„Snapchat wird 2016 alles zerstören“, „2016 ist das Jahr der Livestreaming-Apps“ – Überschriften und Aussagen dieser Art sind in den letzten Wochen und Monaten in fast allen Fachblogs und -magazinen zu lesen. Schnell kann der Eindruck entstehen, jede Marke und jedes Unternehmen müsse auf Snapchat vertreten sein und/oder sich mit Livestreaming beschäftigen.
Die Realität ist jedoch ein wenig anders gelagert. Snapchat bietet großes Potenzial, ja, doch um es sinnvoll zu nutzen, sind aktuell noch große Teams und noch größere Budgets nötig. Dennoch ist Snapchat relevant.
Spätestens seit dem letzten Update – Snapchat selbst nennt es „Chat 2.0“ – das Video- und Audio-Telefonie möglich macht, ist der Dienst ein ernstzunehmender Whatsapp-Konkurrent geworden. Viel wichtiger: Snapchat zeigt damit, dass es sich kontinuierlich und wohl überlegt weiterentwickelt und als Netzwerk ernstgenommen werden muss.
Kollege Djure Meinen hat in seinem Blog dazu einige Thesen formuliert, die ich weitgehend unterschreibe. Sein Fazit, das ich hier auszugsweise wiedergebe, bringt es auf den Punkt: „Hört auf an Eurer eigenen Geschichte auf Snapchat zu bauen. Sucht nicht weiter nach spannendem Content in den Stories. Er ist nicht für Euch gemacht… Stattdessen: Schaut Live-Stories. Versteht, wie sie entstehen und wie sie sich nutzen lassen. Verfolgt die Experimente der Medienmarken in Discover. Wer künftig auf Snapchat erfolgreich unterwegs sein will, denkt am besten jetzt darüber nach, wo er die Budgets dafür herbekommt. Und wie diese Budgets optimal eingesetzt werden können. Ich sehe eine große Zukunft für interdisziplinäre Teams aus Kreativen, Storytellern, Eventmanagern und Relations-Menschen.“
Ähnlich sieht es beim Livestreaming aus. Wer hier wirklich sichtbar werden will, braucht dafür eine klare Strategie und muss bereit sein, Mitarbeiter, Zeit und Geld dafür einzusetzen.
Das Bedürfnis hinter dem Snapchat- und Livestream-Hype
Bisher könnten meine Ausführungen frustrierend und ernüchternd klingen. Viele Unternehmen – das gilt vor allem für KMU und NGOs – verfügen schlicht nicht über die nötigen Budgets, um auf Snapchat und Co. aktiv mitzumischen. Doch es gibt eine gute Nachricht: Das müssen sie auch gar nicht. Viel wichtiger als Snapchat und Livestreaming ist das Prinzip, das hinter dem aktuellen Hype steht.
Denn wie bei jedem Hype geht es im Kern nicht um ein Netzwerk oder einen Dienst. Vielmehr gilt ein Grundsatz, den Michi Mehring in seinem „Medium“-Artikel zum Thema Influencer Marketing auf den Punkt bringt: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Authentizität das wertvollste Gut ist.“
Er nennt diesen Grundsatz im Zusammenhang mit Multiplikatoren und Influencern, doch auch dem Snapchat- und Livestreaming-Hype liegt der Wunsch, nein, der Hunger nach authentischen, realen und ungestellten Eindrücken zugrunde.
Fans, Kunden, Zuschauer und Netzwerkpartner sind von großen Medieninszenierungen zunehmend desillusioniert. Sie sehnen sich nach echten, ungestellten Einblicken und der Interaktion mit Menschen, die persönlich und direkt mit ihnen sprechen und sie ernstnehmen. Dieses Prinzip können Sie auch dann für Ihre Unternehmenskommunikation nutzen, wenn Sie keine vier- oder fünfstelligen Budgets in Snapchat oder Livestreaming investieren können.
Praxistipps für authentische Unternehmenskommunikation
Bevor ich auf die konkreten Praxistipps eingehe, noch eine Vorbemerkung: Um die Tipps sinnvoll in Ihre Unternehmenskommunikation integrieren zu können, bedarf es möglicherweise einer Haltungsänderung.
In meiner Beratungsarbeit treffe ich immer noch in zu vielen Unternehmen auf die Haltung, dass Unternehmenskommunikation höchsten Qualitätsansprüchen genügen muss, Inhalte perfekt produziert sein müssen und nur geschliffene Formulierungen veröffentlich werden dürfen. Unternehmenskommunikation muss, das bestreite ich keine Sekunde, gewissen Qualitätskriterien genügen und die professionelle Wirkung eines Unternehmens unterstreichen. Doch übertriebene Qualitätsanforderungen können schädlich sein.
Sie verzögern nicht nur die Erstellung von Inhalten, sie können auch deren Wirkung ausbremsen. Zu perfekt produzierte Videos mit Kino-Anmutung können beispielsweise gestellt wirken und den Zuschauer dadurch nicht erreichen. Authentische Unternehmenskommunikation braucht die Balance zwischen guter Qualität und überzeugender Wirkung. Ein Azubi-Video-Tagebuch, auch Vlog genannt, wirkt beispielsweise nur dann authentisch, wenn sich die Kamera auch mal bewegt und nicht alles perfekt ist. Mit diesem Grundsatz im Hinterkopf komme ich zu den Praxistipps, mit denen Sie Ihre Unternehmenskommunikation authentisch und ansprechend gestalten können:
– Ergänzen Sie Ihre bestehende Kommunikation um Einblicke in Ihren Arbeitsalltag und Ihre Arbeitsabläufe. Es geht nicht darum, Unternehmensgeheimnisse zu verraten. Doch Sie können zeigen, wie Themen gefunden, Produkte hergestellt oder Dienstleistungen vorbereitet werden. Kunden interessieren sich dafür, woher ihre Produkte stammen.
– Nutzen Sie für den Einstieg Fotos mit kurzen Kommentaren. Diese können Sie über Instagram, Facebook, Twitter oder anderen Netzwerke publizieren und Ihren Kunden und Netzwerkpartnern so ganz authentische Eindrücke bieten.
– Beziehen Sie Ihre Community mit ein. Stellen Sie Fragen und beantworten Sie diese. Dazu sind Twitter-Q&As, Beitragsserien auf der Facebook Seite oder Blogbeiträge hervorragend geeignet.
– Nutzen Sie Videos, um Mitarbeiter zu Wort kommen zu lassen und Ihrem Unternehmen so ein Gesicht zu verleihen. Meiden Sie zu Beginn Image-Videos oder Azubi-Song-Videos. Diese werden, wenn Sie nicht vom Profi erstellt werden, schnell unfreiwillig komisch. Setzen Sie stattdessen auf kurze Video-Clips, in denen Sie beispielsweise nur eine Frage stellen und die Antwort dazu aufnehmen. In 20 bis 30 Sekunden können Sie Informationen vermitteln, Ihre Kommunikation personalisieren und Ihre Kunden und Netzwerkpartner direkt ansprechen.
– Wenn Sie mit Snapchat oder Livestreaming arbeiten wollen, halten Sie es zu Beginn einfach. In Livestreaming Sessions via Periscope, Facebook Live oder Hangout on Air können Sie zuvor gesammelte Fragen beantworten und Fragen der Live-Zuschauer aufgreifen. Auf Snapchat lässt sich für den Einstieg eine kurze Büro-Tour realisieren.
– Kündigen Sie Livestreams unbedingt rechtzeitig – mehrere Tage im Voraus – über Ihre bestehenden Kanäle an. Stellen Sie sicher, dass Ihre Fans und Kunden vom Livestream wissen und verstehen, wie sie beitreten können. Im Zweifel nutzen Sie den Anlass, um den jeweiligen Livestreaming-Dienst zu erklären und erstellen oder verlinken auf ein Tutorial.
Es geht darum, Ihre Fans direkt anzusprechen, sie einzubeziehen und ihnen einen weitgehend ungeschminkten Einblick in relevante Themen zu geben. Es spricht absolut nichts dagegen, Ihre Kunden und Fans offen zu fragen, was sie beispielsweise in einem Livestream sehen wollen.
Schaffen Sie es, in Ihrer Unternehmenskommunikation das Gefühl zu vermitteln, dass Ihre Fans hautnah und fast live dabei sind und Ihr Unternehmen wirklich kennenlernen, haben Sie es geschafft. Sie haben den Snapchat- und Livestream-Hype erfolgreich für Ihre Unternehmenskommunikation genutzt.