es folgt der nächste Akt des kommunikativen Bahn-Desasters. Anzeige und Computerstimme einigen sich nun darauf, dass der ICE nach Freiburg mit nur einem statt zwei Zugteilen fahre (der von mir reservierte Platz ist natürlich im fehlenden Zugteil…). Die Frauenstimme schaltet sich dazu und verkündet, der Zug sei „stark überbucht“, man möge – nun bereits eine halbe Stunde nach der geplanten Abfahrtszeit – bitte einen anderen Zug nutzen.

Liebe Bahn, das ist schlicht eine fehlerhafte Verwendung des Adjektivs „überbucht“. Es sind keinesfalls mehr Plätze gebucht, als laut Plan vorhanden. Das Problem liegt darin, dass 800 Plätze verkauft, aber nur 400 auf die Reise geschickt wurden. Die korrekte Aussage lautet also: „Wegen technischer [betrieblicher, personeller oder sonstiger] Probleme können wir nur die Hälfte der von und zugesagten Plätze zur Verfügung stellen.“ Man könnte noch so etwas ergänzen wie ein ehrliches Bemühen, mit Unterstützung der zu Recht genervten Reisenden das Problem irgendwie zu lösen. Eine Art bahnliches „Wir schaffen das“.

Stattdessen besteht die Kommunikations-Strategie in solchen Fällen technischen Versagens oftmals aus einem beachtlich kompetenten Wegducken. Oder darin, das Problem auf die Reisenden abzuschieben. Genau an dem Punkt führt die Kommunikation vom technischen Problem direkt in den Image-Schaden.

Das läuft dann wie folgt: Auf dem weiteren Weg kontrolliert das Zugpersonal pflichtbewusst die Fahrscheine – auch bei den Reisenden, die mangels der zu Hause belassenen 400 Sitzplätze im Gang stehen. Keinen der Zugbegleiter scheint das zu stören. Erst nachdem bereits viele der Stehenden am nächsten Bahnhof ausgestiegen sind, folgte die Durchsage, dass der Zug überlastet sei und so nicht weiterfahren könne.

Krisenkommunikation braucht persönliche Präsenz

Da wird dann per Lautsprecher mit „Zwangsräumung“ gedroht (und die gelegentlich auch durchgeführt), in sich wiederholenden Schleifen zum Aussteigen aufgefordert und irgendwann auch mal mit Gutscheinen gelockt – leider ohne jemals das direkte persönliche Gespräch vor Ort zu führen. Mit Blick auf eine wünschenswerte Unversehrtheit des Zugpersonals kann ich das verstehen. Aber kommunikativ ist das ungeschickt. Sich bei Kommunikation in der Krise aufs Digitale und Fernmündliche zurückzuziehen, führt selten zum Ziel. Das gilt auch in der Bahn.

Apropos digital: Laut Bahn-App war unser Zug nach Freiburg – als wir noch am Frankfurter Flughafen standen und auf Aussteigende warteten – schon kurz vor Mannheim. Erstaunlich. In Wirklichkeit sind wir aber erst kurz danach abgefahren. Wir waren dann – wie der Zugbegleiter kurze Zeit später in bestem Englisch kundtat – „twenty-five minutes deläiter“.

Halten wir fest: Es sind nicht immer die technischen Störungen am Zug oder an der Strecke, fehlende Zugteile oder Wagen in geänderter Wagenreihung, Probleme mit dem Bord-Bistro, den Klimaanlagen oder den Toiletten – manchmal sind es ganz einfach Kommunikationsprobleme, die der Bahn und ihren Kunden zu schaffen machen.

 

 

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