Das selbstfahrende Auto – und was Kommunikation damit zu tun hat

Digitalisierung

Haben Sie das mitbekommen? Das Branchenmagazin Car and Driver meldete, Mercedes-Benz habe eine Antwort auf die Frage gefunden, wen das selbstfahrende Auto der Zukunft im Falle eines Unfalls beschützen soll – den Insassen oder seine Umwelt. Die Meldung basierte auf dem Statement des für „Aktive Sicherheit“ zuständigen Abteilungsleiters beim Pariser Autosalon. Daimler, so der Anschein, hatte den so genannten „Weichensteller-Fall“ zu Gunsten des Insassen entschieden.

Doch schon eine Woche nach der Veröffentlichung der Aussagen ruderte Daimler mit einer Pressemitteilung zurück. Die Aussagen zur „Dilemma-Situation“ seien verfälscht wiedergegeben worden. Die Abwägung von Menschenleben stehe weder Programmierern noch automatisierten Systemen zu. Vielmehr liege der Fokus auf einer risikoarmen Fahrstrategie, um Unfallsituationen gänzlich zu vermeiden. Man wolle einen internationalen Diskurs zu Recht und Ethik, da Daimler nur umsetze, was der jeweilige rechtliche Rahmen und das gesellschaftlich Akzeptierte gestatten. Nun gut.

Bei aller Ethikdiskussion können wir davon ausgehen, dass jeder Autobauer sich aus vertriebstechnischen Gründen dafür entscheidet, seine selbstfahrenden Autos so zu programmieren, dass der Algorithmus sich im Ernstfall für den Schutz der Insassen entscheidet – oder können Sie sich einen Verkäufer vorstellen, der zugibt, man habe etwas unterlassen, was zum Schutz der geschätzten Kunden möglich ist? Und: Würden Sie ein Auto kaufen oder im Car-Sharing nutzen, das Sie zum Schutze Dritter dem Unfalltot opfert? Eben.

Was bedeutet das für uns als Kommunikatoren?

Man stelle sich das nur mal für einen kurzen Augenblick vor: Ein selbstfahrendes Auto weicht in einer Gefahrensituation abrupt aus und überfährt dabei einen Passanten. Wie reagieren Sie als Unternehmenssprecher? Schließlich hat die Software ganz im Sinne des Kunden und damit des Herstellers gehandelt und Schaden vom Fahrer abgewendet. Wie sieht die Krisenkommunikation dazu aus?

Vermutlich werden die entsprechenden Q&As in den Kommunikationsteams der großen Autohersteller bereits vorbereitet. Mit Standardtexten in der Bandbreite vom Kondolenzschreiben bis zur Pressenotiz über das hundertste gerettete Autofahrer-Leben? Mit einem Aktionsplan zum Umgang mit der neu gegründeten Opfer-Vereinigung autonomer Fahrzeuge? Mit einem Standardprozedere, das ein Blumen-Bouquet volldigitalisiert von blume2000.de an die Hinterbliebenen senden lässt? Horrorfantasien? Es mag zynisch klingen, aber solche Fragen werden in unsere Arbeit als Kommunikatoren Einzug erhalten, je stärker die Digitalisierung unseren Alltag bestimmen wird.

Und wenn wir ehrlich sind, gehören sie doch schon heute zum Alltag der Kommunikatoren – denn der Umgang mit ethisch komplexen Problemen war schon immer Teil der Job-Beschreibung für Kommunikatoren. Insbesondere im politischen Bereich, wo Einzelinteressen ganzer Industriezweige oft im krassen Gegensatz zur Mehrheitsmeinung zu stehen scheinen, bedarf es klarer Argumente, oder wenigstens eines dicken Fells, um im Sinne des jeweiligen Absenders glaubwürdig zu kommunizieren. TTIP und CETA lassen grüßen.

Gerade in einer Zeit, in der – so schreibt etwa der Blogger und Kolumnist Sasha Lobo – Menschen Angst vor den vermeintlichen Auswüchsen der Digitalisierung artikulieren, braucht es fachliche Kompetenz der Kommunikatoren, um den Umgang mit digitalen Realitäten vernünftig einordnen zu können. Da ist der breite Diskurs über gesellschaftlich relevante Zukunftsthemen, wie auch Daimler ihn fordert (und zum Beispiel zum autonomen Fahren bereits im vergangenen Jahr mit einer Fachtagung angeschoben hat), notwendig.

Aber unternimmt die Automobilindustrie insgesamt genug, um sich in dieser Frage nicht nur klar zu positionieren, sondern als zentraler Akteur den Diskurs zur Entscheidungsfindung mit zu gestalten? Gleichgültig, wann die ersten vollständig autonom fahrenden Autos für unsere Straßen zugelassen werden: die Autobauer täten gut daran, den gesellschaftlichen Dialog dazu jetzt zu starten. Sonst klappt’s nicht mit dem Aufbau von Vertrauen. Und ohne Vertrauen ist mindestens in Deutschland die Einführung schon bei mehr als einer neuen Technologie gescheitert. Wollen die Autokonzerne das riskieren?

 

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