Dort, wo die grüne Hoffnung einmal wachsen soll, war bis vor Kurzem ein Rapsfeld. Die drei Hektar Land, eine Fläche so groß wie vier Fußballfelder, hat die Agentur Achtung! erworben. Gründer und Geschäftsführer Mirko Kaminski ist sichtlich stolz. Auf diesem Stück Natur im schleswig-holsteinischen Braak bei Hamburg wollen er und sein Team einen Wald anlegen.
Klimaschutz heißt die Devise. Seit dem Pariser Abkommen im Jahr 2015, aber vor allem seit dem Aufkommen der Fridays-for-Future-Bewegung rund drei Jahre später und nicht zuletzt nach mehreren trockenen Sommern mit Rekordtemperaturen läuten in Politik und Gesellschaft die Alarmglocken. Der jüngste Bericht des UN-Weltklimarats und die Flutkatastrophe im Ahrtal machen zusätzlich deutlich, dass der Klimawandel auch für Deutschland massive Auswirkungen haben wird. „Wir müssen was machen. Wir wollen was machen“, fasst Kaminski die Stimmung in seiner Firma zusammen. „Denn natürlich haben wir erkannt, dass es Zeit wird, uns zu engagieren.“
Bäume pflanzen gegen den Klimawandel – auf diese Idee ist die Hamburger Kommunikationsagentur nicht als Erste gekommen. Konzerne wie Eon, Nestlé oder H&M, aber auch viele mittlere und kleine Unternehmen aus allen Branchen bis hin zum regionalen Bestattungsinstitut lassen Setzlinge in den Boden pflanzen: mal in Afrika, Südamerika oder in Deutschland. Oft machen sie Werbung damit, um zu zeigen, dass sie ihre Klimabilanz zumindest nach außen hin aufbessern.
Ein positives Asset
Es ist nicht nur die Verantwortung gegenüber Umwelt und künftigen Generationen, die sie handeln lässt. Auch zunehmender öffentlicher Druck, Wettbewerbsvorteile und eine Verbesserung der Reputation sind Anreize, wie eine Studie zeigt. „Wer sich im Klimaschutz positioniert, der hat in seiner Vermarktung nach außen ein positives Asset. Und ein junger Baum hat Symbolkraft, da er sinnbildlich für Klimaschutz steht“, sagt Dieter Niewierra, Sprecher des Münchner Unternehmens Climatepartner, das Klienten bei ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und -kommunikation berät. Viele Unternehmen wollen auch ihre Verbundenheit zur Region zeigen, indem sie lokale Waldschutz- und Aufforstungsprojekte unterstützen, ergänzt Nina Giaramita von der Klimaschutzorganisation Primaklima.
Nicht zu unterschätzen ist das Potenzial, Kund*innen und Mitarbeiter*innen zu binden. Oft ist es die Belegschaft selbst, die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzaktivitäten im Unternehmen fordert oder vorantreibt. Bei Achtung! beispielsweise, wo man gerade dabei ist, ein umfassendes Programm aufzusetzen, bildete sich zunächst eine Arbeitsgruppe zur Etablierung klimafreundlicher Maßnahmen im Haus. Und als die Idee vom eigenen Wald aufkam, war die ganze Firma euphorisiert. Dass jährlich zehn Prozent der Gewinne, die die Agenturgruppe einfährt, in die Akquirierung und Aufforstung eigener Flächen fließen sollen, motiviert zusätzlich. So soll die persönliche Leistung auf das Klima einzahlen.
Auf der anderen Seite stehen die Kund*innen. „Für uns war klar, dass wir etwas machen, das mit uns wächst und mit der Zeit zu einer Plattform wird“, sagt Kaminski. Irgendwann, so schwärmt er, sollen Mitarbeitende wie Klienten am Wald teilhaben. Zu Weihnachten könnte es einen eigenen Waldhonig geben. Der Wald verbindet. Und sorgt für eine klare Positionierung: „Wir sind die mit dem eigenen Forst.“
Die wenigsten Unternehmen werden zu Waldbesitzern. Öfter unterstützen sie Projekte im freiwilligen Kompensationsmarkt. Das heißt, sie investieren in bestehende Aufforstungsprojekte und gleichen so CO2-Emissionen aus. Allein in Deutschland hat sich das gehandelte Volumen in den vergangenen drei Jahren mehr als verdreifacht. 2019 wurden rund 100 Millionen Tonnen CO2 ausgeglichen. Der „Spiegel“ schrieb, dass der aktuell rund 300 Millionen Dollar schwere Zertifikatemarkt in wenigen Jahrzehnten auf bis zu 100 Milliarden Dollar anwachsen könnte.
Was bringt es?
In der Aufforstung von Wäldern liegt die große Hoffnung, das Tempo der Erderwärmung zu bremsen. Denn Bäume binden in besonderem Maß Kohlenstoff in der Atmosphäre. Aktuell gehen jedes Jahr große Waldflächen verloren. Allein 2020 wurden mehr als vier Millionen Hektar tropischen Regenwaldes in Brasilien zerstört. Das entspricht einer Fläche so groß wie die Niederlande. An Flächen zur Erstaufforstung mangelt es nicht, weltweit stehen Milliarden Hektar zur Verfügung, etwa im Globalen Süden, aber auch im östlichen Europa und in Russland.
Wälder zu begründen und zu erhalten, ist daher grundsätzlich gut, sagt Forstwissenschaftler Sven Wagner von der TU Dresden. „Die Frage ist nur, welche Wälder da entstehen.“ Schlecht sei es, wenn das Geld etwa in reine Eukalyptusplantagen in Brasilien fließe. „Dort war wahrscheinlich vorher ein diverser Mischwald, der wurde kahlgeschlagen, und jetzt heißt es, wir forsten wieder auf. So geht es nicht“, meint der Waldökologe.
Stabile Wälder zeichnen sich durch Diversität aus. Mischbestände, also alte Bäume neben jungen Bäumen, Laubbäume neben Nadelbäumen – das sei hierzulande eine Versicherung gegen die Unsicherheit, die der Klimawandel bringt, sagt Wagner. Denn auch die Forstwissenschaft weiß nicht, wie das Klima in 50 Jahren aussehen wird. Größtmögliche Vielfalt ist aber nicht überall realisierbar. In Brandenburg beispielsweise, wo der Boden sandig ist und wenig Wasser hält, wird die Kiefer weiterhin ihren Platz haben. Dass im Kompensationsmarkt Bäume mitunter danach beurteilt werden, wie viel CO2 sie binden können, irritiert den Wissenschaftler: „Die CO2-Speicherung von Wald läuft über die Fläche und nicht über einzelne Bäume.“ Es gibt vieles zu beachten und einiges, was schiefgehen kann bei Forstprojekten. Doch Wagner beruhigt: Wer Kompensationsprojekte fördert, die nach Standards wie etwa dem „Gold Standard“ zertifiziert sind, der kann sicher sein, dass sein Geld gut investiert ist.
Glaubwürdigkeit kostet
Standards und Zertifikate sind wichtig in einem Markt, der bislang kaum reguliert ist. Das ist nicht günstig, aber man könnte sagen: Glaubwürdigkeit kostet. Sonst droht schnell der Vorwurf des Greenwashing. Riskant wird es auch, wenn ein Unternehmen nur kommuniziert, was es kompensiert, aber nicht, was es gleichzeitig tut, um Emissionen im eigenen Haus zu reduzieren oder zu vermeiden. Denn Bäume pflanzen allein rettet das Klima nicht.
Vor etwa 20 Jahren warb der Bierbrauer Krombacher damit, pro verkauften Kasten Bier einen Quadratmeter Regenwald zu schützen. Damit sollte das Image als naturverbundenes Unternehmen gestärkt werden. Doch es hagelte Kritik. Da half auch die Kooperation mit dem WWF nicht: Den Werbeversprechen stünden ungenügende Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Haus entgegen. Dem sei nicht so gewesen, versichert Pia Munschek-Jung, verantwortlich für die Nachhaltigkeitskommunikation bei Krombacher. Doch es habe schlicht niemand gewusst. Das Unternehmen hat daraus gelernt. „Wir haben seitdem stark auf Transparenz gesetzt. Wir haben zum Beispiel früh unabhängige Gutachter mit ins Boot geholt und über die Verwendung der Mittel kommuniziert“, sagt Munschek-Jung. Zudem wurden die internen Maßnahmen erweitert. Heute produzieren eigene Kraftwerke Ökostrom, ein Nachhaltigkeitsrat berät das Unternehmen als Kontrollgremium. Seine Regenwald-Schutzaktion hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren ebenfalls ausgebaut und um eine Aktion zum Schutz von Torfmoorwäldern in Borneo ergänzt. 2019 hat der Getränkehersteller sein Borneo-Projekt ausgewertet: „10 Jahre Krombacher Klimaschutz-Projekt auf Borneo – Klimanutzen bei 3 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr“ lautet die Headline der Pressemitteilung.
„Wichtig ist zu erkennen, dass Unternehmen Teil der Lösung sein wollen“, sagt Nina Giaramita von Primaklima. Das sieht auch Dieter Niewierra so, wenngleich er davon abrät, Produktwerbung mit Klimaschutz in Verbindung zu bringen: „Je mehr ich konsumiere, desto mehr schütze ich das Klima – dieser Schluss ist natürlich Unsinn. Jede Art von Konsum ist schlecht fürs Klima.“ Marketing und Kommunikation brauchen einen wachen Blick. Begrifflichkeiten wie „100 Prozent klimaneutral“ oder „CO2-frei“ beispielsweise vermittelten einen falschen Eindruck: „Kein Produkt kann emissionsfrei sein“, sagt Niewierra. Das sei vielleicht keine bewusste Täuschung. Nur: „Die Frage ist nicht, ob es absichtlich oder unabsichtlich passiert ist – es ist auf jeden Fall falsch.“
Auch der Forstwissenschaftler Sven Wagner fordert einen ganzheitlichen Blick. Der Wald sei nicht nur eine Kohlenstoffsenke, die sich gut vermarkten lasse. „Die Menschen erholen sich im Wald, er ist Heimat für eine unglaubliche Vielfalt an Organismen, er liefert uns Trinkwasser und Holz für unsere Möbel, unsere Häuser – das alles ist Teil eines großen Konzepts.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltigkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.