Wie Botschaften in einer Rede richtig ankommen

Kolumne

In den vergangenen drei Monaten habe ich mit einigen Kolleginnen und Kollegen die Hauptversammlungen der Dax-30-Konzerne verfolgt und die Reden der Vorstandsvorsitzenden analysiert und bewertet. Dabei ging es nicht nur um den Redetext, sondern auch um die Art und Weise des Redens, also Stimme und Sprechweise der Redner, Gestik und Mimik, die Verständlichkeit des Vortrags und um die gesamte Inszenierung drumherum.

Und es ging natürlich auch darum, wie die Redner als Menschen, als Person (per sono = durch den Ton) rübergekommen sind. Waren sie authentisch? Wirkten sie unsicher? Waren sie glaubwürdig und überzeugend? Immerhin geht es um eine Menge Geld, um Investitionen von Anlegern, auch um Bonuszahlungen für Vorstände.

Viele solcher Fragen haben wir uns gestellt. Und ganz ehrlich: Wenn in einer Stellenausschreibung zum CEO stehen würde, „muss überzeugend reden können“ (mit besonderer Betonung auf „überzeugend“), dann wären einige Vorstandsvorsitzende heute nicht auf ihrem Posten. Es tut mir fast leid, das so hart formulieren zu müssen, aber zu einem großen Teil waren die bisherigen Auftritte der Konzernchefs auf den digitalen Hauptversammlungen 2021 nicht gelungen.

Ja, einige Botschaften kamen zwar irgendwie an – manchmal auch dank der Powerpoint-Folien und anderen Grafiken, die parallel eingeblendet wurden. Aber nicht immer sind sie über das Ende der Hauptversammlung hinaus im Gedächtnis geblieben. Und nur in wenigen Fällen konnte ich sagen: Wow, diesem Konzern-Chef hätte ich gerne noch länger zugehört.

Das mag an der Veranstaltungsform als solche liegen. Eine Hauptversammlung ist schließlich keine Unterhaltungsshow. Aber wie schon zuletzt hier geschrieben: Auch auf einer unsexy Veranstaltung darf ich eine sexy Rede halten. Leider schien in vielen Fällen die Liebe zum Auftritt noch nicht recht entbrannt – oder die rhetorische Libido war schon wieder erloschen. Und das hat von außen betrachtet – in die Köpfe der Redner kann ich ja nicht hineinschauen – mehrere Gründe. Die im Übrigen für alle Reden auf allen Veranstaltungen gelten. Daher hier der Versuch einer Zusammenfassung.

1. Vorbereitung: Der Weg zum erfolgreichen Rede-Auftritt

Dem früheren Entertainer und Showmaster Rudi Carell („Am laufenden Band“) wird der Satz zugeschrieben: „Ich kann nur ein Ass aus dem Ärmel ziehen, wenn ich vorher eines reingetan habe.“ Sprich: Ich muss mich vorbereiten. Im Idealfall wirkt das dann auch nicht immer vorbereitet, sondern ganz natürlich – die „inszenierte Spontanität“, von der ich schon mal in meinem Beitrag zu Otto Waalkes schrieb. Selbst relativ banale Situationen wie der Dank eines Vorstandsvorsitzenden an scheidende Vorstandsmitglieder muss geübt sein. Auch der Dank von Vorsitzenden des Aufsichtsrates an den berichtenden CEO.

Wenn man das nicht übt, kann das dann so aussehen: Chef des Aufsichtsrats spricht direkt in die Kamera: „Vielen Dank an den Vorstandsvorsitzenden“, schaut ihn dabei aber nicht an, obwohl er im selben Moment an ihm vorbei zu seinem Platz geht. Oder: CEO liest Dank an Vorstandsmitglieder oder verdiente Beschäftigte mit absolut gleichtöniger Stimme vom Teleprompter ab (dazu später mehr). Oder: Redner ist fertig mit der Rede, weiß aber nicht, was er jetzt machen soll.

Wie auch immer es im Einzelfall aussieht: Die Wirkung kann verheerend sein. Vom CEO, den das Publikum öffentlich demontiert sieht, bis zum Vorstand, der offenbar keinen Bezug zu seinem Job als oberste Führungskraft des Unternehmens hat.

2. Bitte nicht ununterbrochen in die Kamera starren!

Menschen anzusprechen und dabei nur in eine Kamera zu schauen, ist zunächst schwer und ungewohnt. Das wissen alle, die mal einen ersten Beitrag fürs Fernsehen gemacht haben. Oder wir, die wir in den vergangenen 15 Monaten unsere Seminare und Vorträge von „Präsenz in einem Raum mit vielen Teilnehmern“ auf „Allein vor dem Computer mit Webcam“ umstellen mussten.

Es gibt verschiedene Tricks, damit umzugehen, in Online-Workshops zum Beispiel ganz simpel das Foto eines netten Menschen neben die Webcam pinnen. Wie auch immer, eines ist sicher: Der starre Blick direkt in die Kamera ohne irgendeine Regung im Gesicht ist anstrengend. Auch und gerade für die Zuschauer. Das gibt Abzüge bei der Sympathie-Note. Und das ist gefährlich, weil Sympathie und Glaubwürdigkeit zusammengehören und beide etwas mit dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers zu tun haben. Oder wollen Sie sich von Ihrem Gesprächspartner unentwegt anstarren lassen? Das ist wirklich nicht schön. Da guckt man automatisch weg.

Niemand weiß, wie lange uns diese Pandemie noch im Griff haben wird oder in welchem Umfang das Virtuelle und Digitale den Ausnahmezustand überdauern wird. Eines aber ist gewiss: Es wird auch künftig Veranstaltungen mit Reden und Vorträgen vor Kameras geben. Darum: Bitte mehr Kameratraining! Es ist, wie gesagt, zunächst ungewohnt, aber man kann Sprechen in die Kamera lernen.

3. Besonders wichtig in einer guten Rede: die Pausen

Die Macher der Hauptversammlungen 2021 haben sich in fast allen Fällen für den Gebrauch eines Teleprompters entschieden. Doch der Umgang damit muss ebenso geübt (siehe oben) und vorbereitet (siehe ganz oben) werden. Häufiger Fehler: Die Redner starren ununterbrochen in die Kamera und lesen ab. Das wirkt nicht nur unsympathisch, sondern auch unnatürlich und manchmal gar ein bisschen abstoßend. Die Botschaft geht völlig flöten. Vor allem dann, wenn durch das unentwegte Starren nicht einmal mehr Platz für vernünftige Pausen bleibt. Dabei sind Pausen eines der wichtigsten Stilmittel in einer Rede.

Wie gestalte ich die Pausen bei einer solchen virtuellen Veranstaltung? Zwei einfache Möglichkeiten: Ich schaue auf das Skript vor mir, orientiere mich im Rede-Ablauf (oder tue so), sehe den kommenden Abschnitt mit einem vielleicht neuen Thema, schaue wieder auf, hole Luft und nehme neuen Rede-Schwung. Manche schieben dann gerne auch ein „Meine Damen und Herren“ ein. Und auch danach bitte eine kurze Pause und erst dann im Text weitergehen. Pausen sind wichtig für eine gute Rede! Das ist wirklich ganz simpel umzusetzen, doch das bedeutet eben: sich vom Teleprompter lösen und den Blick auf ein echtes Blatt Papier (ja, so etwas gibt es auch in digitalen Corona-Zeiten noch) wenden.

Zweite Möglichkeit: Kamera-Wechsel. Redner oder Rednerin wendet sich einer zweiten Kamera zu. Das kann ganz einfach inszeniert werden, muss man aber auch mal vorher üben. Aber auch so entstehen angenehme Pausen. Also: Vieles ist möglich.

Je länger diese Digital-Phase läuft, umso anspruchsvoller werden die User, umso mehr Neues muss man sich einfallen lassen. Bedenken wir die allgemeine digitale Erschöpfung (Digital Fatigue) von uns allen als Online-Usern. Die letzten 15 Monate waren dermaßen anstrengend, da darf nicht auch noch die Hauptversammlung anstrengen – oder jeder andere Rede-Anlass. Alles, was hier geschrieben steht, können wir auf diverse virtuelle Rede-Situationen übertragen.

4. Text lernen!

Spätestens seit der berühmt gewordenen Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger, der aufgrund mangelnder Vorbereitung eine desaströse Rede hielt und daraufhin sogar aus dem Amt schied, sollte jeder, der eine Rede hält, wissen: Vorher durchlesen, Betonungen setzen, Redefluss und einzelne Begriffe üben. In einer Hauptversammlungs-Rede wurde von „Kabbastäten“ statt von „Kapazitäten“ gesprochen, auch von „Didivende“ statt „Dividende“ war die Rede. Alles menschlich, okay. Wir dürfen Fehler machen, auch das. Aber üben dürfen wir auch. Gerade solcherlei Kleinst-Verhaspelungen erwecken – wenn sie in einer Rede mehrfach vorkommen – den Eindruck, der Redner habe schlicht keine Lust und gehe dieser offenbar unangenehmen Pflicht einer öffentlichen Berichterstattung über das eingesetzte Geld nur widerwillig nach. Dann ist er aber in diesem Moment an der falschen Stelle.

5. Wichtig: Mimik, Gestik und Körperhaltung

Eine Rede entsteht bekanntlich nicht nur durch den Text, sondern auch die Art und Weise, wie Redner blicken (siehe oben) und sich bewegen. Auch da war in den Hauptversammlungen vieles dabei. Vom CEO, der scheinbar einen Besenstiel verschluckt hat, bis zur bewegten und bewegenden Persönlichkeit. Bewegung tut Not, gerade in Zeiten, die wir fast nur noch am Schreibtisch und vor der Webcam sitzen. Da ist es gut, wenn auch die Redner(innen) buchstäblich mehr Schwung in ihren Auftritt bringen. Der Schwung darf aber wiederum nicht künstlich oder aufgezwängt wirken.

Ein wichtiger Punkt dazu: Gestik und Körperhaltung sind enorm wichtig für die Wirkung einer Rede – können aber ihrerseits nur wirken, wenn sie wahrgenommen werden. Und das geht zum Beispiel nicht, wenn die Redner hinter einem viel zu hohen Pult verschwinden. Frei zu stehen, ist nicht jedermanns Sache, muss auch nicht. Aber wenn Pult, dann bitte eines, das noch einen Blick auf Gesicht, Arme und Hände bietet. Sonst verkommt der CEO zur Schaufensterpuppe.

Wie gesagt, alles hier Geschriebene gilt auch für andere Rede-Anlässe. Daher der unbedingte Rat an alle: Zwängt Euch nicht hinter ein Redner-Pult, wenn Ihr Euch unwohl damit fühlt. Man kann auch von seinem Platz aus einen guten Vortrag halten. Oder frei im Raum stehen, oder an einem Stehtisch (da gab es bei den Hauptversammlungen das eine oder andere gute Beispiel). Die Bühne bietet viele Möglichkeiten. Wichtig ist, dass Rede und Auftritt authentisch und überzeugend rüberkommen.