Frau Rogl, auf meine E-Mail-Anfrage für dieses Interview kam ein Autoreply zurück, mit der Bitte um Geduld: Wegen pubertierender Kinder zu Hause müssten Sie E-Mails dreimal lesen, um sie zu verstehen. Wie geht es Ihnen im Augenblick?
Magdalena Rogl: Ich glaube, das Autoreply beschreibt den Status quo sehr gut. Es geht uns gut, und ich weiß, dass wir im Vergleich zu anderen Familien privilegiert sind: Mein Mann und ich können im Homeoffice arbeiten, unsere Kinder sind schon relativ groß, so dass wir uns wenig Sorgen machen müssen. Aber es ist eine Herausforderung, die verschiedenen Bälle in der Luft zu jonglieren und beim Homeschooling den Überblick zu behalten.
Sie haben immerhin Zeit und Kraft für ein anspruchsvolles Ehrenamt – seit Dezember helfen Sie regelmäßig in einem Pflegeheim aus. Was hat Sie dazu motiviert?
Ich habe mich schon während des ersten Lockdowns vor einem Jahr gefragt, welche Relevanz mein Job hat und wie ich in der aktuellen Situation helfen kann. Als die München Klinik, der hiesige städtische Klinikverbund, freiwillige Pflegekräfte suchte, habe ich mich gemeldet. Ich habe ja vor meinem Quereinstieg in die Digitalbranche als gelernte Kinderpflegerin gearbeitet. Mit der zweiten Welle im Oktober kam ein konkretes Angebot, und seit Mitte Dezember helfe ich im Pflegeheim aus, über die Weihnachtsfeiertage und Silvester sehr oft, jetzt immer samstags.
Wie hat Ihre Familie angesichts des hohen Zeitfaktors und der Ansteckungsgefahr reagiert?
Das Thema Ansteckung war recht schnell vom Tisch, da ich vor jedem Dienstantritt auf Covid-19 getestet werde. Über den Zeitfaktor habe ich schon nachgedacht. Aber in den letzten Monaten habe ich viel Zeit mit meiner Familie verbracht, weil zum Beispiel Businesstrips weggefallen sind. Und meine Teenager sind froh, wenn sie am Wochenende auch mal Zeit für sich haben. Also waren wir uns einig. Und ich merke, wie gut es mir tut, wieder etwas Soziales zu tun.
Wie haben die Menschen im Pflegeheim auf Sie reagiert?
Extrem positiv. Das ist für mich die größte Motivation. Die Bewohnenden leben aufgrund der aktuellen Situation isoliert. Besuche sind nur unter strengen Vorkehrungen möglich. Früher gab es im Pflegeheim viele Gemeinschaftsaktivitäten, einen großen Zusammenhalt. Jetzt können sich die Menschen nicht mehr komplett frei im Haus bewegen. Da ist ein neues Gesicht eine tolle Abwechslung. Ich bin für sie immer „das junge Mädchen“.
Welche Aufgaben übernehmen Sie?
Ich unterstütze die Besuchsorganisation, die ein großer logistischer Aufwand ist. Die Besuchenden kommen zu festen Terminen, müssen dann Formulare ausfüllen, einen Corona-Test machen und anschließend auf das Ergebnis warten. Dann helfe ich ihnen in die Schutzkleidung, führe sie in den Besuchsraum und hole die Bewohnenden dazu. Ansonsten helfe ich, wo ich kann – Dokumente kopieren, Dinge von A nach B bringen oder auch mal Putzlappen verteilen.
Gleich an Ihrem ersten Tag, so schrieben Sie auf Twitter, sei viermal der Bestattungsdienst da gewesen. Wie gehen Sie mit belastenden Ereignissen um?
Ich bin relativ resilient. Vielleicht weil ich im Pflegebereich gearbeitet habe. Und der Tod gehört in einem Pflegeheim zur Realität. Belastend ist nur die Häufung. Als ich in den ersten Tagen die Traueranzeigen in der Kapelle angebracht habe, dachte ich, das Schaufenster ist schon so voll, da passt niemand mehr rein. Solche Momente schaffen mich. Umso wichtiger ist es, die Zeit für die Menschen einigermaßen schön zu gestalten und Besuche zu ermöglichen.
Was war für Sie die bislang schwierigste Erfahrung im Pflegeheim?
Da war eine Situation mit einer älteren Dame, die, rückblickend, viel Angst hatte und dadurch sehr aggressiv war. Ich wollte sie nach unten bringen, weil ihre Tochter zu Besuch kam. Doch sobald ich ihren Rollstuhl anschob, fing sie an, laut zu schreien und mit Sachen zu werfen. Ich hatte Sorge, dass andere denken, ich würde ihr wehtun. Aber die Pflegekräfte kannten das schon. Ich habe dann ruhig mit der Dame gesprochen. Es hat lang gedauert, aber am Ende haben wir es zusammen geschafft. Unglaublich schön war, dass diese Frau mich beim nächsten Mal wiedererkannt und gesagt hat: „Ach, Sie sind das junge Mädchen, Sie helfen mir, gell?“
Sie haben über Ihr Engagement getwittert. Manche machen Ihnen das zum Vorwurf: Sie betrieben persönliche Imagepflege.
Ja, ich höre häufiger, dass ich mich profilieren möchte. Ich verstehe den Vorwurf, aber er tut manchmal auch weh. Denn wer mich kennt, weiß, dass das nicht der Fall ist. Ich bin immer schon ehrenamtlich aktiv gewesen, auch als ich noch keine große Social-Media-Reichweite hatte.
Warum machen Sie Ihr Engagement dann öffentlich?
Ich möchte auf die schwierige Situation der Pflegekräfte aufmerksam machen. Neben der ohnehin schon geringen finanziellen und gesellschaftlichen Anerkennung belasten sie die Auswirkungen der Pandemie auf ihren Arbeitsalltag: das Risiko der Ansteckung, das Tragen der Schutzkleidung, die ständig erhöhte Aufmerksamkeit, um Infektionen zu verhindern. Übrigens twittere ich nicht mehr so oft aus dem Pflegeheim, weil es nicht mehr so viel Neues zu berichten gibt. Ginge es mir nur um Imagepflege, wäre das wohl anders.
Und inwieweit profitiert Ihr Arbeitgeber Microsoft von Ihrem Engagement?
Mir ist bewusst, dass ich auch eine Sichtbarkeit für Microsoft habe. Aber darum geht es nicht. Studien zeigen, dass Menschen zufriedener sind, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren. Es fördert auch stark das soziale Miteinander und die sozialen Kompetenzen. Das kann für jedes Team und für jedes Unternehmen nützlich sein. Mein Arbeitgeber stellt drei Arbeitstage pro Jahr für ehrenamtliche Aktivitäten frei. In besonderen Situationen können wir auch mehr Zeit aufwenden.
Sie sprachen davon, viele Bälle in der Luft zu jonglieren. Sie sind auch in anderen Initiativen und viel auf Social Media aktiv sowie gefragte Gesprächspartnerin. Welche Strategie haben Sie, alle Aktivitäten unter einen Hut zu bringen?
Das werde ich oft gefragt: Wie hast du denn jetzt noch die Zeit, dich ehrenamtlich zu engagieren? Aber bei mir ist es eher umgekehrt. Mir gibt mein Engagement viel Kraft. Es hilft mir, aufzutanken und resilient zu sein. Wenn ich weniger aktiv bin, merke ich, dass mir die Balance fehlt. Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit habe ich fest in meinen Lebensalltag integriert, denn sie sind die wesentlichen Faktoren für Glück. Und gerade im Pflegeheim sehe ich, dass ich Dinge zumindest ein kleines Stück weit positiv beeinflussen kann.
Endet mit Corona auch Ihr Engagement im Pflegeheim?
Als Ehrenamtliche kann ich selbst entscheiden, wann ich mein Engagement beenden möchte. Im Moment macht es mir großen Spaß. Ich werde, wenn es die Situation erfordert, womöglich wieder mehr Zeit dort verbringen. Dann könnte ich unbezahlt Urlaub nehmen, das habe ich mit meinem Arbeitgeber schon geklärt.
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