Frau Schmeitzner, Sie sind Pressesprecherin der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben?
Ich spreche in Deutschland für die EU-Kommission. Ich erkläre, was in der Kommission passiert und was ihre Pläne sind. Und ich informiere Brüssel darüber, was gerade hier in Deutschland passiert und worüber diskutiert wird in den Medien. Ich leite ein Team von sieben Leuten hier in Berlin, von denen alle auf bestimmte Themen spezialisiert sind. Darüber hinaus sorge ich dafür, dass unsere Produkte wie unser Newsletter inhaltlich ansprechend gestaltet sind. Dazu kommt der Blick auf die Strategie: Wie stellen wir uns für die nächsten Monate auf? Wie für das nächste Jahr? Welche Veränderungen müssen wir vornehmen? Es gibt in der Medienlandschaft immer wieder Entwicklungen, auf die wir uns neu einstellen müssen.
Wie hoch ist der Anteil der Arbeit mit der Presse?
Das macht schon einen wesentlichen Teil aus. Wir erhalten jeden Tag zahlreiche Anfragen von Medien aus den unterschiedlichen Bereichen. Ich würde sagen, es sind je nach Tag 20 bis 40 Prozent.
Auf Ihrer Website veröffentlichen Sie Pressemitteilungen. Welche Kriterien müssen Themen und Nachrichten erfüllen, damit sie bei Ihnen zur Meldung werden?
Erst mal muss das Thema wichtig sein. Es muss sich also auf unser Leben auswirken. Es schadet nie, wenn es einen Aufhänger gibt, der nach Deutschland reinreicht und am besten noch heruntergebrochen werden kann auf ein regionales oder lokales Beispiel. Alles, was mit Bürgerbeteiligung zu tun hat – also zum Beispiel ein Aufruf, sich zu einem Gesetzesvorhaben oder Plan zu äußern –, ist bei uns immer gesetzt. Es ist auch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die demokratische Teilhabe funktioniert und Europa, das häufig diffus erscheint und weit weg wirkt, ein Gesicht bekommt. Den Einzelnen soll klar werden, etwas mitgestalten zu können.
Inwieweit entscheiden Sie selbst, welche Themen Sie aufgreifen? Gibt es Vorgaben aus Brüssel?
Wir setzen uns immer morgens als Team zusammen und schauen auf das, was die Liste aus Brüssel an Themen enthält. Die ist mal länger, mal kürzer, so wie jetzt zu Ostern. Dann entscheiden wir gemeinsam im Team. Es gibt keine Vorgaben aus Brüssel.
Zur Europapolitik gehört, dass Prozesse langwierig sind und bei Gesetzesvorhaben eine Vielzahl von Institutionen und Gruppen konsultiert werden müssen. Kommunizieren Sie nur die Entscheidung oder auch den Weg?
Wir kommunizieren auch den Weg. Meist beginnt die Kommunikation sehr früh, wenn beispielsweise die Kommissionspräsidentin im Herbst in ihrer großen Rede zur Lage der Union etwas ankündigt oder aufgreift. Dann wissen wir bereits, dass in einem Bereich etwas passieren wird. Anschließend folgen die Konsultationen. Dann kommt meist ein Vorschlag der EU-Kommission. Den komplizierten Gesetzgebungsprozess von Parlament und Ministerrat mit den 27 Mitgliedstaaten begleiten wir, bis etwas zum Gesetz wird. Und auch das melden wir dann wieder.
Sie kommunizieren für die Menschen in Deutschland. Welche Relevanz hat für Sie die Position der Bundesregierung, die wie beim Verbrenner-Aus von den Positionen der anderen Staaten abweichen kann?
Es ist nicht unsere Aufgabe, in eine Pressemitteilung zu schreiben, was die Bundesregierung will. Das machen das Bundespresseamt, das Kanzleramt oder die Ministerien. Wir arbeiten aber natürlich nicht im luftleeren Raum. Wir sind auch die Verbindung zwischen dem, was in Brüssel in der Kommission passiert, und was hier in der Gesellschaft oder in den Ministerien geschieht. Es ist genau unsere Aufgabe zu erklären, was auf der einen oder anderen Seite passiert.
Mit welchen Journalisten haben Sie den intensivsten Kontakt?
Uns kontaktieren vor allem Journalisten aus Deutschland. Die Kolleginnen und Kollegen aus Brüssel nutzen ihren kurzen Weg zur Kommission dort. Meist sprechen wir mit Journalisten der größeren Medienhäuser wie Zeitungen oder TV-Sender. Regionale Anfragen sind eher selten. Wenn, dann sind es meist Themen, die ad hoc hochkommen, wie zuletzt die Grundnetzfischerei. Daran waren vor allem Zeitungen aus dem nordwestlichen Bereich Deutschlands interessiert. Allerdings habe ich die Medien überwiegend selbst kontaktiert und gefragt, ob sie Informationen wollen. Wir bemerken manchmal eine gewisse Hürde bei kleineren Medien, uns zu kontaktieren. Dabei wäre es so einfach, bei uns anzurufen und um Informationen zu bitten. Genau dafür sind wir ja da. Und deshalb versuchen wir, etwas daran zu ändern, und organisieren zum Beispiel Informationsreisen für Medienleute nach Brüssel.
Welche Themen interessieren die Journalisten besonders? Sind es am Ende doch Verbraucherthemen wie der Krümmungsgrad einer Banane?
Da gibt es eine große Bandbreite: von der Taxonomie über Stand-by von Elektrogeräten und die Energieeffizienz bis zu Schleppnetzen in der Fischerei. Speiseinsekten waren Anfang des Jahres ein großes Thema. Auch beim Verbrenner-Aus wurde viel bei uns angerufen. Aufgrund der Vielfalt ist es wichtig, dass wir ein Team haben, das sich die Themen aufteilen kann. Anfragen sind häufig technisch so detailliert, dass wir Rücksprache mit Brüssel halten, wenn wir Expertinnen und Experten für genau dieses Thema brauchen. Es ist jedenfalls weit mehr als nur Verbraucherschutz.
Welche Funktionen gibt es in Ihrem Team?
Hier in Berlin habe ich ein Team von sieben Leuten plus ich selbst. Dazu kommen noch Kolleginnen und Kollegen in den beiden Regionalvertretungen München und Bonn. Unser Social-Media-Team rekrutiert sich aus dem Gesamtteam. Alle können Social Media, aber vier Personen sind dafür der harte Kern.
Die Vertretung der EU-Kommission hat nach meinem Empfinden für die breite Öffentlichkeit kein Gesicht. Inwieweit ist es Teil Ihrer Arbeit, dafür zu sorgen, dass die Repräsentanz mit einer Person verbunden wird?
Ich habe das Glück, dass der Leiter unserer Vertretung hier in Berlin, Jörg Wojahn, den Medien sehr zugetan ist und gerne Interviews gibt. Ich habe also keine Probleme, wenn ich mit Ideen auf ihn zukomme wie zum Beispiel Anfang des Jahres, als er in einem Podcast eine halbe Stunde über den „Traum Europa“ gesprochen hat. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ein Interview mit Ursula von der Leyen medial mehr zieht als ein Interview mit dem Leiter der Kommissionsvertretung.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kennt fast jeder in Deutschland. Inwieweit sehen Sie es als Ihre Aufgabe, Frau von der Leyen in einem guten Licht erscheinen zu lassen?
Sie ist natürlich, um es salopp zu sagen, meine Chefin. Ich schaue besonders auf ihre Reden und ihre Auftritte. In den allermeisten Fällen ist das auch eine Meldung für unseren Newsletter. Zum Beispiel als sie neulich ihre programmatische Rede zu China gehalten hat. Die fand ich wahnsinnig spannend – und da sagt mir niemand, dass wir dazu etwas machen müssen. Aufgrund des Gehalts der Rede, des strategischen Gesamtaufbaus und der Gedanken, die darin enthalten sind, muss das als Botschaft von uns prominent weiterverbreitet werden. Das ergibt sich aus sich selbst heraus. Wir sind nicht dazu da, Bilder auszuwählen, die Frau von der Leyen besonders vorteilhaft in Szene setzen. Da ist ihr Social-Team näher dran. Uns geht es darum, die Inhalte bestmöglich zu erklären. Es ist hilfreich, mit ihr eine Person zu haben, die sehr bekannt ist, deren Name zieht und mit der man Botschaften wie den Green Deal verknüpfen kann.
Sie sind als Repräsentanz auf Facebook, Twitter und Instagram präsent. Wie würden Sie Ihre Social-Media-Strategie beschreiben?
Wir haben ein Auge auf alle sozialen Netzwerke, die es so gibt. TikTok ist ein bisschen schwierig, da können wir wenig machen. Bei YouTube sind wir gerade dabei, uns neu zu positionieren. Zur Strategie: Die Social-Media-Kollegen stellen einmal pro Woche einen Plan auf. Sie sprechen sich dafür mit den Teams in Brüssel und den anderen Repräsentationen der EU-Kommission ab. Thematisch ist es eine Mischung aus dem, was sowieso gerade in Brüssel an Entscheidungen ansteht, und dem, was wir selbst für wichtig halten. Handwerklich können wir fast alles selbst – Video, Grafik oder Text. Aber wir haben natürlich auch Agenturen. Manchmal machen wir auch spontan etwas, das nicht „hohe Politik“ ist. Als King Charles in Berlin war, haben wir ein Picture mit allen Monarchien in Europa gemacht – mit Krönchen auf den EU-Ländern. So etwas Lockeres läuft gut.
Eine Autorin hat in KOM kürzlich auf die Wichtigkeit des Community Managements von Behörden hingewiesen. Ist es Ihnen wichtig, Kommentare zu beantworten?
Oh ja! Das ist sehr wichtig. Eine Mitarbeiterin ist im vergangenen Sommer zu uns ins Team gekommen, sie macht ausschließlich Community Management. Das ist ein Projekt, das von der EU-Kommission mit sehr viel Power begleitet wird. In den 27 Mitgliedstaaten entstehen jetzt nach und nach solche Positionen. Es ist so wichtig, in den Kontakt mit Menschen zu treten. Um die wahnsinnig komplizierte europäische Politik erklären zu können, müssen wir Fragen beantworten. Auf den Social-Media-Kanälen treffen wir noch einmal auf komplett andere Fragen, als sie von Journalistinnen und Journalisten kommen. Wir erleben auch, dass wir durch das Setzen eines bestimmten Tons die User ermutigen, selbst die Stimme zu erheben und zum Beispiel verächtliche Kommentare nicht so einfach hinzunehmen.
Inwieweit fühlen Sie sich der europäischen Idee verpflichtet? Dass es also den Menschen in Europa besser geht, wenn die Staaten zusammenarbeiten?
Ich war 24 oder 25 Jahre lang aktive Journalistin. Etwa vier Jahre davon Korrespondentin in Brüssel. Als ich mich mit dem Gedanken beschäftigt habe, ob ich Pressesprecherin werden möchte, habe ich mir schon überlegt, wofür oder für wen ich sprechen würde. Das Wichtigste ist doch, dass man sich mit einem Produkt oder einer Idee identifizieren kann. Natürlich sehe ich mich als Europäerin und kann mich mit der Idee, dass es gemeinsam einfach leichter geht und – wie die Geschichte zeigt – meistens friedlicher, sehr gut identifizieren.
Sie kamen 2022 als Journalistin vom Bayerischen Rundfunk. Was war für Sie die größte Veränderung im Vergleich zur Sprecherrolle?
Ich spreche nicht mehr für mich selbst.
Fehlt Ihnen denn die Freiheit, die Journalismus mit sich bringt?
Ich habe jetzt einfach eine andere Rolle. Als Journalistin war ich beispielsweise viel aktiver in den sozialen Medien. Auf Twitter habe ich oft meine Sicht auf die Dinge kundgetan – nach bestem Wissen und Gewissen und einer guten Recherche. Es gab kaum Schnellschüsse aus dem Bauch heraus. Ich habe das beschrieben, was ich von einer bestimmten Situation halte. Damit stand ich als Journalistin schon irgendwo in der ersten Reihe. Das ist jetzt anders. Manchmal juckt es mich in den Fingern. Aber ich spreche nun für die Europäische Kommission und da gelten für mich einfach andere Regeln. Was ich dafür aber bekomme, ist noch mal ein anderer Einblick in politische Abläufe. Und ich habe großen Spaß daran, diese komplizierten Themen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen zu erklären und ihnen bei der Recherche zu helfen.
Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal in den Journalismus zurückzukehren?
Ich denke, es gibt bestimmte Posten als Pressesprecherin, von denen man wieder in den Journalismus zurückgehen kann. Dieser gehört dazu. Ich spreche ja nicht für eine Partei, einen Verband oder eine Lobby. Auch bei einem Ministerium wäre ich mir unsicher, ob der Weg zurück ginge. Die Europäische Kommission aber ist überparteilich.
Zur Person: Birgit Schmeitzner arbeitete zuletzt als Korrespondentin für den Bayerischen Rundfunk in Berlin. Vorher war sie als freie Journalistin in Moskau tätig und berichtete von 2009 bis 2014 über Europapolitik aus Brüssel.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Europa. Das Heft können Sie hier bestellen.