Lebenslänglich: Warum die PR-Ausbildung niemals endet

Lehrjahre sind keine Herrenjahre – diese Binsenweisheit gilt ganz eindeutig auch für die PR-Ausbildung. Ein fachlich passender akademischer Abschluss mit tollen Noten reicht für den Einstieg ins Berufsleben schon lange nicht mehr aus. Indes scheinen praktische Erfahrungen und diverse „Affinitäten“ (von Social Media bis zur IT) einen immer höheren Stellenwert einzunehmen.

So müssen sich Absolventen schon beim Durchforsten der Ausschreibungen für PR-Volontariate – zumindest rhetorisch – einiges gefallen lassen. „Du spielst mit fesselnden Pressetexten wie David Copperfield mit Fackeln und hantierst mit Tweets wie eine Samba-Tänzerin mit ihrem Hula-Hoop-Reifen?“, kokettiert eine Agentur in Gruselmetaphorik mit potenziellen Bewerbern. Geködert wird der tapfere Einsteiger (von dem ironischerweise Textsicherheit gefordert wird) unter anderem mit Latte Macchiato und dem firmeneigenen Tischfußball. Nicht weniger schaurig: das Volontärsgesuch einer Messe, in dem es heißt: „Du kannst richtig was wegschaffen und passt in unser Hochleistungsteam“. Hier liegt die Vermutung nahe, dass den Berufsanfänger ein Knochenjob erwartet – in dem eine solide Ausbildung möglicherweise nicht hundertprozentig im Zentrum des Interesses steht.

Aber was ist das Ziel der ganzen Mühen? Das Wort „Ausbildung“ könnte man durchaus ambivalent deuten. Zum einen wäre dessen Vorsilbe als eine Ausgestaltung zu verstehen, als das Herausbilden der Stärken und Talente, die in einem schlummern. Andererseits ist es aber auch möglich, das „Aus“ im Sinne von „aus und vorbei“ zu interpretieren: Mit Abschluss der Lehre ist die Person demnach gewissermaßen „fertig“ gebildet und bereit für den Job – zumindest so lange, bis eine Weiterbildung notwendig wird.

Gleiche Pflicht für alle

Julia-Maria Blesin fühlt sich bereit für den Job. Ein Volontariat kommt für die 26-Jährige nicht in Frage. Blesin studiert Kommunikationsmanagement an der Hochschule Hannover und schreibt gerade ihre Masterarbeit über Kommunikation zum Thema Bioplastik. Nach fünf Jahren gezielten PR-Studiums hält sie den erneuten Schritt in die Ausbildung für überflüssig. „Das Traineeship war ursprünglich ein Tor in die Agenturarbeit, weil der Berufszugang in die PR ja prinzipiell jedem offen steht. Für Quereinsteiger finde ich das auch völlig gerechtfertigt.“ Was Blesin und viele ihrer Kommilitonen stört, ist die Pauschalbehandlung: „Wir haben schließlich das Rüstzeug schon während des Studiums an die Hand bekommen und erwarten andere Herausforderungen. Arbeitgeber sollten da flexibler sein.“ Auch die oft schlechte Bezahlung bemängelt die junge Mutter, die sich im Vorstand der PR Studierenden Hannover engagiert hat. „Es kann nicht sein, dass man mit Mitte zwanzig und nach einem abgeschlossenen Studium noch immer auf die finanzielle Unterstützung der Eltern angewiesen ist.“

Ebenfalls kritisch sieht das pauschal verordnete Volontariat Ansgar Zerfaß, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig. „Bei Agenturen passiert oft das, was die Studenten zu Recht bemängeln: Es werden zehn Volontäre eingestellt, davon sind drei spezialisiert und die anderen haben etwas Fachfremdes studiert – dennoch gibt es eine Gleichbehandlung.“ Bei Volontariatsprogrammen großer Unternehmen sei dies meist anders. „Ein Volontariat ist grundsätzlich in Ordnung, sofern es angemessen bezahlt wird und die Absolventen nicht noch einmal die Ausbildung machen, die sie gerade beendet haben.“

Erst Bachelor, dann Master und schließlich noch anderthalb bis zwei Jahre Volontariat, dazwischen bestenfalls ein Auslandssemester und einige Praktika. Bis PRler heute in einer Festanstellung landen, vergehen – ganz ohne Umwege – rund sieben Jahre. Auf ihren Lorbeeren ausruhen können sie sich auch dann nicht, das Modell des Lebenslangen Lernens ist gefragt. „Kein Abschluss soll ohne die Möglichkeit eines Anschlusses zu einer weiteren Qualifizierung bleiben“, lautet eine Zielvorstellung zum Thema „Lernen im Lebenslauf“ auf der Webseite des Bundesministeriums für Bildung. Das klingt ambitioniert. Und ein kleines bisschen nach Hamsterrad.

Eine Frage der Lehre

Aber wie und wo startet man am besten den lebenslangen Ausbildungsweg in die Kommunikationsbranche? Angehende Kommunikatoren haben in Deutschland die Wahl zwischen 315 kommunikationsbezogenen Studiengängen. „Die PR ist ein differenziertes Berufsfeld, daher haben viele Wege eine Berechtigung“, findet Professor Zerfaß. Wie auch an vielen anderen Unis wird in Leipzig mit dem Bachelorstudiengang „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ zunächst eine breite empirische Basis geschaffen. Erst das Masterstudium führt ins Berufsfeld. Wer schon früh weiß, wo er hin will, könne auch an der FH direkt PR studieren, um das Handwerk zu erlernen. An der Universität sei der Anspruch, die analytischen Fähigkeiten stärker zu schulen. Wer sich in Leipzig für den Masterstudiengang Communication Management bewirbt, muss sich auf ein mehrstufiges Auswahlverfahren inklusive persönlicher Gespräche einstellen. „Nicht einfach die Besten, sondern die Richtigen sollen gefunden werden“, sagt Zerfaß. Dazu gehören Methodenkenntnisse und Führungswille.

Julia-Maria Blesin hat in ihrem Studium vor allem den hohen Praxisanteil geschätzt. Das Schreiben von Pressemitteilungen, die Simulation von Pitch-Situationen. Im Gegensatz zu den meisten Universitäten wird an der Hannoveraner Fachhochschule schon im Bachelor explizit PR studiert. Eingeplant ist im Grundstudium auch „Training on the Job“: ein Praxissemester und genug Raum für einen Nebenjob – bestenfalls im Bereich Journalismus oder Kommunikation. Während es im Bachelor also mehr um die handwerklichen Fähigkeiten geht, soll im Hannoveraner Masterstudiengang Kommunikationsmanagement das strategische Fingerspitzengefühl gestärkt werden. Ob man mit einem Bachelor-Abschluss einen Job bekommt, hängt vom Teilarbeitsmarkt ab, sagt Blesin: „Bei Agenturen hat man ganz gute Chancen, für den Einstieg ins Unternehmen vermute ich einen Master-Titel als Vorteil.“

Zwischensphäre Volontariat

Nach dem Studium gleich in einen festen Job einzusteigen, ist in der Mehrzahl der Unternehmen unmöglich. Auch bei Bayer gibt es eine Sphäre zwischen Praktikum und Anstellungsvertrag. Seit zehn Jahren bietet der Arzneimittelhersteller ein Volontariatsprogramm, zurzeit befinden sich 13 angehende Kommunikatoren in der Ausbildung. Die meisten kommen aus einem medien- oder kommunikationswissenschaftlichen Studiengang. Aber auch Wirtschaftswissenschaftler haben eine Chance. Erste Erfahrungen in Form von Praktika sollten die Bewerber allerdings vorweisen können, fordert Michael Preuss, Leiter der Abteilung Corporate Policy and Media Relations. „Aber die Ausbildung findet natürlich bei uns statt“, schiebt er schnell hinterher. Mit 2.100 Euro brutto liegt der Verdienst der PR-Volontäre bei Bayer deutlich über dem Durchschnitt – vielleicht einer der Gründe, warum sich auf jede freie Stelle rund 200 Interessierte bewerben.

Aber was lernen die jungen Akademiker im Volontariat, was sie noch nicht in diversen Praktika und freier Mitarbeit vertiefen konnten? „Sie bekommen Einblick in viele Disziplinen der internationalen PR-Arbeit – von interner und externer Kommunikation über Social Media bis hin zu audiovisuellen Medien. Bei uns sind die Volontäre für eigene Projekte verantwortlich und stark ins Team eingebunden.“ Auch Ralf Breuer, der das Volontariatsprogramm bei Bayer entwickelt hat, verteidigt die Ausbildung nach dem Studium: „Ob Pfarrer oder Jurist: Viele Berufsgruppen schalten dem Berufseinstieg praktische Jahre vor, damit die Absolventen Sicherheit bekommen und sich einer Festanstellung gewachsen fühlen.“ 

Voneinander lernen

Das war nicht immer so. „Vor zehn Jahren war es noch nicht einfach, in einem Unternehmen ein Volontariat einzuführen. Das galt als ‚Praktikum einer anderen Art‘“, sagt Breuer. Man achte sehr darauf, dass der Ausbildungsplan mit seinen verschiedenen Stationen, zu dem auch Schulungen mit externen Trainern gehören, eingehalten werde. „Beide Seiten sollen profitieren. Deswegen sind Volontäre keineswegs dafür da, Lücken zu schließen, sondern sie erhalten als Lernende eine umfassende Ausbildung.“

Bei Bayer hat jeder PR-Volontär seinen persönlichen Mentor. Doch Lehren und Lernen verläuft nicht nur in eine Richtung. „Gerade im Bereich Social Media kommt mehr Input von der jüngeren Generation“, sagt Preuss. Dass es darum geht, voneinander zu lernen, bestätigt auch Breuer: „Es gibt immer wieder Netzwerk-Meetings und informelle Runden, über den intensiven Austausch bekommt man schließlich am meisten mit.“ So sei auch die Welcome Week, in der internationale Mitarbeiter des Unternehmens an den Leverkusener Stammsitz kommen, eine Art von Weiterbildung.

Bislang wurde etwa die Hälfte der PR-Volontäre nach der zweijährigen Ausbildung von Bayer übernommen, die andere Hälfte kam Breuer zufolge über das Netzwerk größtenteils in einem anderen Unternehmen unter. „Wer ein Volontariat bei einem Dax-Unternehmen absolviert hat, hat gute Aussichten“, glaubt der Bayer-Kommunikator. Einige würden sogar nach dem Volo noch einmal eine weitere Ausbildung draufsetzen. Allerdings: „Abi, Bachelor, Master, Volontariat – irgendwann muss man ja auch mal arbeiten.“ Wer bei Bayer bleibt, bekommt Weiterbildungen und Sprachtrainings in Aussicht gestellt. Das ist Michael Preuss besonders wichtig: „Gerade in der Kommunikation gehört lebenslanges Lernen dazu“.

Direkteinstieg dank Netzwerk

Doch es zählt nicht nur, sich fachlich auf dem Laufenden zu halten. Auch die Kontakte, die während Praktika oder der Arbeit an Abschlussarbeiten entstehen, gilt es zu pflegen. Durch ein gutes Netzwerk bringen es laut Zerfaß viele schon sehr früh äußerst weit. Bereits nach wenigen Jahren seien einige Alumni in ersten und zweiten Ligen von Dax-Unternehmen untergebracht. Lediglich jeder fünfte Master-Absolvent schließt nach dem Studium in Leipzig ein Volontariat an, schätzt Zerfaß. Das sind diejenigen, die in Agenturen gehen oder in ein Unternehmen, das ein eigenes Volontariatsprogramm hat. Den meisten gelinge der Direkteinstieg. „Ich habe bisher noch nicht erlebt, dass sich jemand unter Wert verkaufen musste“, so der Leipziger Professor.

Auch die Arbeitgeber seien gut beraten, sich über die Unis und Ausbildungen schlau zu machen, um die passenden Absolventen für sich zu gewinnen. „Es gibt einige Agenturen, die regelmäßig die besten Volontäre haben, da sie sich durch Präsenz  an der Uni und gut bezahlte Praktika einen Namen machen konnten. Arbeitgeber sollten sich nicht nur mit Employer Branding beschäftigen, sondern persönlichen Kontakt pflegen.“

Die Ende des vergangenen Jahres angestoßene Diskussion über den angeblich unterqualifizierten PR-Nachwuchs hält Zerfaß daher für eine Pseudodebatte. Die Universitäten sähen eher kein Problem darin, ihre Leute unterzubringen. „Es müsste mehr Ausbildungsmöglichkeiten geben. Wer allerdings im Spiel ist, hat gute Karten.“

„Die PR-Branche hat keinen Sonderstatus“

Julia-Maria Blesin möchte Kommunikationsmanagerin werden. Am liebsten wäre ihr ein Berufseinstig in einer Agentur, später sieht sie sich im Unternehmen. Dass ihr Arbeitgeber ihr Möglichkeiten zur Weiterbildung eröffnet, sieht sie als gesetzt – auch in dessen eigenem Interesse. „Man ist niemals ‚fertig‘ gebildet. Ich denke, das gilt für die meisten Berufe. In der Kommunikationsbranche wandeln sich die Rahmenbedingungen ständig – ob rein technisch, was die Kommunikationsmittel angeht, politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich. Gleichzeitig verändern sich Einstellungen und Handlungsweisen unserer Bezugsgruppen. Natürlich muss man da am Ball bleiben!“, fasst Blesin zusammen. Professor Zerfaß räumt der Branche hingegen keinen Sonderstatus ein: „In jedem Bereich kann die Uni nur für eine grundständige Ausbildung sorgen. Ein Mediziner ist auch nicht ‚fertig‘ ausgebildet. Es wird immer so getan, als sei die Kommunikationsbranche da etwas Besonderes.“

Darin, dass immer mehr Wert auf strategische Kompetenzentwicklung gelegt wird, sieht Zerfaß ein Zeichen der Professionalisierung der Branche. „Es geht nicht nur darum, wie die Leute in die Ausbildung hineinkommen. Die spannendere Frage ist, wie Unternehmen sie halten und weiterentwickeln können.“ So könne das Talentmanagement nicht nur an die Basisausbildung delegiert werden, sondern sei eigentlich eine Führungsaufgabe. „Im Moment beschäftigt sich noch kaum jemand damit, wie man lebenslanges Lernen ganz praktisch organisieren kann. Dabei wäre ein gutes Konzept dafür natürlich ein enormer Wettbewerbsvorteil.“ Während es beispielsweise bei Medizinern dafür längst Systematiken gebe, stecke die PR in puncto Weiterbildung noch in den Kinderschuhen. Die großen Unternehmen fangen allerdings langsam an, sich darüber Gedanken zu machen. Für Zerfaß eine erfreuliche Entwicklung: „Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren mehr über dieses Thema sprechen.“

Schließlich gibt es dann doch wieder eine Binsenweisheit: Man lernt niemals aus. Die Ausgestaltung der Fähigkeiten ist sowohl für den Einzelnen als auch für den Arbeitgeber ein Thema mit wachsender Bedeutung. Doch während man ein ganzes Arbeitsleben lang immer dem nächsten Qualifikationsziel hinterherjagt, sollte man nicht vergessen, sich zwischendurch zu entspannen. Eventuell sogar bei Latte Macchiato und Tischfußball. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Aus- und Weiterbildung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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