Wie die Redaktion der Bundeswehr arbeitet

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Die Website bundeswehr.de ist häufig der erste Anlaufpunkt, um sich über die deutschen Streitkräfte zu informieren. In der Navigation finden sich unter „Aktuelles“ Meldungen. Userinnen und User erfahren hier zum Beispiel, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius die Gebirgsjäger am Polarkreis besuchte und dass das Jägerbataillon 91 in einer Übung nach Litauen marschierte. Der Sanitätsdienst probte den Ernstfall. Die Fregatte „Hessen“ hatte einen Einsatz im Roten Meer. Der ist jetzt beendet.

Über diesen berichtete auch der „Spiegel“. Das Schlachtschiff habe versehentlich beinahe eine US-Drohne vom Typ Reaper abgeschossen, schrieb das Nachrichtenmagazin. Lediglich ein technischer Defekt habe das verhindert. Auf der Website der Bundeswehr lässt sich dieser Vorfall ebenfalls aus einer Meldung herauslesen. Hier heißt es: „Alle Kriterien für die Bekämpfung waren erfüllt: Die Drohne befand sich im direkten Anflug ohne eine Freund-Feind-Kennung.“ Die Information, dass es sich um die Drohne eines anderen Nato-Staates handelte, fehlt in dem Bundeswehr-Artikel.

Faktentreue

Medien berichten über die Aktivitäten der Bundeswehr oft detaillierter als diese über sich selbst. Der „Spiegel“-Beitrag über die Fregatte ist insofern nicht ungewöhnlich. Journalisten können auf eine Vielzahl an Quellen zugreifen. Sie können Mutmaßungen anstellen und müssen sich um die Geheimhaltung wenig Gedanken machen. Schnelligkeit und Exklusivität sind für sie wichtige Faktoren. Für die Redaktion der Bundeswehr spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Es geht vor allem um Genauigkeit. Die Fakten sollen stimmen. „Wer sich bei der Bundeswehr informiert, muss sich darauf verlassen können, dass alles richtig ist. Unsere Informationen recherchieren wir in der Bundeswehr. Immer mit einem weiteren fachlichen Check. Sie sind immer gesichert und valide“, erklärt Chefredakteurin Christiane Tiemann.

Sie leitet die Redaktion der Bundeswehr gemeinsam mit Oberst Roman Grunwald. Knapp 150 Personen sind in diesem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. 95 davon sind redaktionell tätig. Die anderen arbeiten beispielsweise in der Verwaltung, Logistik, Medienbeobachtung und im Bürgerdialog.

Mitten in Mitte

Die Räumlichkeiten der Redaktion befinden sich in einem modernen Bürogebäude in Berlin Mitte. Die Bundespressekonferenz liegt praktisch gegenüber. Das Kanzleramt ist in Sichtweite. Als das KOM-Gespräch mit Grunwald und Tiemann beendet war, stand als nächster Besucher schon Michael Stempfle vor der Tür, der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg). Die Abstimmung zwischen Ministerium und Bundeswehr ist eng. Der ehemalige TV-Journalist Stempfle ist final verantwortlich für alle veröffentlichten Inhalte der Streitkräfte.

Die Redaktion der Bundeswehr ist nicht deren Kommunikationsabteilung. Die Pressearbeit findet an anderer Stelle und bei politischen Fragen vor allem im BMVg statt. Die Redaktion ist der Content-Bereich. „Hier werden an einem Ort alle Ausspielkanäle (Print, Online, Social-Media) der Bundeswehrmedien produziert“, heißt es in der Selbstbeschreibung.

Neben Print- und Online-Redakteuren gibt es Spezialisten für Audio, Video und Social Media. Dazu 2D- und 3D-Grafiker sowie eigene Fotografen und Kameraleute. Die Arbeitsweise ähnelt der einer Agentur, die Ausstattung der eines modernen Medienhauses. Sie ermögliche auch Unterwasseraufnahmen und aus einem Hubschrauber zu springen und dabei zu filmen, sagt Grunwald. Die Mitglieder der Redaktion sind viel unterwegs.

Zivilisten und Soldaten

Grunwald leitet die Redaktion der Bundeswehr seit etwa vier Jahren. Vorher war er Journalist bei öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Mit Mitte 30 ist er als Quereinsteiger zur Bundeswehr gegangen. Allerdings nicht als Presseoffizier, wie er betont. Das sei nicht möglich. Er habe die dreijährige Offiziersausbildung durchlaufen müssen. „Ich wollte eigentlich Unternehmenssprecher werden. Während ich noch überlegt habe, welches Unternehmen in Frage käme, kam die Bundeswehr um die Ecke und suchte ausgebildete Journalisten insbesondere für Auslandseinsätze.“ Jetzt ist er Soldat.

Im Dienst trägt Grunwald deshalb Uniform – im Gegensatz zu Chefredakteurin Tiemann. Sie ist Leitende Regierungsdirektorin und damit Zivilistin. Tiemann ist ebenfalls Journalistin. Bevor sie vor rund neun Jahren zur Bundeswehr wechselte, arbeitete sie in einer Agentur. Etwa die Hälfte der Redaktionsmitglieder sind zivile Angestellte, die häufig von anderen Medien zur Bundeswehr kamen. Agenturerfahrung ist von Vorteil. Die andere Hälfte ist militärisches Personal.

Chefredakteurin Christiane Tiemann und Oberst Roman Grunwald leiten die Redaktion der Bundeswehr. © Bundeswehr / Tom Twardy; Bundeswehr

Chefredakteurin Christiane Tiemann und Oberst Roman Grunwald leiten die Redaktion der Bundeswehr. © Bundeswehr / Tom Twardy; Bundeswehr

Es sind Soldatinnen und Soldaten, die aus der Bundeswehr kommen und dann Lehrgänge in Fachgebieten mit Medienbezug erhalten. „Idealerweise ergänzt sich das. Die eine Hälfte hat mehr Ahnung von der Bundeswehr, die andere vom Journalismus“, sagt Grunwald. Die Redaktion arbeitet wie ein Medium. Morgens gibt es eine Konferenz, an der alle Bereiche teilnehmen und in der die Themen des Tages besprochen werden. Eine Kernzielgruppe für die Inhalte gebe es nicht. Sie sollen sich an die gesamte Bevölkerung richten.

Politische und praktische Fragen

Für die konzeptionelle und inhaltliche Ausgestaltung der Kanäle ist Chefredakteurin Tiemann verantwortlich. „Die Produkte liegen bei mir. Ich bin auch diejenige, die den ständigen Kontakt zum Bundesverteidigungsministerium hält“, sagt sie. Tiemann nimmt unter anderem an der Presse-Morgenlage des Ministeriums teil. Die Verantwortung für dessen Website – bmvg.de – liegt ebenfalls bei der Bundeswehr-Redaktion. Auf der Seite des Verteidigungsministeriums finden sich politische Fragen rund um die Mandatierung oder Reden von Minister Boris Pistorius. Bei der Bundeswehr gibt es dann Details zu den Einsätzen – wie eben zu dem der Fregatte „Hessen“. Wie ist die Fregatte ausgestattet? Was kann sie? Auf welcher Route ist sie im Roten Meer unterwegs?

Eine zentrale Rolle in der Kommunikation spielen die Social-Media-Kanäle wie Youtube mit knapp 800.000 Abonnenten und Instagram mit rund 520.000 Followern. Bilder hat die Bundeswehr mehr als genug. Hinzu kommen zwei Podcasts und das Magazin „Y“, das viermal im Jahr erscheint und sich immer einem Schwerpunktthema widmet. Es wendet sich an alle Angehörigen der Bundeswehr – Soldaten und Zivilisten. Das Extranet „Ynside“ ist eigentlich ein Intranet, kann aber auch mobil aufgerufen werden. Die Website und die Printmedien sollen vor allem Hintergründe liefern. Aktuelles läuft auf den Social-Media-Kanälen. Der Buchstabe „Y“ taucht häufig auf. Es handelt sich hierbei um das Fahrzeugkennzeichen der Bundeswehr.

Steigendes Interesse

Die Redaktion produziert diverse Videoformate. „Kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine gab es ein riesiges Informationsinteresse. Einordnung und militärische Expertise waren gefragt wie nie“, sagt Tiemann. In diesem Zuge ist „Nachgefragt“ entstanden.

In diesem Format werden von Experten Fragen beantwortet, die sich aus dem Bürgerdialog oder aus den Kommentaren in den Social Media ergeben. Die Klickzahlen bei Video liegen allein auf Youtube regelmäßig im sechsstelligen Bereich. Die Sprache richtet sich bewusst an Laien, die wenig Ahnung vom Militär haben. Zusätzlich gibt es Videos zu Waffen wie den Minenräumpanzer Keiler, zu Großübungen, zur Ausbildung oder über etwas Historisches.

Nicht in den Aufgabenbereich der Redaktion fällt die Personalwerbung, die in den vergangenen Jahren mit Serienformaten wie „Die Rekruten“ und „Mali“ auf sich aufmerksam machte und diverse Kommunikationspreise gewann. Die Information und die Werbung für die Arbeitgebermarke der Truppe sind scharf voneinander getrennt.

Informationspflicht

Die Bundeswehr besitzt verschiedene Kommunikationsaufträge. „Auf der einen Seite haben wir als Bundeswehr natürlich ein Interesse, zu kommunizieren und unsere Sicht in den medialen Prozess einzubringen“, sagt Grunwald. „Auf der anderen Seite müssen wir der Informationspflicht nachkommen, die uns vom Bundesverfassungsgericht auferlegt wurde. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger darüber informieren, was die Bundeswehr mit ihrem Geld macht.“

Die Redaktion arbeitet kanalorientiert. So gibt es beispielsweise ein Team für bundeswehr.de und eines für bmvg.de. „Uns ist es wichtig, dass sich alle Redaktionsmitglieder mit dem Produkt und Team identifizieren, für und mit dem sie arbeiten.  Es soll so etwas wie ein institutionelles Gedächtnis geben: Warum machen wir das? Wie machen wir das?“, sagt Chefredakteurin Tiemann.

Sicherheit über Transparenz

Eine Herausforderung: eine geeignete Bildsprache zu finden. Soldaten, die schwer bewaffnet durch das Gelände robben, bekommen schnell etwas Heldenhaftes. Hochmoderne Waffen, Panzer, Flugzeuge oder Schiffe können faszinierend wirken. Am Ende dienen die Geräte auch dazu zu töten.

Tiemann und Grunwald ist es wichtig zu betonen, dass nichts inszeniert wird. Die Redaktion wolle mit ihrer Arbeit auch kein Image transportieren. Es gehe um Berichterstattung. Für Drehaufnahmen werde nichts gestellt. Die Redaktion sei dabei, wenn beispielsweise eine Übung stattfindet – Embedded Journalism. „Wir stellen es dar, wie es ist und wie wir es erleben“, erklärt Tiemann. „Wie jede Redaktion schauen wir, dass wir gute Bilder und gute Perspektiven haben.“

Ein wichtiges Kriterium sei die Sicherheit der Truppe. Geheimes darf nicht veröffentlicht werden. In Videos sind die Soldaten deshalb teilweise nicht zu erkennen. „Wir wollen so transparent wie möglich sein. Je krisenhafter die politische Situation wird, desto mehr müssen auch wir aufpassen, was wir kommunizieren. Wir haben schon einmal mehr Zahlen veröffentlicht. Das hat sich mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine geändert“, sagt Grunwald.

Das Organigramm der Redaktion der Bundeswehr. Neben dem redaktionellen Bereich gibt es Administration und Produktion. Bei Abkürzungen hilft das Abkürzungsverzeichnis. © Bundeswehr

Das Organigramm der Redaktion der Bundeswehr. Neben dem redaktionellen Bereich gibt es Administration und Produktion. Bei Abkürzungen hilft das Abkürzungsverzeichnis. © Bundeswehr

Wie generiert die Redaktion ihre Themen? „Wir haben bei uns im Haus einen Bürgerdialog, der unsere Post, E-Mails und Anrufe auswertet. Hinzu kommt unser Social-Media-Team, das ein umfangreiches Community-Management betreibt. Auf diese Weise bekommen wir die Fragen der Bevölkerung direkt widergespiegelt“, so Grunwald. Das ist die eine Seite. „Es gibt außerdem Interessen des Ministeriums. Je relevanter die Auseinandersetzungen in der Ukraine für unsere Sicherheitspolitik und für die Nato als Ganzes werden, desto mehr geht es auf eine politische Ebene.“

Medienberichte über Schwierigkeiten der Bundeswehr gibt es zuhauf. „Milliardengrab Bundeswehr“ lautete eine Überschrift des „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ Ende 2022. Und listet auf: kein einsatzfähiger Puma-Panzer, nur 40 Prozent einsatzfähige Leopard 2, fehlende Munition. Der „Spiegel“ schrieb zu Jahresbeginn, dass der Bundesrechnungshof Schusstests für ein neues Sturmgewehr rügt. Am Anfang standen Präzisionsmängel bei der Waffe.

Die Probleme mit Qualität und Beschaffung kennt die Bundeswehr-Redaktion natürlich auch. „Unser Ziel ist es, Zusammenhänge zu erklären. Oft gibt es Gründe, die sich in Berichten oder Überschriften von Medien nicht wiederfinden. Wir erklären dann zum Beispiel Taktik und Strategie, Waffensysteme und ressortspezifische Prozesse“, sagt Tiemann. Oder den Großen Zapfenstreich vor dem Reichstag, der live im Fernsehen übertragen wurde.

„Uns war klar, dass es Menschen gibt, die es schwierig finden, wenn Soldatinnen und Soldaten mit Fackeln vorm Reichstag stehen. Wir haben also erklärt, warum es diese Tradition gibt. Und sämtliche Fragen, die sich stellen könnten, auf bundeswehr.de beantwortet. Das hat sehr gut funktioniert, weil diejenigen, die es geschaut haben und Informationen online suchten, gleich die notwendigen Informationen dazu bekommen haben.“ Abläufe und Arbeit der Bundeswehr verständlich zu machen, ist der Hauptauftrag der Redaktion.

Qualitätskontrolle

Zum 1. März haben sich die internen Abstimmungsprozesse geändert, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. Alle Inhalte, die von den nachgeordneten Redaktionen und Teilstreitkräften aufbereitet werden, müssen jetzt durch die Berliner Redaktion laufen. Bisher konnten die Redaktionen ihre Inhalte eigenständig veröffentlichen. Tiemann: „Die Teilredaktionen wissen, was in ihren Bereichen berichtenswert ist. Sie können mit großer Expertise aus den unterschiedlichsten Bereichen der Bundeswehr berichten. Bei uns finden dann die Bündelung, die Koordination und die Qualitätssicherung statt.“ Für die Redaktion bedeutet der Ablauf mehr Arbeit. Sie muss mehr Texte redigieren, ohne mehr Personal zu bekommen. Das Verteidigungsministerium erhofft sich vor allem eine höhere journalistische Qualität.

Der neue Prozess gefällt offenbar nicht jedem. In der „SZ“ wurden anonyme Quellen aus der Bundeswehr mit dem Vorwurf der „Zensur“ zitiert. Der Prozess soll erst einmal als Probelauf für sechs Monate angelegt sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Wandel. Das Heft können Sie hier bestellen.

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