Suche nach dem göttlichen Funken

Kreativdirektorin Britta Poetzsch

Britta Poetzsch arbeitet als Chief Creative Officer bei der auf Markenkommunikation spezialisierten Agentur Track. Zuvor war die 55-Jährige unter anderem für Ogilvy & Mather, die Serviceplan-Gruppe und McCann Erickson tätig. Poetzsch ist Mitglied im Präsidium des Art Directors Club (ADC). Sie moderierte mehrfach Award-Shows beim prestigeträchtigen ADC-Festival.

Frau Poetzsch, Sie sind Chief Creative Officer in einer Werbeagentur. Es ist also Ihr Job, kreative Ideen zu entwickeln und zu bewerten. Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?

Britta Poetzsch: Auf meinem Tisch landen Briefings von Kunden – also Problemstellungen, die ich mit meinem Team lösen muss. Das bedeutet, dass wir uns mit einem Briefing detailliert auseinandersetzen. Dabei entstehen meist schon erste Ideen. Dann verteilen wir die Jobs entsprechend den Kompetenzen. Ich denke mir natürlich auch selbst was aus und schreibe selbst. Ganz viel geht es aber darum, Feedback zu geben, zu inspirieren, Beispiele zu nennen – also das Projekt voranzutreiben und die Teammitglieder abzuholen. Am Ende gilt es, unsere Arbeit für die Kunden so aufzubereiten, dass die sie überzeugend finden.

Was macht für Sie einen kreativen Menschen aus?

Eine grundsätzliche Eigenschaft ist Neugier. Auch absolute Offenheit und die Fähigkeit, Dinge neu zu denken und neu zusammenzusetzen. Es ist fast wie bei einem Kind. Kreativität entsteht allerdings nicht in einem luftleeren Raum. Man bedient sich bei den Erfahrungen und Erlebnissen, die jeder so mit sich trägt.

Kann aus Ihrer Sicht jede Person kreativ sein?

Ich hatte mal einen Professor, der meinte, Kreativität könne jeder. Die Abweichung von der Norm sei schon Kreativität. Da steckt ein Stückchen Wahrheit drin. Auch Forscher und Ingenieure müssen kreativ sein. Kreativität dient am Ende dazu, Probleme zu lösen. Es geht manchmal also gar nicht um den göttlichen Funken, aber manchmal eben doch. Wir arbeiten auch mit Prozessen wie Design Thinking. Damit lässt sich Kreativität fördern und man kommt immer zu einer Lösung.

Kommunikation ist etwas Spezielles. Sie müssen eine Idee entwickeln und etwas visualisieren. Sie brauchen eine Storyline und müssen Geschichten erzählen, die anderen gefallen. Muss diese Art von Kreativität aus dem beruflichen Alltag erwachsen? Oder gibt es auch den Typus „kreatives Genie“, dem die Ideen nur so zufliegen?

Das habe ich noch nie erlebt. Ein Wunderkind ist noch nie durch meine Tür gekommen. Unser Job ist so komplex geworden, dass es nicht mehr das kreative Genie geben kann, das alles macht. Kreation entsteht größtenteils im Team. Wir müssen in vielen unterschiedlichen Themen tiefer drin sein. Das können wir gar nicht als Einzelwesen. Man braucht die Spezialisten dahinter. Austausch, Kritik, Inspiration durch andere und vielleicht auch mal Reibung. Gute Kreation beginnt in meinen Augen oft mit einer Idee – manchmal nur mit einem einzigen Satz, der wie Dünger wirkt und andere inspiriert. Dafür braucht man eine Atmosphäre, in der so etwas überhaupt entstehen kann.

Insbesondere in der Kommunikation gibt es Eitelkeiten. Ideen werden bewusst runtergemacht oder jemand will seine eigenen unbedingt durchdrücken. Wie schafft man eine Atmosphäre, in der jeder das Gefühl hat, seine Ideen frei äußern zu können?

Wenn man im Team arbeitet, gibt es immer Menschen, die meinen, die kritische Stimme in einer Gruppe zu sein, wäre bereits ein sinnvoller Beitrag. Das ist es meistens nicht. Als Kritiker steht man scheinbar gut da. Ideen von vornherein zu zertreten, ist kein Beitrag zur Lösung. So eine Haltung ist der Tod jedes kreativen Prozesses. Mein Tipp ist, solche Leute aus Meetings rauszuwerfen. Oder ihnen die Aufgabe zu geben, selbst mit drei Lösungen zu kommen. In unserer Branche müssen wir allerdings auch damit leben, dass Ideen abgelehnt werden – intern, aber auch von Kunden. Wer es immer flauschig haben will, hat in unserer Branche nichts zu suchen. Damit muss man klarkommen. Allerdings haben Vorgesetzte die Aufgabe, eine Atmosphäre zu schaffen, die angstfrei ist. Das heißt, Feedback zu geben, das jemand anderen nicht zerstört.

Gibt es in der Kommunikation – und insbesondere in Agenturen – nicht weiterhin viele Alphatiere, die den Status gottgleicher Figuren genießen? Die lassen sich doch schwer rauskicken.

Ich nenne diese Personen immer die Silberrücken. Ich habe das Gefühl, dass die aussterben. Alle sind viel mehr Teamplayer, als sie es früher waren. Die Aufgaben sind auch zu komplex, als dass einer alles alleine denken oder dass es um gottgleiches Gehabe gehen kann. Früher gab es so schreckliche Rituale, dass Chefs beispielsweise die Ideen von Junioren in kleine Schnipsel gerissen und daraus das Wort „Tod“ gestreut haben. Wer das heute macht, hätte morgen keine Mitarbeiter mehr.

Welche Aufgaben kommen Führungskräften in einem Kreativprozess zu?

Es ist wichtig, vor allem jüngeren Kolleginnen und Kollegen Ideen und Inspiration zu geben. Ihnen zu sagen, was an bestehenden Ideen sie sich vielleicht mal anschauen sollten. Dann müssen Führungskräfte eine Atmosphäre schaffen, die es ermöglicht, überhaupt in den Austausch zu kommen. Also keine Häme, kein Abkanzeln, keine Arroganz.

Wir stehen unter großem Druck in einem extrem kompetitiven Umfeld. Da lässt es sich nie vermeiden, dass es mal ruppig wird. Klares Feedback ist wichtig, aber zerstörerisches ist schlecht. Als Führungskraft liefert man Inspiration und ist auch ein bisschen Mama. Aber man muss am Ende Entscheidungen treffen. Auch harte.

Wie geht das, ohne jemand anderes zu verletzen?

Meine beste Waffe ist der Humor. Ich versuche, auch harte Ansagen mit einer Prise Humor und Leichtigkeit zu verpacken. Wir arbeiten in der Auftragskommunikation. Da ist es nicht wirklich möglich, sich kreativ auszuleben. Dann sollte man Künstler werden. Es ist ein tougher Job mit einem klaren Ziel.

Insbesondere Kreativagenturen versuchen, auch räumlich ein Umfeld zu schaffen, das Kreativität fördert. Was ist aus Ihrer Sicht sinnvoll? Was sind unnötige Spielereien, die nichts bringen?

Heute sehen Agenturen manchmal aus wie Kindergärten. Das ist aber auch ganz gut, weil sich Arbeit nicht wie Arbeit anfühlt. Dann bleiben alle länger, weil sie es so schön finden und sich alles so locker anfühlt. Wir sitzen in Wahrheit in ganz normalen Großraumbüros und Konferenzräumen. Wir haben auf einer unteren Etage so eine Art Marktplatz, wo man sich vor Corona auch in großen Gruppen treffen konnte. Bei uns sitzt aber niemand auf Schaukeln oder auf Sitzsäcken. Austausch ist gut. Deko brauche ich dafür nicht.

Wie lässt sich Kreativität gegenüber anderen am besten verkaufen?

Man verkauft Kreation am besten mit ganz viel Enthusiasmus. Man muss selbst mögen und richtig finden, was man macht. Man muss es lieben. Außerdem müssen wir unseren Kunden Sicherheit geben. Und begründen können, warum diese Lösung die richtige ist.

Wo kommen Ihnen selbst die besten Ideen? Wie halten Sie diese fest?

Ich bin ein Mensch, der seine Ideen erst einmal jemandem erzählen muss. Ich brauche einen Gegenpart, dem ich mitteilen kann, was mir durch den Kopf geht. Möglichst zertritt das Gegenüber nicht die kreativen Funken, sondern trägt etwas zum Feuerwerk bei.

Was machen Sie, wenn Sie eine Denkblockade haben und nicht mehr weiterkommen? Deadlines nehmen darauf keine Rücksicht.

Ich würde immer sagen: aufhören. Einmal kurz rausgehen, ein Lieblingslied hören, rumtanzen. Was Menschen in kreativen Berufen immer begleitet, sind Selbstzweifel. Das ist aber auch das Schöne an Erfahrung. Manchmal ist sie wie eine Waffe. Ich kann mich darauf verlassen, dass mir immer etwas einfällt. Als Junior-Texterin mit 25 Jahren wusste ich das natürlich noch nicht.

Aktuell ist es schwierig, persönlich zusammenzukommen. Inwieweit hat die Corona-Zeit die Kreativprozesse in Ihrer Agentur verändert?

Wir arbeiten größtenteils remote, nutzen aber auch alle technischen Möglichkeiten, die sich so bieten. Als Agentur haben wir ein sehr gutes Hygienekonzept. Wir können uns also auch unter bestimmten Bedingungen und bei komplexen Aufgaben in der Agentur treffen. Diese Möglichkeit wollten wir uns erhalten. Was mir persönlich fehlt, ist der Zufall. Manchmal entsteht Kreativität aus Zufall. Dass man einen Kollegen an der Kaffeemaschine trifft und der einen auf einen neuen Gedanken bringt. Jetzt muss man sich dafür immer verabreden. Austausch läuft digital. Ich glaube, wir sind davon schon sehr müde. Freude macht es aktuell eher wenig.

Ist es im Berufsumfeld Kreativagentur überhaupt möglich, ganz auf persönlichen Austausch zu verzichten?

Das hängt von der Aufgabenstellung ab. Wer will, kann im Büro unter strengen Auflagen seinen Job machen. Es läuft alles erstaunlich gut. Wir sind es jetzt seit einem Jahr gewohnt, auf Distanz zu arbeiten. Diese Freiheit gefällt mir auch als Kreative gut.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KREATIVITÄT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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