Die kniffelige Autorisierung

Talking Digital

Ein Glück, dass ich für diesen Text keine Zitate abstimmen musste. Er ist so kurz vor Redaktionsschluss entstanden, dass er – wäre eine Autorisierung notwendig gewesen – es wohl nicht rechtzeitig für diese Ausgabe geschafft hätte. Wörtliche Zitate aufschreiben, an die interviewte Person schicken, darauf hoffen, dass keine großen Änderungswünsche zurückkommen, schlimmstenfalls um Formulierungen feilschen. Seien wir ehrlich: Für Medienschaffende ist das häufig ein nerviger und bremsender Prozess.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Abstimmung von wörtlichen Zitaten grundsätzlich mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt. Ja, ich weiß, dass wir mit dieser typisch deutschen Praktik im internationalen Vergleich eine Sonderrolle einnehmen. Und dass die Autorisierung gelegentlich auch die Veröffentlichung von Interviews verhindert.

Trotzdem will ich diese Praktik nicht missen. Und das sage ich nicht, weil ich heute in der PR arbeite. Auch während meiner Zeit als Journalist habe ich dem Autorisierungsprozess sehr viel Gutes abgewinnen können. Zum Beispiel: Das Wissen darüber, dass alles Gesagte vor Veröffentlichung noch mal gecheckt wird, ermöglicht aus eigener Erfahrung deutlich lockerere Gespräche. Wem, wie im angloamerikanischen Raum, diese Chance nicht gewährt wird, der achtet penibel auf seine Wortwahl und bietet wenig Angriffsfläche. Auf der anderen Seite können Medienschaffende sichergehen, dass sie die interviewte Person korrekt verstanden haben. „Das habe ich so nie gesagt!“ ist dann kein gültiger Vorwurf mehr.

So viel zur Theorie. In der Praxis allerdings wird versucht, die Grenzen dieses Autorisierungsprozesses stets neu zu verhandeln. Da werden Fragen gerne mal umformuliert, ganze Antworten ersatzlos gestrichen oder beim Anblick des Gesamtwerkes das komplette Interview zurückgezogen.

Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist: Medienschaffende selbst sind ironischerweise diejenigen, die sich beim Freigeben von Zitaten besonders häufig querstellen. Chefredakteur*innen, Ressortleiter*innen, Content Creator – sie alle sollten es doch eigentlich besser wissen. Nach dem Motto: „Okay, ich weiß, dieser Prozess ist uns immer sehr lästig. Ich versuche, ein Vorbild zu sein und es für die andere Person so angenehm wie möglich zu gestalten.“

Ich habe mich oft gefragt, woran das liegen mag. Liegt es an der Eitelkeit? Klar, Medienschaffende lieben es, ihren eigenen Namen über und in einem Text zu lesen. Aber sie sind nicht zwingend eitler als andere Menschen, die eine exponierte Stellung besitzen. Dann vielleicht, weil sie sich häufig nicht korrekt verstanden fühlen? Das kann eigentlich nicht sein, schließlich sind sie es gewohnt, sehr sauber und konkret zu formulieren. Eventuell, weil sie wissen, was sich andere erlauben – und deshalb selbst einmal ihre Macht ausspielen wollen und in Rotstiftekstase gelangen? Schon eher. Der wohl wahrscheinlichste Grund: Weil sie – verständlicherweise – sehr hohe Ansprüche an ein gutes Interview haben. Und das, was ihnen zur Freigabe zugesandt wird, nicht ihrem Anspruch genügt.

KOM kooperiert mit dem Podcast „Talking Digital“, der alle zwei Wochen mit einer neuen Folge erscheint und auch über die KOM-Website abrufbar ist. Giuseppe Rondinella moderiert den Podcast gemeinsam mit Kristin Dolgner und Sachar Klein. In Episode 91 ging es um den Autorisierungsprozess bei Interviews.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Medienarbeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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