Managerin in Doppelfunktion

PR und Marketing

Frau Fetzer, Ihr Jobtitel ist Vice President Communications & Marketing. Sehen Sie sich eher als Kommunikatorin oder Marketeer?

Bettina Fetzer: Wenn ich zurückblicke, bin ich eher Kommunikatorin. Im Moment ist es fifty-fifty. Von meinen rund 15 Jahren im Berufsleben habe ich zehn in der PR verbracht. Das hilft, wenn man beide Disziplinen führt.

Inwieweit ist Ihnen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wichtig? Ist sie etwas, das Sie gerne machen?

Ja, ich finde sie sehr wichtig und ich mache sie gerne. Aus der aktiven Sprecherrolle habe ich mich aber ganz bewusst zurückgezogen.

Wenn ein Journalist bei Mercedes-Benz anruft, sind Sie nicht die Sprecherin, die Auskunft gibt und am Ende zitiert wird?

Nein. Als wir die Idee hatten, die PR- und Marketing-Bereiche zusammenzuführen, haben wir uns überlegt, was für uns ein funktionierendes Konstrukt sein könnte. Dadurch, dass ich zehn Jahre in der PR gearbeitet habe – viel in der Wirtschaftskommunikation, viel in der Krisen-PR –, kenne ich dieses Berufsbild sehr gut. Ich weiß natürlich, dass man als Unternehmenssprecher manchmal wichtige strategische Aufgaben für dringende Anfragen und Themen opfern muss. Ich stelle es mir unmöglich vor, unseren vereinten PR- und Marketing-Bereich strategisch exzellent zu führen, und zusätzlich noch einen 24/7 „Defense Mode“-Job wie den der Unternehmenssprecherin zu machen.

Deshalb haben wir gesagt: Ich führe den Bereich. Wir haben aber darunter fünf Säulen. Eine Säule ist die „Unternehmenskommunikation“. Dazu gehören viele erfahrene Sprecherinnen und Sprecher. Der Bereich verantwortet zusätzlich die Kommunikation unseres Vorstandsvorsitzenden Ola Källenius. Hinzu kommt ein zweites sehr wichtiges Themenfeld: die gesamte „Produkt-PR“.

Es gibt bei Ihnen in der PR also Corporate und Product?

Ganz vorne steht bei uns die Strategie, die PR und Marketing übergreifend denkt. Welche Themen wollen wir platzieren? Welches Narrativ verfolgen wir über alle Kommunikationskanäle und Kundengruppen hinweg? Welche Ziele setzen wir uns, um das messbar zu machen? Wie viel Geld wollen wir dafür ausgeben? Dazu gehören auch viel Marktforschung sowie Medien- und Plattform-Analysen.

Dann bilden unsere beiden PR-Teams die Content-Säule, die sehr stark inhaltlich arbeitet. Inklusive der Sprecher, die wiederum ein Thema übergreifend verantworten. Dazu kommt die Säule „Execution“, die für jedes unserer Themen das passende Format beziehungsweise die passende Verpackung wählt. Das kann ein physisches Event, eine Social-Media-Kampagne oder eine Bewegtbild-Dokumentation sein. „Activation“ ist die fünfte Säule. Sie verantwortet zum einen unsere eigenen Social-Media-Kanäle, zum anderen sorgt sie dafür, dass wir weltweit in den Regionen und Märkten unsere Themen mit einer globalen Stimme nach außen tragen. Das Ganze steuern wir in einer Prozessmatrix.

Wie viele Personen gehören zu Ihrem Team?

Circa 400.

Blicken wir zurück: Inwiefern war es sinnvoll, PR und Marketing zusammenzulegen? Wie fällt nach zwei Jahren Ihr Fazit aus?

Positiv. Für mich ist es die einzig richtige Aufstellung für ein Unternehmen, wie wir es sind, weil sie uns ein sehr stringentes Storytelling maßgeschneidert auf die einzelnen Adressaten ermöglicht: von einer interessierten Öffentlichkeit über Mitarbeiter und Fans bis zu den Kunden.

Haben Sie ein Beispiel für solches Storytelling?

Wir haben vor einigen Wochen zwei Elektroautos öffentlich gecrasht: einen EQA und einen EQS. Früher hätten wir hierzu wahrscheinlich 20 Journalisten eingeladen, Fotos gemacht, vielleicht noch einen Film. Heute machen wir noch viel mehr: Neben Standardkameras haben wir mehr als 50 weitere Kameras jede Millisekunde des Crashtests aufnehmen lassen, eine kurze Dokumentation produziert sowie marketing-lastigere Assets und technologische Erklärvideos für die unterschiedlichsten Kanäle erstellt. Wir haben zudem Menschen porträtiert, die im Unternehmen forschen, und interessantes Hintergrundwissen zu den verwendeten Dummys vermittelt.

Mercedes-Benz führt einen Crashtest mit zwei Elektroautos durch und nutzt das Content-Material für das Storytelling auf die diversen Kommunikationskanäle, die der Konzern bespielt. © Mercedes-Benz AG

Wir nähern uns solch einem komplexen Thema also viel breiter, schaffen es dennoch, sowohl Journalisten gut zu betreuen und als auch ein Thema stringent über verschiedene Adressaten hinweg zu positionieren. Ein Erfolgsfaktor ist in meinen Augen auch, dass wir ein Agenturkonstrukt aufgebaut haben, das genau diese Aufstellung und Komplexität abbildet.

Welche Agenturen sind das?

Wir haben eine Agentur: Omnicom mit Team X, die uns als globaler Partner von der Strategie bis zur PR und Aktivierung unterstützt. Rückblickend ist unsere Kommunikation strategischer, stringenter, konsistenter und relevanter für die einzelnen Kundengruppen geworden. Insgesamt: effizienter und zielgerichteter.

Noch einmal zur Teamaufstellung. Gibt es bei Ihnen weiterhin so etwas wie eine PR-Verantwortlichkeit? Sprich: Jemand ist für interne, Corporate, Product und Executive Communications verantwortlich? Oder muss jeder, der PR macht, gleichzeitig den Bereich Marketing mitabdecken?

Es gibt für jedes Thema eindeutig zugeordnete Pressesprecher, die den Journalisten auch alle bekannt sind. Die beantworten jährlich hunderte von Anfragen, so schnell und professionell, wie Medien das zu Recht erwarten. Diese Personen denken aber Marketing mit – zumindest in der aktiven Kommunikation. Der Sprecher gibt Impulse und News aus seinem Zuständigkeitsbereich innerhalb der Matrixorganisation weiter. Dann übernehmen diejenigen Kollegen, die die benötigte fachliche Expertise besitzen – beispielsweise für eine Aktivierung auf Social Media. Auf diese Weise finden sich Teams übergreifend und interdisziplinär zusammen, die ein breitgefächertes Storytelling auf unseren Marketingkanälen umsetzen

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Modell wie Ihres funktioniert? Warum ist es für Mercedes-Benz der richtige Weg?

Wir mussten emotionale, prozessuale und strukturelle Voraussetzungen schaffen. Es fängt immer damit an, eine klare Vision zu formulieren. Wo will ich hin? Warum will ich da hin? Was ist die Absicht dahinter? Für uns war es wichtig, dass nicht der eine den anderen Bereich übernimmt, sondern dass wir einen komplett neuen Bereich gestalten, der auf den jeweiligen Stärken basiert.

Ein Pressesprecher ist tief in den Themen und Inhalten drin. Man sollte deren Wissen nicht nur für Journalisten verwenden, sondern die Ideen breiter nutzen. Marketing steckt dagegen in der Exekution oft viel Liebe ins Detail. Als Drittes gilt es, Verständnis zu schaffen und Vorurteile abzubauen. Wir haben am Anfang viel informiert; zum Beispiel Lunch & Learning-Sessions angeboten. Beispielsweise hat ein Kollege 45 Minuten lang erzählt, wie er Search Engine Optimization macht. Oder nehmen Sie Begrifflichkeiten wie „Media“. Der PRler meint Medien. Ein Marketeer das Media Placement. Und: Wir haben die Teammitglieder viel mitgestalten lassen – bis hin zum Namen der Teams.

Funktioniert Ihr Ansatz auch deshalb, weil sich die Kommunikation zu einem Auto überwiegend um das Produkt dreht? Man spricht über das Fahrzeug, kommuniziert, wie schnell es fährt oder wie viel PS es hat, was mit Marketing Hand in Hand gehen sollte. BMW denkt aus meiner Sicht ähnlich. Warum ist das beim Produkt „Auto“ der richtige Ansatz?

Wenn sie ein starkes Produkt haben, ist es sicherlich einfacher, diese Themen übergreifend zu kommunizieren. Ich würde es allerdings nicht allein auf die Produktkommunikation beschränken. Wir haben auch Unternehmensthemen, die wir übergreifender kommunizieren.

Was für Themen sind das?

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele. Wir haben ein neues Format eingeführt: das Mercedes-Benz Strategy Update. Da geht es darum, alle sechs bis zwölf Monate die Analysten, Investoren, Journalisten und Mitarbeiter abzuholen, wo die Unternehmensstrategie in der Exekution steht. Das ist ein Format, das wir übergreifend über Zielgruppen und Kanäle denken. Hier beantworten wir dann Fragen wie beispielsweise „Wie schaffen wir profitableres Wachstum?“. Journalisten bezeichnen das gerne als „Luxusstrategie“.

Ein anderes Beispiel sind Haltungsthemen. Wir haben kürzlich eine Social-Media-Kampagne für diverse Mobilität umgesetzt und so das Themenfeld Inklusion in den Mittelpunkt gestellt. Was für Produkte bieten wir für diese Kundengruppe an? Die Markenkampagne zeigt Menschen mit Behinderung, die ihr Selbstverständnis ausdrücken für ihre persönliche Mobilität. Sie werden begleitet durch Mercedes-Benz-Modelle mit Fahrhilfen ab Werk.

Es muss allerdings nicht um Produkte gehen. Nehmen Sie den International Women’s Day. Wie fördern wir Frauen im Unternehmen? Wir haben dazu Menschen, aus dem Unternehmensumfeld porträtiert: eine Rennfahrerin, eine eSports-Profi-Spielerin und eine Managerin. Daraus entwickeln wir eine Geschichte und finden Belege, um die Mitarbeiter, die breite Öffentlichkeit und die Fans der Marke zu berühren und zu begeistern.

Ich finde es generell schade, wenn sich die Unternehmenskommunikation vom hergestellten Produkt entkoppelt. Das ist schließlich das, was wir machen. Wir sollten das Unternehmen als genauso begehrlich darstellen wie unsere Produkte. Das eine geht nicht ohne das andere.

Ist mein Eindruck richtig, dass die Mercedes-Benz-Kommunikation stärker auf Produkte und Autos fokussiert ist als jemals zuvor?

Es ist schön, wenn Sie das so wahrnehmen. Aber es ist nicht so geplant. Ich würde sogar behaupten, dass unsere Unternehmenskommunikation viel gewichtiger geworden und stärker durchgeplant ist. Klar, wir haben viele Themen, die auch mal kurzfristig kommen, aber gerade mit den Strategie-Updates verbinden wir die Unternehmenskommunikation mit den Produkten. Nehmen Sie ein Update zur Software: Wir bieten ein Format an, bei dem Wirtschaftsjournalisten erleben können, was wir an Software im Fahrzeug haben und mit welchen starken Partnern wir das möglich machen. Wir zeigen aber auch, was wir als finanziellen Beitrag als Unternehmen leisten. Deshalb: Wir verzahnen stärker Corporate und Produkt.

Fehlt Ihnen der Name „Daimler“?

Nein. Als Mitarbeiter hat man sich aber immer Daimler zugehörig gefühlt. Das rutscht einem schon noch raus: „I schaff beim Daimler“. Für die Mitarbeiteridentifikation ist es aber deutlich einfacher, wenn die Unternehmens- und Produktmarke identisch ist.

Sie haben lange mit Jörg Howe (Anmerkung: heute Daimler Trucks) zusammengearbeitet, dem es überaus wichtig ist, einen engen persönlichen Kontakt zu Journalisten zu pflegen. Inwieweit mussten Sie sich selbst darauf einstellen, für Marketing und PR verantwortlich zu sein?

Jörg Howe war über viele Jahre mein Mentor. Er hat mich auf die Aufgabe sehr gut vorbereitet.

Es ist grundsätzlich so, dass sie umso stärker aus der fachlichen Verantwortung rausgehen, desto mehr Mitarbeiter sie führen. Ich würde sagen, dass ich heute viel stärker Rahmenbedingungen, Prozesse und Kultur schaffe, damit mein großartiges Team bestmöglich arbeiten kann. Ich beschäftige mich stärker mit klassischen Führungsaufgaben und weniger mit Themen in ihrer fachlichen Tiefe. Ein Unternehmenssprecher wiederum muss beispielsweise regelmäßig an der Vorstandssitzung teilnehmen und ganz nah an den Themen und den Personen sein, um Journalistenfragen möglichst präzise bearbeiten zu können.

Sind Sie heute vor allem Managerin?

Ja, das würde ich so sagen. Und Motivatorin.

In der Kommunikationsabteilung gab es bei Ihnen vor Kurzem einige Personalveränderungen mit internationalen Zugängen. Inwieweit ist das ein Signal, sich als Mercedes-Benz global stärker aufstellen zu wollen?

Wir waren schon immer global zuständig: in der Kommunikation und im Marketing. Wir haben zum einen die Verantwortung für die Themensetzung und Markenpositionierung, zum anderen aber auch für die Befähigung der Kolleginnen und Kollegen in den Märkten. Sie sind in dem Fall unsere Kunden. Wir müssen gewährleisten, dass wir für unsere Kunden die richtigen Themen zeitgemäß setzen. Da hilft es natürlich, wenn Sie Menschen im Team haben, die mal auf Kundenseite gearbeitet haben, weil Sie dann bessere Lösungen für deren Bedarfe bereitstellen können.

Deshalb haben wir zwei der jüngsten Neubesetzungen in der Tat international getätigt – einmal mit jemandem aus einer ganz anderen Branche. Das ist aber nur möglich, weil ich ansonsten auf ein sehr erfahrenes Team zurückgreifen kann. Sie haben bei jeder Neubesetzung eine gewisse Akklimatisierungsphase und brauchen darunter ein Team, das fest steht, um in der Übergangszeit zu unterstützen.

Jeden Tag kleben sich Menschen auf die Straße und fordern mehr Klimaschutz. Auf der IAA Mobility in München herrschte in meinen Augen dagegen „Family Life“. Die Besucher schauten sich Luxuslimousinen an. Alle wirkten begeistert. Medien berichten wiederum fasziniert über die angeblich überlegenen Elektroautohersteller aus China. Wie bewerten Sie das Standing der deutschen Automobilindustrie?

Lassen Sie es mich als Wunsch formulieren: Ich würde mir wünschen, dass wir wieder ein bisschen zum Stolz zurückkämen. Das ist auch etwas, das wir uns intern auf die Fahne geschrieben haben. Wir haben so viel, auf das wir als Erfinder des Automobils stolz sein können. Nicht nur als Mercedes-Benz – ich würde hier die anderen deutschen Automobilhersteller, die wir sehr schätzen, miteinschließen. Wir tun uns manchmal schwer damit, mit dem richtigen Maß an Stolz aufzutreten. Ich würde mir wünschen, dass auch manche Ihrer Kollegen uns mehr Wertschätzung geben würden für das, was hier und inmitten einer Transformation geleistet wird.

IAA Mobility in München

Die IAA Mobility in München ist eine wichtige Plattform für die Automobilindustrie  © Mercedes-Benz AG

Wie wichtig ist für Mercedes-Benz eine Veranstaltung wie die IAA Mobility? Wen erreicht man damit?

Für uns war und ist die IAA ein dialogorientiertes Markenerlebnis. Wir haben festgestellt, dass im Zuge der Digitalisierung das physische Erleben an Bedeutung gewinnt. Deshalb würde ich mich für physische Plattformen aussprechen. Was ich an der IAA schätze, ist der barrierefreie Zugang zu Marken und Produkten. Wir haben sehr spezifische Formate, die Journalisten adressieren. Wir haben auch Formate für B2B geschaffen und andere für Interessierte und auch Familien, die einfach mal an einem Nachmittag oder Wochenende vorbeikommen und das Automobil erleben wollen. Die IAA ist eine Plattform, die sehr zugänglich ist. Das tut uns als Branche gut. Wir schaffen es, dass unterschiedliche Adressaten in kürzester Zeit mit Marken und Produkten in Kontakt treten.

Stehen Aufwand und Ertrag für Sie in einem guten Verhältnis?

Das kommt immer darauf an, was Sie als Hersteller machen. Wir nutzen die IAA als Plattform, um Neuheiten zu präsentieren. Die kommunizieren wir über München hinaus. Wir liefern eine sehr gut orchestrierte Kommunikation, die über klassische PR-Kanäle, aber auch sehr viele eigene Kanäle funktioniert. Bei uns arbeitet ein großes Team daran, dass wir von dieser Woche Bilder und Bewegtbilder erhalten. Wir laden zum Beispiel auch Content Creators wie TikToker ein, die es schaffen, das physische Erlebnis in eine unterhaltsame digitale Verlängerung auf einem Drittkanal zu bringen. Wenn Sie es richtig bespielen, können Sie so ein Millionenpublikum und damit diverse Kunden, Fans und potenzielle Käufer erreichen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Corporate. Das Heft können Sie hier bestellen.