Die wirtschaftlichen und kommunikativen Herausforderungen der Lebensmittelhersteller werden deutlich, wenn man die Wertschöpfungskette von oben betrachtet. Auf der einen Seite schafft das Konzentrationsgefälle entlang dieser Kette von der Rohstoffgewinnung bis zum Konsum einen intensiven Wettbewerb. Denn der Markt fordert kontinuierliche Steigerungen der Effizienz in der Lebensmittelproduktion. Auf der anderen Seite stellen Kunden hohe Ansprüche. Marken- und Unternehmensimage sind neben dem Preis das wichtigste Differenzierungsmerkmal.
Wettbewerbsdruck und Konsumentenansprüche
Die Wertschöpfungskette rund um die Herstellung von Lebensmitteln verzeichnet ein sichtbares Konzentrationsgefälle: Mehr als 280.000 landwirtschaftliche Betriebe liefern ihre Erzeugnisse (zum Beispiel Getreide und Milch) an über 6.000 Lebensmittelproduzenten, wo sie zu Endprodukten verarbeitet werden. Diese werden zum Großteil an sehr wenige Handelsketten verkauft. Der Lebensmitteleinzelhandel ist der klassische und stärkste Vertriebsweg zum Konsumenten.
Nach einem harten Wettbewerb entscheidet sich schließlich an den Supermarktregalen, ob ein Produkt zum Hit wird oder als Flop endet. Die Bewertungskriterien der Verbraucherjury haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Wo früher der Preis mit Abstand der wichtigste Faktor für den Kauf war, haben ideelle (zum Beispiel Tierwohl, Herkunft, Nachhaltigkeit) und funktionelle Eigenschaften (wie Qualität, Convenience, Gesundheit) an Bedeutung gewonnen.
In der Marktforschung beschreibt die Abkürzung LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) eine längst etablierte und stetig wachsende Gruppe bewusster Konsumenten. Dem LOHAS-Segment gehören mittlerweile rund 30 Prozent der Gesamtbevölkerung an.
Vieles spricht dafür, die Kommunikation zu Verbrauchern nicht erst über die Produktpräsenz im Supermarktregal zu beginnen, sondern Märkte und öffentliche Meinungsbilder aufmerksam zu beobachten, um dann mit der richtigen Strategie zu punkten. Der Boom vegetarischer Fleischalternativen auf dem deutschen Markt verdeutlicht das erfolgreiche Zusammenwirken neuer Technologien mit unternehmerischem Geschick und Feingefühl für die Mindsets wichtiger Zielgruppen.
Frühe Erkennung von Konsummotiven
Der Erfolg vegetarischer „Wurst- und Fleischwaren“ zeigt, dass hier gleich mehrere Verbraucherbedürfnisse bedient werden. Diese stehen unmittelbar damit im Zusammenhang, keine tierischen Produkte oder zumindest kein Fleisch zu verzehren. Die Konsummotive reichen von Gesundheitsbewusstsein, Umweltschutz, schierer Neugier bis hin zu ethischen Abwägungen.
Fest steht: Der sogenannte Fleischersatz hat Fans.
Vielleicht auch, weil sich hier ein gewisser „Aha“-Effekt eingestellt hat. Das Überraschtsein darüber, dass Fleischgenuss möglich ist, ohne dass ein Tier dabei Schaden nimmt, und darüber, dass es tatsächlich anders schmeckt als Tofu. Genuss und die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun, waren in diesem Fall für viele Konsumenten ausschlaggebend. Diese Nische hat sich möglicherweise aus der kritischen öffentlichen Wahrnehmung der industriellen Fleischerzeugung entwickelt. Wer hier frühzeitig reagierte und Produktneueinführungen mit guten PR- und Marketing-Maßnahmen flankierte, war klar im Vorteil.
Richtiges Framing
Dass es unter anderem etablierte Unternehmen der Fleischbranche sind, die die fleischlosen Alternativen auf den Markt bringen, ist nicht überraschend. Sie verfügen bereits über das verfahrenstechnische Know-how, das für die Produktion der pflanzlichen Alternativprodukte notwendig ist. Denn obwohl der Rohstoff im Fall der vegetarischen Fleisch- und Wurstwaren ein anderer ist (zum Beispiel Soja, Erbse, Ei und Milch), bleiben viele Verarbeitungsschritte identisch.
Ob tierisch oder pflanzlich: Letztendlich geht es um die Herstellung von eiweißreichen Produkten für die menschliche Ernährung. Das Thema „nachhaltige Proteinversorgung“ sollte von Unternehmen thematisiert und kommuniziert werden. Gute Kommunikation setzt an den Bedürfnissen – oder eben auch an den Zweifeln – der Verbraucher an, bevor sie diese selbst wahrnehmen. Pflanzliche Fleisch- und Wurstwaren sind am Ende des Tages immer noch industrielle Erzeugnisse.
Unter anderem handelt es sich hierbei um Eiweißkonzentrat, das mittels Wasser, Temperatur und Druck in einer großen Maschine texturiert wird. Die prozessierten Produkte werden deshalb akzeptiert, weil sie als mögliche Lösungen der Fleisch- und Ressourcenproblematik wahrgenommen werden. Nicht ohne Grund bezeichnet manch ein Unternehmer aus der Fleischbranche die Wurst gar als „Zigarette der Zukunft“.
Dieses Problembewusstsein und das übergeordnete Ziel, die nachhaltige Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln, sind heute so präsent wie nie zuvor. Ob der sogenannte Fleischersatz als Substitut klassischer Fleischprodukte die Märkte langfristig erobern wird oder sich der Trend wieder einpendelt, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Hier wurden durch Fortschritte in Forschung und Entwicklung neue Produkte auf den Markt gebracht, die zwar nicht die Welt retten werden, aber einen Veränderungsprozess in Gang gesetzt haben, der vielleicht zu einer höheren Wertschätzung für Lebensmittel beitragen wird.
Public Relations: Keine falsche Romantik aufkommen lassen
Wichtiger Grundsatz in der Kommunikation: Man kann über alles reden. Aber niemand mag es, angelogen oder hinters Licht geführt zu werden. Konsumenten – und übrigens auch Medien – reagieren hier zu Recht sehr empfindlich. Die heutige Herausforderung für Kommunikation und insbesondere für Public Relations im Food-Bereich besteht in der Vermittlung von Realitäten.
Als eine Nachrichtenagentur über die technischen Hintergründe der Fleischersatzproduktion an unserem Institut berichtete, wurde der Feed von den Medien sehr unterschiedlich aufgegriffen. Die Reaktionen reichten von interessiert („Unternehmen entdecken Veganer für sich“, ntv.de) über erstaunt-kritisch („Was wirklich im Fleischersatz steckt“, Welt.de) bis zu kritisch-angeekelt („Fleischersatz: Die unappetitliche Wahrheit über vegetarische Wurst“, „Huffington Post“).
Das Thema Ernährung ist emotionsgeladen. Aber genau dieser Austausch ist es, der zwar kritisch sein kann, aber auch einen unbefangenen Dialog über Ernährung in der Öffentlichkeit ermöglicht. So entsteht die Art von Veränderung, von der am Ende alle etwas haben. Gute PR vermittelt Wahrheiten, statt sie zu verdrehen, wenn sie im Kern nichts verbergen muss.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Digitalisierung. Das Heft können Sie hier bestellen.