Begeistern können und integer sein

Leadership

Anfang 2021 hat der „pressesprecher“ (heute KOM) ausgewertet, wie alt die 30 Kommunikationschefinnen und -chefs der Dax-Konzerne sind. Heraus kam ein Durchschnittsalter von 51 Jahren. Inzwischen ist der Aktienindex zum Dax 40 angewachsen. An der Altersstruktur hat sich wenig geändert. Sigrid Osterrieth von Delivery Hero und Saskia Leisewitz von Hello Fresh ziehen den Altersdurchschnitt mit 32 beziehungsweise 31 Jahren nach unten. In Start-ups ist der Anteil jüngerer Angestellter generell höher als in klassischen Industrieunternehmen.

Alter gleich Erfahrung gleich Kompetenz – dieses Denken existiert auf Arbeitgeberseite bis heute. Das Muster bricht langsam auf, weil Digitalkommunikation und Social Media immer wichtiger werden. Sie – oder er – müsse viel digitaler als er selbst sein, fasste Oliver Schumacher, Leiter Kommunikation und Marketing bei der Deutschen Bahn, die Erwartungen an seine potenzielle Nachfolgerin in einem Podcast des „PR Report“ zusammen.

Unternehmen, Verbände, NGOs und Behörden wählen ihre Führungskräfte in der Kommunikation nicht aufgrund einer einzigen Kompetenz aus. Firmen, die mit Krisen zu tun haben, werden niemandem die Verantwortung für die Kommunikation übertragen, der hier völlig unbedarft ist. Bei international agierenden Unternehmen schadet Auslandserfahrung nicht. Management- und Beratungskompetenz, Erfahrung in der Teamführung, Empathie und ein sicheres Auftreten gelten als zentrale Qualifikationen für eine Führungsposition. Das Alter darf keine Rolle spielen. Das verlangt das Antidiskriminierungsgesetz.

Der Führungskräfte-Radar 2019 der Bertelsmann-Stiftung, eine repräsentative Befragung unter rund 1.000 Führungspersonen, zeigt, dass Zweifel an den eigenen Führungskompetenzen vom Alter und Erfahrungslevel abhängen. Die Generation Y der zwischen 1980 und 2001 Geborenen zeigt mit 43,8 Prozent die größten Führungszweifel. Bei den Babyboomern der Jahrgänge 1946 bis 1964 haben derartige Sorgen nur etwa 20 Prozent. Die Studienautoren kommen zu dem Ergebnis, dass „Zweifel kein verlässliches Zeichen für mangelnde Führungseignung der Personen, sondern oft Ergebnis schlechter Führungsbedingungen“ seien. Zweifel sollte man nicht pauschal als negativ bewerten, solange sie nicht mit Entscheidungsschwäche einhergehen. Sie können ein Antrieb sein, kontinuierlich zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

„Wenn man plötzlich die Gesamtverantwortung hat, fühlt es sich ein bisschen so an, wie ein Pilot zu sein, der zum ersten Mal fliegt“, beschrieb Maximilian Heiler in einem „pressesprecher“-Interview einmal seine Gedanken, als er mit Ende 20 bei Eon Energie Deutschland die Leitung der Kommunikation übernahm. „Ich habe mich vor allem gefragt, wie das Team reagieren würde und wie die Fremdwahrnehmung sein wird: Treffe ich die richtigen Entscheidungen? Nehme ich die Leute mit? Was ist eigentlich, wenn man versagt? Entwickle ich genug Empathie für die Bedürfnisse der Mitarbeiter?“ Heute leitet Heiler die Kommunikation bei Swiss Life.

Wie sehen andere jüngere Führungskräfte ihre Rolle? Wie gehen sie mit ihrer Verantwortung um? Das haben wir Florian Amberg von Munich Re und Marlena Schönfeld von der Agentur Butter gefragt.

„Vertrauen ist zentral“

Florian Amberg © Andreas Pohlmann

Zu Ambergs Team gehören 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit jedem Einzelnen will er mindestens einmal pro Quartal abseits des Tagesgeschäfts sprechen. © Andreas Pohlmann

Florian Amberg (37) leitet bei Munich Re, einem Versicherungskonzern mit rund 40.000 Angestellten, die globale externe und interne Kommunikation. Mit 31 Jahren war Amberg Kommunikationschef bei Ergo Direkt. Personalverantwortung für einen Volontär übernahm er mit 25 Jahren bei der HypoVereinsbank. Amberg ist Präsidiumsmitglied im BdKom.

Welche Erwartungen hat Amberg an eine Führungskraft? „Für mich ist ‚Vertrauen‘ zentral“, sagt er. Vertrauen hat für ihn zwei Seiten. „Zum einen geht es um Vertrauen in den Charakter. Heißt: dass jemand integer und verlässlich ist, niemanden verarscht und klar in seinen Aussagen ist. Zum anderen gibt es Vertrauen, das die Kompetenz betrifft. Beherrscht jemand sein Handwerk? Ich möchte einer Führungskraft fachlich und menschlich vertrauen.“

Fachliche Expertise bedeutet nicht, dass jemand automatisch eine gute Führungskraft ist. Für Kommunikator*innen in Leitungsfunktionen, deren Arbeitstag von Koordinations- und Managementaufgaben dominiert ist, ist es nicht möglich, überall über Detailwissen zu verfügen. Die Kanäle sind zu komplex. Genauso die technischen Anforderungen. Aber auch inhaltlich ist die Themenvielfalt in Organisationen so groß, dass Fachwissen nicht bei einer Person liegen kann.

So sieht es auch Amberg. „Wir müssen uns verabschieden vom Glauben, jede Führungskraft müsse alles schon können oder mitbringen. Es geht vor allem um das Dazulernen. Man benötigt eine steile Lernkurve“, sagt er. Für ihn sind entscheidende Kompetenzen eine schnelle Auffassungsgabe, die Fähigkeit, Fragen zu stellen und zu reflektieren. Eine Führungskraft sollte ein guter Zuhörer und analytisch stark sein. „Ein zu großes Ego ist in den seltensten Fällen dienlich“, meint Amberg. Es nehme einem den Blick für neue und bessere Lösungen.

Das Ergebnis: Es regiert das Bauchgefühl. Argumente fallen unter den Tisch. Man will Recht haben und etwas durchdrücken.

Eine Führungsrolle geht meist mit Personalverantwortung einher. Teammitglieder wollen beruflich weiterkommen und haben eigene Karrierepläne. Es gilt, sie zu fördern und ihr Potenzial zu erkennen, aber auch Defizite anzusprechen, wenn die Leistung nicht zufriedenstellend ist. „Meine Verantwortung als Manager ist es, Dinge klar zu adressieren, wenn es hakt, und gleichzeitig konstruktiv und wertschätzend zu bleiben“, sagt Amberg. Inhaltlich hält er nichts von Mikromanagement. Das führe in die „Hölle“. Man müsse anderen eben vertrauen können.

Zu Ambergs Team gehören 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – unterschiedliche Charaktere. Einige mögen eine persönliche Atmosphäre. Andere sind eher distanziert und wollen allein die Arbeitsebene in den Mittelpunkt stellen. So ist es in fast jeder Organisation. Für den Kommunikationsmanager ist es wichtig, mit jedem Teammitglied mindestens einmal pro Quartal abseits des Tagesgeschäfts zu sprechen. Persönliche Sympathien für Einzelne dürften in der Bewertung der Leistung keine Rolle spielen, betont er. „Es geht um den professionellen Kontext.“

Wie kann man sich als Führungskraft weiterentwickeln? Der Kommunikationsmanager ist Coaching-Fan. „Ich bin ein großer Freund davon, sich anlassbezogen selbst zu hinterfragen. Eine andere Perspektive zu hören, ist etwas Wohltuendes“, sagt er. Mitglieder aus seinem Team könnten deshalb regelmäßig Coaching-Angebote wahrnehmen.

Andere mitreißen können

Foto: Butter GmbH

Was mache ich selbst? Was gebe ich ab? ­Marlena Schönfeld ­findet es manchmal schwierig, die ­richtige Balance zu finden. © Butter GmbH

Marlena Schönfeld ist seit Anfang des Jahres Kreativdirektorin bei der Agentur Butter. Sie habe es „geschafft, sich in nur etwas mehr als vier Jahren von der Textpraktikantin zur Kreativdirektorin hochzuarbeiten“, schreibt die Kreativagentur in ihrer Pressemitteilung. Die 29-Jährige verantwortet die Kreation mehrerer Etats und ist jetzt stärker in Bewerbungsprozesse und die Ausbildung eingebunden.

Schönfeld ist in ihrer aktuellen Rolle noch recht neu. Was empfindet sie als die größten Herausforderungen? „Mir fällt es noch schwer, die Balance zu finden, was ich selbst mache und was ich delegiere“, sagt sie. Aufgaben auch mal abgeben. Zu Führung im kreativen Bereich gehört es dazu, die Arbeit anderer zu bewerten, Impulse für neue Ideen zu geben und selbst gute Vorschläge zu verwerfen, wenn sie nicht passen. Und Freiräume schaffen, dass Mitarbeiter*innen „out of the box“ denken. Eine Hand-on-Mentalität erwartet Schönfeld auch von Führungskräften. „Man sollte nie den Punkt erreichen, an dem man sich für bestimmte Aufgaben zu schade ist. Sondern das Team immer so unterstützen, wie es gerade nötig ist.“

Für die Düsseldorferin hat gute Führung viel mit Empathie zu tun. „Wie gehe ich auf die Mitarbeiter*innen ein? Fühlen die sich wertgeschätzt? Jedem das Gefühl zu geben, ‚es ist cool, dass du hier bist und was du machst‘.“ Führungskräfte müssten Begeisterungsfähigkeit mitbringen. „Man muss sich für seine eigenen Projekte begeistern und andere mitreißen können.“ Ähnlich wie Florian Amberg hält die 29-Jährige eine hohe Lernbereitschaft für entscheidend. „Führungskräfte sollten wissen, was sie gut können, aber auch, was sie weniger gut können. Es ist utopisch zu glauben, nur weil man in einer besonderen Position ist, alles besser zu können“, sagt sie.

Bei Kreativleistungen ist es nicht möglich, Entwürfe und Kampagnen immer anhand messbarer Parameter zu bewerten. Persönliche Präferenzen und das Gefühl spielen zwangsläufig eine Rolle. Vertrauen in die Entscheidungen und die Kompetenz anderer ist absolut notwendig. Agenturen haben den Ruf, dass sich „Agenturstars“ und kreative Köpfe ausleben können, Vorschläge schon mal abgebügelt werden und Wertschätzung auf der Strecke bleibt. Für Agenturen, die sich aktuell schwer damit tun, neues Personal zu finden und für den Nachwuchs attraktiv zu sein, ist eine schlechte Führungskultur schädlich. „Jeder muss sich wohlfühlen. Es ist wichtig, gute Leute zu halten“, meint Schönfeld.

An welchen Stellen im Beruf merkt sie, dass ihr noch Führungserfahrung fehlt? „Erfahrung bringt auch immer Gelassenheit mit sich. Die fehlt mir noch an der einen oder anderen Stelle. An viele Sachen gehe ich noch recht blauäugig ran und entscheide intuitiv, weil ich noch nicht auf anderes in der Vergangenheit zurückgreifen kann“, erklärt sie.

Schönfeld mag den Eins-zu-eins-Austausch und Feedbackgespräche. Andere Chef*innen hassen genau diese Aufgaben am meisten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.

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