Die Stimme aus dem Rathaus

Kommunale Kommunikation

Wer mit dem Zug in die Stadt Achim reist, sieht als Erstes einen vollbeschmierten Bahnhof. Die Wände im Verbindungstunnel zwischen den Gleisen sind mit Graffiti besprüht. Müll und Scherben liegen herum. Der obligatorische Modergeruch ist ebenfalls präsent. Oben angekommen, wird es schöner. Es sind etwa 700 Meter zu Fuß bis zum Rathaus. Das liegt am Marktplatz, der in Achim Bibliotheksplatz heißt. Überraschenderweise befindet sich hier die Stadtbibliothek, die wiederum im Rathausgebäude untergebracht ist. Ansonsten gibt es im Zentrum in einer Passage ein paar Einkaufsläden, Bäcker, ein asiatisches Restaurant, zwei Banken, eine Feuerwache und ein weiteres Restaurant, das einen Mittagstisch anbietet. Es ist das typische Flair einer niedersächsischen Kleinstadt, die in diesem Fall etwa 32.000 Einwohner zählt, zum Landkreis Verden gehört und bei Bremen liegt.

Achim hat einen Pressesprecher: Kai Purschke. Für Städte dieser Größenordnung ist das nicht selbstverständlich. Purschke betritt Neuland. Er ist der erste Sprecher, der diese Funktion in Achim überhaupt ausübt. Purschke ist auch der erste professionelle Kommunikationsbeauftragte einer Stadt im Landkreis Verden, wenn man die Kreisverwaltung selbst ausklammert.

Sein Büro musste der 46-Jährige wegen der Landtagswahl in Niedersachsen räumen. Die Kommune brauchte Platz für die Briefwahl, so dass das Gespräch mit dem Sprecher im Besucherbereich des Raumes stattfindet, in dem normalerweise der Stadtrat tagt. Das passt wiederum. Die Entscheidung, einen städtischen Pressesprecher zu installieren, ist eine politische. So war es auch in Achim. Ist es das wert? Gibt es genug zu tun? Woher kommt das Budget für eine hauptamtliche Stelle, die dann – wie in Behörden üblich – meist von Dauer ist und den städtischen 70-Millionen-Euro-Haushalt jährlich belastet? Vorbehalte gab es. Insbesondere Bürgermeister Rainer Ditzfeld habe sich für die Stelle starkgemacht, heißt es.

Purschke war vor seinem Amtsantritt im Januar 2022 Redaktionsleiter beim „Achimer Kurier“ und bei den „Verdener Nachrichten“. Einiges über das Auswahlverfahren und die Gründe, warum die Stadt einen Pressesprecher benötigt, lässt sich in Lokalmedien wie der „Kreiszeitung“ und im „Weser-Kurier“ nachlesen. Es gab zum Beispiel einen Elevator Pitch. In einer simulierten Fahrstuhlfahrt galt es, den Bürgermeister von sich zu überzeugen. Auch mussten die Kandidatinnen und Kandidaten aus einer komplexen Verwaltungsvorlage eine Pressemitteilung schreiben. Den Job bekam Purschke, der jetzt als Einzelkämpfer die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt leitet. Alles, was mit Presse und Social Media zu tun hat, fällt in seinen Aufgabenbereich.

Themen der Stadt

Wie sieht Purschkes Arbeitstag aus? „Zum einen mache ich proaktive Pressearbeit. Das heißt Pressemitteilungen formulieren und mit den Abteilungen abstimmen“, sagt er. „Zum anderen Presseanfragen beantworten, Pressekonferenzen vor- und nachbereiten und seltener Grußworte und Einladungen schreiben.“ Was ist mit Social Media? „In den sozialen Netzwerken sind wir bislang auf Facebook, was ich ebenfalls betreue. Außerdem bespiele ich die Internetseite der Stadt“, fasst Purschke seine Aufgaben zusammen. Er sei „kein persönlicher Referent“, „kein Protokollant“ oder „Adjutant“ des Bürgermeisters. Purschke spreche für die Stadt. Mit den einzelnen Verwaltungsbereichen definiere er die Themen. Einiges komme aus den Abteilungen oder Purschke macht selbst Vorschläge, was für die Öffentlichkeit interessant sein könnte. Anderes ergibt sich aus der aktuellen Lage. Der Pressesprecher ist zusätzlich Mitglied in verschiedenen Krisenstäben. Gäbe es einen Katastrophenfall, wäre er zentraler Ansprechpartner der Stadt Achim für die Medien.

Doch auch ohne Katastrophen befinden sich viele Städte im Dauerkrisenmodus. Als der Ex-Journalist im Januar anfing, war Corona das dominierende Thema. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Die Unterbringung von Geflüchteten wurde zu einer kommunalen Aufgabe. Aktuell zwingt die Energiekrise Städte zu Einsparungen bei Strom und Gas. Die gilt es zu erklären. Themen, die die Bundespolitik bestimmen, wirken sich oft lokal aus. Probleme in der Umsetzung zeigen sich hier in der Praxis.

Heißt konkret: Die Stadt verkündete beispielsweise kürzlich, dass sie nachts die Straßenbeleuchtung ausschalten werde, was die Nachrichtenagentur dpa zu einer deutschlandweiten Meldung machte. Sonntags bis freitags in der Zeit von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr bleibt es dunkel. In den anderen Nächten von 1 Uhr nachts bis 5 Uhr morgens.

Purschke sagt, er erhalte etwa 20 Presseanfragen pro Monat. Die Stadt in Niedersachsen besitzt eine weitgehend intakte Medienlandschaft, wie sie in Regionen in Ostdeutschland längst nicht mehr zu finden ist, weil die Lokalzeitungen sich auf größere Städte konzentrieren. In Achim gibt es zwei Lokalredaktionen mit einer Auflage von etwa 12.000 Exemplaren. Dazu mehrere Anzeigenblätter und ein Bürgerradio, die regelmäßig über Achim berichten. Wichtig für die Region sind zudem der NDR und das Magazin „Buten un Binnen“ von Radio Bremen, dazu die Nachrichtenagentur dpa.

Warum braucht Achim einen Pressesprecher? Die Antwort ist einfach: Vorher fühlten sich die Menschen in der Stadt schlecht informiert. Die Lokalmedien kritisierten die Verwaltung. Die „Kreiszeitung“ listet in einem Artikel einige Beispiele auf, was in der Vor-Pressesprecher-Zeit kommunikativ schieflief. Nach einem Heizungsausfall an einer Grundschule habe die Stadt widersprüchliche Angaben gemacht, ob Unterricht stattfinden könne oder nicht. Über Straßensperrungen oder Schließungen von Bädern und Bibliothek sei ungenügend informiert worden. Menschen standen vor verschlossenen Türen und wurden wütend. Es klingt trivial. Nur wer mehrfach zu spät zur Arbeit kommt, weil die Straße vor der Haustür plötzlich gesperrt ist oder man eine Umleitung fahren muss, kann über fehlende Informationen nicht mehr lachen.

Achim in Niedersachsen

Weniger Frust in der ­Verwaltung

Auch in der Verwaltung machte sich Frust breit. Pressearbeit wurde auf das reguläre Pensum einfach draufgesattelt. Macht mal! Allerdings besitzt nicht jeder Verwaltungsangestellte die Fähigkeit, einen Pressetext schnell und für die Medien brauchbar runterzuschreiben. „Viele Mitarbeitende brauchten sehr lange dafür und taten sich damit schwer. Dann hat es irgendwann keiner mehr gemacht beziehungsweise immer seltener oder es wurde nicht zeitnah genug informiert“, erklärt Purschke, der die Situation als Journalist jahrelang von außen beobachtete und kritisierte. „Jetzt sprechen die Kollegen mit mir, müssen mir nur Stichpunkte nennen – etwa zu Straßensperrungen. Ich mache daraus eine Meldung, die dann oft weitgehend unverändert in der Zeitung landet. Der Erfolg ist für unsere Angestellten sichtbar.“ Beinahe jeden Tag gibt es inzwischen eine Meldung oder Ankündigung auf der Achimer Website und damit in der Lokalpresse.

Was sind die Herausforderungen für eine Stadt wie Achim? Besonders schwierig sei es, junge Menschen zu erreichen, berichtet Purschke. Das Problem haben größere Städte, Parteien und Unternehmen ebenfalls. Achim wächst. Einige Firmen produzieren hier. Die Nähe zu Bremen hilft. Politisch gehörte es in den vergangenen Jahren zu den Schwerpunkten, das Schul- und Kitaangebot zu verbessern. Für Familien, die sich ein Einfamilienhaus mit Garten wünschen, werden Kleinstädte immer dann interessant, wenn Infrastruktur und Anbindung an Zentren passen und Arbeitsplätze vorhanden sind.

Achim ist seit Mai auf Facebook vertreten – ein erster Schritt zu einer direkten Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern. Der Account hat aktuell rund 640 Follower. Das Problem mit Facebook: Junge Menschen sind hier kaum noch unterwegs. Die tummeln sich auf Instagram oder Tiktok und schauen Youtube-Videos. Auf Twitter findet sich ein Account der Stadt, der aber von der Stadt nicht betrieben wird und bei dem nicht klar ist, wann und wie der überhaupt angelegt wurde.

Purschke denkt darüber nach, es mit Instagram zu probieren. Das Problem sei die fehlende Zeit, um Beiträge professionell zu moderieren. In Achim hat man sich deshalb entschieden, erst einmal einen Kanal konstant zu bespielen und nicht überall gleichzeitig zu starten, nur um dann festzustellen, dass dafür die Ressourcen nicht reichen.

Wie fällt in Achim das Zwischen­fazit nach etwa einem Jahr Pressesprecher aus? Der erste Stadtrat Daniel Moos hebt zwei Aspekte hervor: „Lokalmedien haben jetzt einen festen Ansprechpartner und wir informieren proaktiv die Presse. Zum anderen ist vielen Mitarbeitern in der Verwaltung eine Last von den Schultern gefallen, weil sie wissen, dass sich jemand professionell um die Pressearbeit kümmert.“ Unter den rund 90 in der Kernverwaltung tätigen Mitarbeitern sei ein neuer Spirit entstanden. Pressesprecher Purschke meint, einigen Angestellten seien womöglich die Befürchtungen genommen worden, überhaupt in der Zeitung aufzutauchen. Sie fänden das inzwischen sogar gut und freuen sich, dass ihre Arbeit sichtbar ist.

Insofern sorgt der Pressesprecher indirekt für bessere Stimmung. Als Verwaltungsmitarbeiter ständig von Lokalmedien und Bürgerinnen und Bürgern vorgehalten zu bekommen, wie schlecht die Stadt informiere, dürfte alles andere als motivierend sein.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Medienarbeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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