Der Weg zur Erleuchtung

Ist Kreativität erlernbar?

Manche sagen, entweder man ist von Geburt an genial – oder man ist es eben nicht. Dabei wird Kreativität zu etwas Zufälligem, ich müsste demnach schon großes Glück haben, damit mich die Ins­piration ereilt. Für diejenigen, die von dieser Begebenheit überzeugt sind, erübrigt sich die Frage, ob Kreativität erlernbar ist. Kreativität kann jedoch durchaus bewusst steuerbar und auch teilweise erlernbar sein. Auch wenn es viele zufällige Elemente gibt, die wir nicht kontrollieren können. Sie lässt sich, angelehnt an die Kreativitätsforschung, als die Fähigkeit definieren, etwas Neues zu schaffen, das Nutzen bringt. Wie genau dieser Nutzen definiert wird, bleibt hierbei offen. Genauso wie die Frage, für wie viele Menschen das Neue nützlich sein muss. In diesem Kontext wichtiger ist der erste Teil der Definition. Es geht darum, Neues zu schaffen. Auch hier ist kontextabhängig, wie innovativ das Ergebnis meines kreativen Schaffens sein muss.

Es handelt sich bei Kreativität aber um eine konkrete Fähigkeit. Das bedeutet, dass wir von einer angeborenen Veranlagung sprechen. Die gute Nachricht ist, dass jeder Mensch mit dieser Fähigkeit geboren wird, grundsätzlich also kreativ sein kann. Doch nicht alle von uns sind mit den gleichen Talenten ausgestattet. Wir leben dieses Potenzial auf unterschiedliche Art und Weise. Ob jemand Kommunikator geworden ist und sich bewusst gegen eine Laufbahn als theoretischer Plasma­physiker entschieden hat, hängt vermutlich auch mit diesen individuell gelagerten Talenten zusammen. Diese lassen sich zwar bewusst nutzen, aber in der Tat nur schwer beeinflussen.

Neben der angeborenen Fähigkeit ist Krea­tivität auch eine Fertigkeit, was bedeutet, dass man diese bewusst erlernen, ­trainieren und verbessern kann. Es gibt bei dieser Fertigkeit mehrere Aspekte, die sich bewusst beeinflussen lassen: die Haltung, Gewohnheiten sowie Techniken und Prozesse.

Die richtige Haltung

Zentral für Kreativität und die Frage, wie kreativ jemand sein wird, ist neben den Gewohnheiten auch die Haltung eines Menschen gegenüber neuen Ideen und den Reaktionen darauf. Die große Mehrheit weiß bei einer Idee oder einem ungewöhnlichen Vorschlag meist recht schnell, warum dieser nicht funktionieren wird. Diese Menschen finden Gründe, warum es nicht geht: „Ja, aber …“ Die Idee erstickt dabei bereits im Keim. Es wäre aber auch möglich, neuen Ideen mit der Haltung zu begegnen, erst einmal das Positive oder die Chance in Neuem zu sehen. Ganz nach dem Credo: „Warum eigentlich nicht?“ Neben dem Realitätssinn braucht es auch den Möglichkeitssinn, denn besonders im Anfangsstadium sind neue Ideen extrem fragil. Die Haltung der Menschen, die diese Ideen betrachten, ist dabei entscheidend, ob diese eine Chance haben oder sofort aussortiert werden. Ohne eine unterstützende Haltung sind Kreativitätstechniken und Kreativprozesse wie Design Thinking oder ­Systematic Creative ­Thinking nutzlos. Mit der richtigen Haltung können sie jedoch sehr wirksam sein. Die eigene Einstellung gegenüber Neuem kann man frei wählen. Auch wenn es meist ein bewusster Übungsprozess ist.

Neben der grundlegenden Haltung gibt es eine Reihe von Gewohnheiten des Denkens und des Tuns, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Kreativität entsteht, die Grundregeln der Kreativität. Diese sind intellektuell einfach zu begreifen, genauso wie Menschen, die mehr Sport machen oder mit dem Rauchen aufhören möchten, grundsätzlich wissen, was zu tun ist. Wichtiger ist jedoch die bewusste Übung dieser Muster, damit sie wirklich zu Gewohnheiten werden.

Nicht sofort bewerten

Es klingt banal, dennoch scheitern Menschen und besonders Gruppen häufig an der folgenden Herausforderung: Sie können die Entwicklung von Ideen nicht von der Bewertung von Optionen trennen. Beides sollte nicht gleichzeitig durchgeführt werden. Während wir Ideen generieren, möchten wir wirklich erst einmal eine gewisse Zeit mit ihrer Entwicklung verbringen und dabei sämtliche Bewertungen zurückstellen – egal ob sie gut oder schlecht sind. Erst danach, wenn die Optionen auf dem Tisch liegen, beginnen wir diese zu bewerten und über ihre Qualität zu sprechen. In der Fachsprache nennt man das die Trennung des divergierenden und des konvergierenden Denkens.

Probleme als Fragen formulieren

Das klingt auf den ersten Blick noch simpler, hat jedoch einen starken Effekt auf Ihr eigenes Denken und das der Kollegen. Anstelle der Aussage „Der Text liest sich zu schwammig und verschnörkelt“ könnte man fragen: „Wie können wir die Botschaft noch direkter rüberbringen?“ Wir versuchen also, ein Problem als offene Frage zu formulieren. Der Unterschied in den Köpfen aller Beteiligten ist, dass wir in den Lösungsmodus kommen. Diese kleine Veränderung im Denken und Sprechen kann eine sehr positive Dynamik in das Denken und damit ins Team bringen. Neben diesen zwei Beispielen für Denkgewohnheiten gibt es auch Gewohnheiten des Tuns, die Kreativität begünstigen können.

Inkubationszeit nutzen

Oft müssen die Dinge ja sehr dringend, am besten sofort, erledigt werden. Wer kann, lässt idealerweise zwischen dem ersten Wurf und der finalen Version einer Arbeit etwas Zeit verstreichen. Das Gehirn beschäftigt sich weiter mit der Sache, auch wenn wir nicht aktiv daran arbeiten. Diese Inkubationszeit führt dann noch einmal zu neuen Ideen und Aspekten, die eine erste Version noch einmal verbessern können. Wenn möglich, sollten Sie diese Inkubationszeit nutzen.

Zeiten für Kreativität planen

Das mag für Anhänger des Flüchtigkeitsmythos der Kreativität wie eine Provokation klingen: Sie sollten sich ganz bewusst eine unterbrechungsfreie Zeit für kreative Tätigkeiten einplanen. Wie sagte der Schriftsteller Steven Pressfield einmal so schön: „Ich schreibe ausschließlich, wenn ich inspiriert bin. Glücklicherweise kommt die Inspiration jeden Morgen um Punkt neun Uhr!“ Wir können nie garantieren, dass zu einer bestimmten Uhrzeit ein besonders kreativer Einfall kommt. Was jedoch garantiert ist: Ohne den bewussten Versuch, kreativ zu sein, passiert meist wenig. Dabei ist es für Menschen, die beruflich kreativ sein müssen, besonders wichtig, dass sie unterbrechungsfreie Zeit haben. Während dieser Zeit gibt es keine Anrufe, keine kurzen Kollegengespräche und andere Störungen. Jede Ablenkung bei Tätigkeiten wie das Verfassen eines Textes wird Sie meist wieder zurück auf Los werfen. Wer sowohl Manager ist als auch kreativ tätig sein muss, der kennt den Konflikt zwischen diesen beiden unterschiedlichen Taktungen. Während der Manager in Stundeneinheiten denkt, in welchen er seine Besprechungen ansetzen kann, denkt ein Kreativer eher in halben oder ganzen Tagen, an denen er sich ohne Unterbrechung einer Tätigkeit widmen kann. Außerdem gibt es sogenannte Kreativitätstechniken und Prozessmodelle der systematischen Kreativität. Diese sind äußerst wichtig und hilfreich, um kreativ zu sein. Sie funktionieren jedoch nur, wenn die obigen Aspekte erfüllt sind.

Habe ich ein sinnvolles Ziel?

Der wichtigste Erfolgsfaktor für Kreativität kann nicht wirklich erlernt, jedoch durchaus beeinflusst werden: die Motivation. Der größte einzelne Einflussfaktor auf die Frage, wie kreativ jemand sein wird, ist die Frage, ob und wie motiviert er oder sie für eine Sache ist. Gibt es einen Grund, kreativ zu sein? Erachte ich die Tätigkeit und das Ziel als sinnvoll? Diese beiden Fragen sollten vorab ­positiv beantwortet werden. Dann bin ich startklar, um der Kreativität mit einer positiven Grundhaltung und der einen oder anderen Technik freien Lauf zu lassen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KREATIVITÄT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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