Wie die SPD Wahlen gewinnen kann

Kanzlerkandidat Olaf Scholz

Die Wahl in Hamburg war nicht nur die einzige Landtagswahl des Jahres 2020. Sie wird auf absehbare Zeit auch die letzte bedeutende Wahl in Deutschland bleiben, die nicht von den Auswirkungen der Corona-Pandemie überschattet wurde. 2021 folgen ab März sechs Landtagswahlen und die Bundestagswahl im September.

Der SPD gelang es in Hamburg, nach einer bundesweiten Serie von schlimmen Wahlergebnissen den Trend zu durchbrechen. Peter Tschentscher und die SPD schafften es innerhalb kürzester Zeit, sich von 25 Prozent in den Umfragen (Insa, 19.11.2019) um mehr als 14 Prozentpunkte zu steigern. Wichtiger noch: Die SPD konnte den Abstand zu den Grünen von Gleichstand Anfang Januar auf 15 Punkte Vorsprung Ende Februar ausbauen. Was lässt sich daraus schließen?

Punkt 1: Das Personal

Mit Peter Tschentscher von der SPD und Katharina Fegebank von den Grünen traten der Erste Bürgermeister und die Zweite Bürgermeisterin gegeneinander an. Für beide war es die erste Wahl als Spitzenkandidat. Beide waren beliebt – und dennoch: Am Wahltag selbst konnte Tschentscher seinen Bonus klar ausspielen.

Generell gilt in Deutschland: Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sind Grundvoraussetzung für den Erfolg. Im Wahlkampf selbst spielte Tschentscher sein Ansehen als Amtsinhaber aus. Er blieb in den zahlreichen Debatten ruhig, sachlich, kompetent und ließ sich auf keine kurzfristigen Richtungswechsel ein. Seine Herausforderin befand sich hingegen häufig noch im Stadium des „Message Testing“ und musste den Spagat zwischen einer anspruchsvollen grünen Kernwählerschaft und der in der Mitte ruhenden Hamburger Zielwählerschaft schaffen. Das gelang ihr mehrfach nicht. Die Bundesspitze der Grünen wird sich diesen Wahlkampf daher besonders intensiv ansehen: Erneut klafften die Umfragen und der Ertrag am Wahltag weit auseinander.

Punkt 2: Das Ansehen der Regierung

Rot/Grün regierte Hamburg mit einer herausragenden Bilanz. Am Wahltag erhielten beide Parteien zusammen 63,5 Prozent. Das ist eine wahrlich „Große Koalition“.

In allen Landtagswahlen der vergangenen Jahre spielte das Ansehen der amtierenden Regierung eine bedeutende Rolle. Sowohl bei ihrer Wahl als auch bei ihrer Abwahl. Und zwar unabhängig davon, wie die Umfragen in den Monaten zuvor aussahen. Denn die Umfragen auf Länderebene sind häufig überschattet vom Bundestrend. So hatte Rot/Grün in NRW zum Beispiel Anfang 2017 noch hervorragende Umfragewerte. Die schlechten Kompetenzwerte führten trotz Amtsbonus der Ministerpräsidentin am Ende aber zur Abwahl. In Hamburg zeigten alle Daten der internen wie veröffentlichten Erhebungen eine hohe Zufriedenheit mit der Regierung in nahezu allen Politikbereichen.

Merke: Ein Amtsbonus funktioniert nur bei einer guten Bilanz.

Punkt 3: Die Kampagnen

Beide Kampagnen setzten auf eigene Stärken. Die Grünen spielten vor allem die Karte, dass mit Fegebank die „Erste Frau“ und „Erste Grüne“ zur Ersten Bürgermeisterin gewählt würde. Am Ende war aber vielleicht genau dies zu selbstreferenziell. Denn was Hamburg nun konkret davon haben würde, machte die Kampagne nicht klar. Visuell war es eine klassische Grünen-Kampagne – eine eigenständige Hamburger Handschrift fehlte.

Die SPD setzte sich in ihrer Kampagne, die wir als Agentur Richel, Stauss betreuten, vom Erscheinungsbild der Bundespartei ab: Das traditionelle Quadrat wurde nicht eingesetzt. Stattdessen setzte die Hamburger SPD auch visuell auf alte Größe. Die Lettern SPD prangten außergewöhnlich groß auf den Plakaten, die ansonsten zu 100 Prozent auf Peter Tschentscher und die Themen „Wirtschaft“, „Innovationen“, „Bildung“ und „Klima“ setzten. Das Motto „Die ganze Stadt im Blick“ zielte auf die eigene Stärke als „Die Hamburg-Partei“, aber auch auf die Schwäche der anderen, doch eher Klientelparteien zu sein.

Aus dem Zusammenspiel aller drei Faktoren, der guten Regierungsarbeit, der überzeugenden Personalie und der dazu passenden Kampagne, erklärt sich der Erfolg der Sozialdemokraten in Hamburg.

Was bedeutet Hamburg für die Bundestagswahl 2021?

Die Erfolgsaussichten der Regierungsparteien bei der Bundestagswahl im September 2021 hängen von der Bewältigung der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen ab.

Zum Höhepunkt der Pandemie im April 2020 lässt sich eines ablesen: Die bis vor kurzem noch als verbraucht und zerstritten wahrgenommene Große Koalition wächst an ihren Aufgaben und auch in ihrem Ansehen. Lagen Union und SPD zum Jahresbeginn gemeinsam noch bei 40 Prozent (CDU/CSU: 27, SPD 13), so kamen sie Anfang April schon wieder auf 50 Prozent (CDU/CSU: 34, SPD 16; ZDF).

Zentrale Akteure, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, steigen in den Erhebungen in bisher unerreichte Höhen. Sollte die Bundesregierung weiter so stark agieren, kann es im September 2021 statt des bisher angenommenen Wettkampfs zwischen CDU/CSU und den Grünen einen Zweikampf zwischen Union und SPD geben.

Zu den Parallelen zwischen Hamburg und Bund zählen bei weiterhin positivem Verlauf des Ansehens der Bundesregierung die hohen Kompetenzwerte, ein fehlender Wechselwille und dass es (erneut) einen Wahlkampf zwischen bisherigen Koalitionspartnern gäbe.

Der wichtigste Unterschied: der fehlende Amtsbonus, da Frau Merkel nicht mehr für CDU/CSU antreten wird. Und das ist spannend – können wir doch davon ausgehen, dass ein guter Teil des Aufschwungs der Union in den Umfragen auf das Konto der Kanzlerin geht. Was aber geschieht im Sommer 2021, wenn die Wählerinnen und Wähler final realisieren, dass sie Merkel gar nicht mehr wählen können? Auf wen fällt der Amtsbonus? Auf die Parteien oder auf die Personen? Für die Union kämen als Kandidaten Merz, Laschet, Söder und eventuell noch Spahn in Betracht. Bei der SPD wäre aktuell Vizekanzler Olaf Scholz die natürliche Nummer 1.

Mit Merz träte zum Beispiel ein erzkonservativer politischer Spätheimkehrer, der zuvor noch keine bedeutende Wahl gewonnen und auch kein bedeutendes Amt innehatte, gegen den amtierenden Vizekanzler und Finanzminister, ehemaligen Arbeitsminister und zweimalig erfolgreich gewählten Ersten Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, an. Und Robert Habeck wäre auch noch dabei. Würde man ihm in Zeiten der Krise das Land anvertrauen wollen?

Wohin schlägt das Pendel der hochvolatilen Wählerschaft aus? Was für viele noch vor wenigen Wochen undenkbar war, könnte 2021 tatsächlich eintreten: dass die SPD den nächsten Bundeskanzler stellt. In dieser Gleichung stecken viele Unbekannte. Zunächst einmal die SPD, die sich gerne selbst im Wege steht. Aber vor allem der Verlauf der Coronakrise. Auf jeden Fall sollten sich die Parteien auf viele Szenarien vorbereiten. Denn selten war eine Wahl unberechenbarer als die nächste Bundestagswahl.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CORONAKRISE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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