Das neue Logo der Stadt Saarbrücken

Re-Branding für eine Stadt

Herr Kirmse, was macht ­generell ein gutes Logo aus?

Sebastian Kirmse: Ich dachte früher – und das haben wir auch so gelernt –, dass das Logo die Essenz der Marke ist. Inzwischen ist das anders: Für mich ist ein Logo auch eine Absenderkennzeichnung, die modular in allen Kanälen funktioniert. Wenn ich zum Beispiel als Icon im Web-Browser eine Größe von 32 mal 32 Pixel habe, dann relativiert das den Anspruch, darin die Essenz der Marke packen zu wollen. Das ist aber wichtig zu bedenken, weil ich glaube, dass Marken in der jetzigen Medienlandschaft häufig zerfasern, einfach weil sie gar nicht die formalen Mittel haben, um auf diesen Kanälen zu kommunizieren. Ein Logo ist ein System: Es kann sich responsiv durch alle Medien skalieren. Vom kleinen Zeichen zur großen Kennzeichnung auf Gebäuden – das muss ein Logo heutzutage leisten.

Sind heute Social-Media-­Kanäle auch Treiber dafür, dass Marken ab und zu ein ­Make-over brauchen?

Für ein Make-over kann es verschiedene Motivationen und Impulse geben. Darunter sind auch formale Gegebenheiten wie Social- Media-Kanäle – davon kann man sich treiben lassen oder auch nicht. Zum anderen haben wir bei Kunden häufig die Situation, dass sich Geschäftsmodelle radikal ändern: Unternehmen bekommen Konkurrenz von anderen, die ihr Geschäft nur im Internet verankern, und das Produkt selbst ist die Applikation, die ich im Netz erreichen kann. Da steht gar kein real produziertes Produkt dahinter. In solchen Märkten positionieren sich die Unternehmen dann neu. Und um das nach außen tragen und klar und authentisch kommunizieren zu können, macht es Sinn, auch am Markenzeichen zu arbeiten. Ich finde es schwierig, einem bestimmten Zeitgeist oder Trend im Markenzeichen hinterherzurennen. Das ist das Gegenteil von authentischer Kommunikation.

Haben Sie ein Beispiel?

Es gibt den Trend in den vergangenen fünf Jahren, möglichst emotional, empathisch und menschlich nah zu wirken. Das kommt aus einer gesamtwirtschaftlichen Tendenz, aus einem Servicegedanken heraus. Der schlug sich nieder in Markenzeichen, die sehr rund, sehr organisch und sehr farbig funktioniert haben. Aber wenn wir immer wieder solche Zeichen in die Welt hinausschicken, werden sie verwechselbar.

Nach Diskussionen um die neuen Logos von Mini, Real Madrid oder LG – gibt es ein Logo, das sich Ihnen nicht ­erschließt?

Da fällt mir keines ein. Als Gestalter sieht man ja häufig auch die Motivation hinter dem, was geschaffen wurde. Das hindert mich daran, konkret zu urteilen, weil ich immer die Prozesse sehe, die die Kollegen durchgemacht haben, um auf dieses Ergebnis zu kommen. Ich kenne die Abstimmungsrunden mit Kunden und weiß, dass das, was am Ende den Markt erreicht, nur selten das ist, was die Designer vorgeschlagen haben. Wahrscheinlich muss man den Abstand nehmen und sich denken: „Jetzt guck da doch mal nur als Grafiker drauf!“ Aber das gelingt mir kaum.

Ich habe vor dem Interview eine kleine Umfrage in der Redaktion darüber gemacht, was meinen Kollegen ganz spontan zu Saarbrücken einfiel. Die Antworten reichten von „die Saar“ über „liegt das bei Saarlouis?“, eine bekannte­ ­Gesundheitshochschule und den Max-Ophüls-Preis bis zu „soll ziemlich hässlich sein“. Wie finden Sie es denn?

Ich finde Saarbrücken überhaupt nicht hässlich! Die Zeit, die ich dort verbracht habe, war sehr angenehm, ruhig und mit einer hohen Lebensqualität. Man nimmt sich die Zeit, gut zu essen und den Mittag zu genießen. Ich habe Saarbrücken als sehr nahbare, menschliche und emotionale Stadt empfunden und finde sie auch architektonisch nicht hässlich. Sie hat zwar das Problem vieler deutscher Innenstädte, dass dort in den 70er Jahren Dinge gebaut wurden, die uns heute merkwürdig erscheinen, aber es gibt einen wunderschönen Altstadtkern. Nur die Saaarbrücker leiden unter mangelndem Selbstbewusstsein, weil sie so am Rand von Deutschland stehen.

An welchen Dingen ­orientieren Sie sich bei der ­Logoentwicklung für etwas so ­Abstraktes wie eine Stadt?

Das ist ein Prozess, der sich am Anfang gar nicht so sehr davon unterscheidet, für eine Unternehmensmarke zu arbeiten. Wir versuchen, ihn so aufzusetzen, dass er fast wellenförmig funktioniert. Zu Beginn laden sich die Designer erst einmal mit ganz vielem auf, fragen und sprechen mit Menschen vor Ort, was die Stadt ausmacht. Die Zeit geben wir ihnen auch: Sie lesen, hören Musik, sehen Bilder. Wir waren vor Ort und haben eine Fotodoku für alle beteiligten Kreativen gemacht. Nach diesem Aufladeprozess hoffe ich immer, dass das Team viele kleine Fäden findet, an denen man ziehen kann und an denen entlang Neues entsteht. Nach dem ersten Schritt, in dem wir viel sortieren und erste Ideen auch wieder verwerfen, folgt der zweite, in dem wir uns auf bestimmte Punkte fokussieren. Erst ab dem Moment, in dem wir den ersten Kontakt mit dem Kunden haben, unterscheidet sich der Prozess von dem für eine Unternehmensmarke. Man könnte auch in Saarbrücken Entscheidungen top down fällen, aber ich glaube, dass das Ergebnis dann gefährdet ist.

Was haben Sie dagegen getan?

Wir haben angefangen, die ersten Ideen in Workshop-Modulen immer wieder vor allen Beteiligten, in der Stadtverwaltung und vor ausgewählten Stakeholdern, zu zeigen und deren Rückmeldung in den nächsten Schritt zu integrieren. Ich bin davon überzeugt, dass das klassische Modell der Agentur als Black Box – steck ein Briefing rein und am Ende kommen drei Entwürfe raus – nicht mehr funktioniert.

Welche Stakeholder waren noch beteiligt?

Der gesamte Stadtrat, dazu Vertreter von jedem der städtischen Betriebe – die sollten auch integriert werden, weil deren Branding auf dem der Stadt basiert. Dazu gab es Beteiligte von verschiedenen Interessengemeinschaften und jemandem vom Behindertenverband, der Impulse zur Lesbarkeit und Integration einbrachte. Das war spannend und wichtig.

Das klingt nach viel ­Abstimmungsaufwand.

Ja. Man stellt sich einer Diskussion, und das mag nicht jede Agentur, denn Dialog kann auch anstrengend sein. Man kann nicht immer damit rechnen, dass alle „Juhu“ schreien, aber ich glaube, dass man nur durch den Dialog wichtige Dinge erfährt, die einem entgehen, wenn man in Berlin in der Agentur sitzt und beim formalen Designerdenken bleibt.

Was steckt hinter dem Konzept Change Branding?

Das ist ein Konzept, das wir entwickelt haben. Wir nutzen Fragen aus dem Change Management wie zum Beispiel: „Wie schaffen wir es, im Unternehmen Veränderungen in die Belegschaft zu tragen?“ und integrieren möglichst viele Stakeholder vor Ort so früh wie möglich in den Prozess, um sie für die Veränderung zu sensibilisieren und damit aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Wir schauen, wie wir die Ergebnisse ehrlich und klar nach außen kommunizieren. Und das verbunden mit dem, was wir jeden Tag machen, nämlich Branding. Wenn man eine Marke anfasst, gibt es unterschiedliche Impulse: Einige Menschen möchten keine Veränderung, weil die zwar mit dem, was sie machen, gar nichts zu tun hat, aber die Ängste sind trotzdem da: Mein Arbeitsplatz verändert sich, mein Unternehmen verändert sich. Wir haben den nützlichen Blick von außen, aber können den Blick von innen nur abholen, indem wir möglichst viele Menschen integrieren. Change Branding soll auch bewirken, dass durch einen integrativen Prozess unsere Arbeit möglichst schnell ins Unternehmen getragen wird.

Foto: Laurin Schmid

Die Berliner Agenturräume waren früher die Privatwohnung eines Filmproduzenten, im imposanten Fahrstuhl feierte schon Brad Pitt. Kirmse nahm lieber die Treppe (c) Laurin Schmid

Wird der vermehrte Dialog als Zeichen der Wertschätzung ­gesehen?

Arbeit bedeutet auch Überzeugungsarbeit beim Kunden, weil das Modell neu ist und im klassischen Marketing nur selten so gemacht wird. Wir sind davon überzeugt, dass das einen finanziellen Mehrwert hat, weil wir in der Implementierung viel weniger praktische und emotionale Widerstände erfahren.

Wenn in der Runde auch die städtischen Betriebe ­saßen, ­kamen die Anschlussauf­träge für deren ­Re-­Branding ­automatisch?

Nee (lacht). Es hat eher sogar den Prozess der Identitätsfindung für Saarbrücken schwieriger gemacht, weil es genau die Vorgabe für diese Integration gab. Das Briefing war: ein Branding-System zu entwickeln, das diese Unternehmen mittragen. Die Kombination aus Stadtmarke und städtischem Unternehmen sollte möglich sein. Es gab also keinen Folgeauftrag, sondern ein komplexeres System. Gerade bei einer Stadt sind die Widerstände relativ hoch, aber auch extravagante Designentwürfe müssen ja irgendwann mal auf die Straße.

Bekommen die städtischen Unternehmen dann alle zwei Logos?

Am Ende gab es leichte Modifikationen in ihren eigenen Zeichen, um sie harmonisch ans neue Saarbrücken-Logo anzupassen. Es war wichtig, alle Beteiligten mitzunehmen. Stakeholder sehen selten den Punkt, dass wir mit einem einheitlichen Designsystem auch monetäre Ersparnisse haben, denn wir schaffen Standards. Wie ist ein Briefpapier aufgebaut? Wie sieht ein Formular aus? Wir haben nicht mehr hundert verschiedene davon in der Stadt, sondern nur noch ein System, aus dem sich alles ableitet. Das erleichtert die tägliche Arbeit. Wir haben genau erklärt, warum wir das machen und was die Vorteile sind. Es geht nicht immer nur darum, bis ins letzte Detail den Markenwert zu kommunizieren, sondern Branding hat immer auch eine ganz praktische Komponente.

Die Lösung ist sehr ­typografisch. Wie entstand sie?

Aus dem Briefing ergab sich die eher niedrigkomplexe typografische Lösung, die es uns erlaubt, in die städtischen Unternehmen hinein Marke zu machen. Die kompakte Form im Quadrat kam aus dem Designteam heraus, in dem ein Kollege sagte: „Mein Bild zu Saarbrücken ist die Saar, die sich durch die Berge schlängelt.“ Das war der kleine Faden, an dem gezogen wurde, und dahinter öffnete sich eine ganze Welt. Und auch die Buchstaben trennen sich entsprechend der Stadt, die im kleinen Tal zwischen zwei Bergen steht. Die Saar fließt zwischen den Bergen, sie macht genau in Saarbrücken eine Kurve.

Es erinnert ein wenig an das Logo von Hannover.

Am Ende des Prozesses ist uns die Nähe zu Hannover auch begegnet und wir haben sie intensiv mit dem Kunden diskutiert. Aber hier geht es nicht darum, innerhalb einer Designszene als besonders einzigartig oder kreativ dazustehen, sondern eine gute Lösung zu finden, mit der sich die Menschen identifizieren können, die eine typografische Einfachheit hat und dass wir es gut ausrollen können. Unabhängig von der Hannover-Trennung waren wir inhaltlich total überzeugt von der Berg-Fluss-Komponente. Die Diskussion um die Ähnlichkeit tauchte erst auf, als die Öffentlichkeit aufmerksam und ein Design-Tagebuch veröffentlicht wurde.

Gab es den Claim „Hautpstadt. Ganz nah“ schon?

Der wurde von einer Partneragentur in Saarbrücken neu entwickelt. Wir sind selten diejenigen, die direkt in den Medien agieren, sondern entwickeln eher die Systeme, auf deren Grundlage Kollegen in anderen Agenturen arbeiten können. Die machen dann die konkrete Kommunikation und die Kampagnen. Wir haben mit der Agentur telefoniert, Vorschläge geschickt und ein System entwickelt, in dem man neben das Logo verschiedene Dinge setzen kann wie zum Beispiel ein zweites, ein Co-Branding oder einen Inhalt. Und die Saarbrücker Kollegen haben das dann für ihre Kampagne „Hauptstadt. Ganz nah“ verwendet.

Das Logo vorher…

…und nachher

 

Wo muss das neue Logo jetzt überall hin? Ich kann mir vorstellen, dass man diesen Punkt gerne unterschätzt.

(Lacht) Ja. Das ist wieder ein Thema, das wir über den Change-Branding-Prozess abholen. Uns gibt es als Agentur schon seit 30 Jahren. Aber zu sagen, wir könnten bei aller Erfahrung abschätzen, an welcher Stelle dieses Markenzeichen auftauchen wird, in welchem Formular es in welcher Größe programmiert sein muss – das wäre vermessen. Bei einer kleinen Unternehmensmarke oder einem Mittelständler kann ich das wissen – aber nicht bei einer ganzen Stadt. Aber das ist das Schöne an den Workshop-Modulen: Da wird all das abgefragt, inklusive der Designgrößen.

Was hat Sie in dem Prozess am meisten überrascht?

Mich beeindrucken immer wieder die verschiedenen Arten, in denen Formularköpfe angelegt sind. Und welche Diskussionen wir dann führen. Wenn ich zum Beispiel mit der IT-Abteilung eines städtischen Betriebs über Acht- versus Zwölf-Punkt-Schriftgröße spreche, nachdem mir der Integrationsbeauftragte der Stadt gesagt hat, dass 8,5 Punkt für bestimmte Altersgruppen einfach nicht lesbar ist, und mir die IT dann zurückspiegelt, was die Umstellung an Manntagen beziehungsweise -wochen bedeutet, dann bin ich beeindruckt von der Tiefe der Veränderung, die wir auslösen können. (lacht)

Wie waren die ersten ­Reaktionen auf das neue Logo?

Durchweg positiv. (zögert) Für ein Stadt-Branding aus meiner Erfahrung fast schon zu positiv.

Warum so skeptisch?

Wir haben in den vergangenen Jahren über „be Berlin“, das Rebranding von Riga bis zu dem von Stuttgart viel erlebt. Das visuelle Rebranding einer Stadt erzeugt immer Debatten, weil natürlich viele Interessengruppen mitreden und sich verwirklichen möchten. Ich habe bisher kein Rebranding einer Stadt erlebt, das durchweg positiv besprochen wurde. Das war in Saarbrücken auch nicht so, aber der Rückhalt ist sehr groß. Das freut mich für die Marketing-Verantwortlichen der Stadt, die in den kommenden Jahren damit arbeiten.

Reden hilft also?

Unbedingt. Dialog hilft. Sich seiner eigenen Position bewusst zu werden, hilft auch immer. Das Prinzip der Agentur als Black Box ist tot. Agenturen müssen mal runterkommen vom Elfenbeinturm und von der Denke, alles zu wissen und alles schon gemacht zu haben. Sich auf neue Kunden komplett einzulassen und genau hinzuhören – das hilft.

Was würden Sie gerne mal ­gestalten?

Ich würde gerne die Bundesliga rebranden. Am liebsten die zweite oder dritte Liga. Das ist hochemotional und bestimmt vieler Menschen Leben und Freizeit. Da gibt es noch einiges zu tun.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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