Am 27. Juli 2022 trat das Gesetz zur dauerhaften Einführung der virtuellen Hauptversammlung in Kraft, das Unternehmen die Möglichkeit gibt, ihre Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten abzuhalten. Die Kommunikationsberatung Edelman Smithfield und die auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei Taylor Wessing haben jetzt in einer Studie ein Stimmungsbild eingefangen, wie das Gesetz in der praktischen Umsetzung funktioniert und bewertet wird. Das Fazit: Unternehmen scheinen das Gesetz insgesamt nicht als großen Wurf zu bewerten. Sie zeigen sich dennoch bereit, die neu geschaffenen Möglichkeiten des Gesetzes zu nutzen und zu erproben.
Insgesamt haben 82 Unternehmen aus dem DAX, MDAX und SDAX sowie aus dem Prime Standard (Auswahl der weiteren 70 Unternehmen mit der größten Marktkapitalisierung zum 30. Juni 2022) an der Befragung teilgenommen.
53 Prozent der Unternehmen ziehen die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung in Zukunft zumindest in Betracht. Rund drei Viertel der Unternehmen wollen die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung situativ einsetzen und flexibel zwischen virtueller und Präsenzversammlung auswählen. Gut die Hälfte der Unternehmen hat angegeben, dass sie bei der Entscheidung für oder gegen eine virtuelle Hauptversammlung zunächst die Etablierung einer „Best Practice“ abwarten wollen. Von diesen Unternehmen haben gut die Hälfte angegeben, dass sie als Vergleichsmaßstab auf sämtliche börsennotierte Gesellschaften achten.
Für 6 Prozent kommt eine virtuelle Hauptversammlung generell nicht in Frage. 47 Prozent der Unternehmen haben allgemeine Bedenken gegenüber der rein digitalen Variante aufgrund möglicher technischer Risiken, mangelnder Rechtssicherheit und des Aufwands gegenüber einem Aktionärstreffen in Präsenz.
Im Durchschnitt wurde das neue Gesetz auf einer Skala von 1 bis 10 (sehr gut) mit 5,25 bewertet. Während wenige Unternehmen das Gesetz sehr gut bewerteten, gaben rund 32 Prozent zumindest Bewertungen im oberen Bereich ab. Insgesamt dominierte allerdings die Bewertung im Mittelfeld.
Bewertung des Gesetzes durch die befragten Unternehmen © Edelman/Taylor Wessing
Während der Corona-Pandemie hat ein Quantensprung in der virtuellen Unternehmenskommunikation stattgefunden. Trotzdem sind Themen wie schwankende Internetstabilität, die korrekte Bedienung der nötigen Programme und/oder Apps durch einzelne Teilnehmer (insbesondere die technische Überforderung älterer Aktionäre wird explizit erwähnt) mit Blick auf Hauptversammlungen weiterhin aktuell. 45,5 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich einen Techniktest wünschen, der zum Beispiel die Funktionsfähigkeit der Videokommunikation zwischen Aktionär und Gesellschaft im Vorfeld sicherstellt. Weiter wird der Aufwand gegenüber der physischen Durchführung der HV, insbesondere durch die Kombination von Präsenz- und Online-Elementen, vielfach als hoch und unverhältnismäßig empfunden (20,6 Prozent).
Die Studie umfasste insgesamt rund 20 Fragen (inklusive zwei offenen Antwortfeldern) und war anonym. An statistischen Daten wurde lediglich das Börsensegment beziehungsweise die Indexzugehörigkeit erhoben. Die Durchführung lief vom 19. Juli 2022 bis 5. August 2022 über eine nur mit individuellem Zugangsschlüssel erreichbare Online-Befragung. Kontaktiert wurden die mit der Durchführung der Hauptversammlung typischerweise befassten Stellen (Vorstand, Aufsichtsrat, Investor Relations, Rechtsabteilung, Corporate Office).