Was haben menschlicher Balztanz und PR gemeinsam?

Flirtcoach beim Speed Dating

Ich sitze für den pressesprecher bei einem Speed-Dating in Hamburg. Meine Mission: Für Sie herauszufinden, was sich aus dem menschlichen Balztanz für die Unternehmenskommunikation lernen lässt. Wären die hier teilnehmenden Männer Unternehmen und die Frauen Kunden, um die sie werben, würde heute nicht viel Umsatz gemacht. Nur bei wenigen Typen deutet sich an, dass am Ende des Abends die Kasse klingeln könnte. Ich habe für Sie genauer hingesehen.

Schon immer war mir klar: Frauen sind Rudeltiere. Wenn sie unsicher sind, bilden sie blitzschnell eine reine Damenrunde. In neuen Gruppen zieht es sie zusammen wie Magnete. Es fällt ihnen leichter als Männern, Kontakt aufzunehmen und Verbindungen zu schaffen. Die Damen in dieser Bar bilden da keine Ausnahme. Sie bei diesem Speed-Dating mit Kunden zu vergleichen, ist nicht weit hergeholt, denn sie stehen schnatternd im Kreis und warten ab, was ihnen gleich geboten wird. Verfolgt werden sie von den interessierten Blicken der ersten Kerle, die jetzt alle peu à peu in der Bar eintrudeln.

Schon bevor das Event eigentlich begonnen hat, trennt sich bei den Männern die Spreu vom Weizen: Ein mutiger Draufgänger steuert lachend auf die Frauengruppe zu. „Attacke!“, heißt seine Devise. Es sind viele Frauen und ein Typ, da greifen Knappheit sowie soziale Bewährtheit. Diese Mechanismen funktionieren in der menschlichen Sozialdynamik gleichermaßen wie in der Werbung. Schon Verkaufsexperte Robert Cialdini belegte diese beiden Faktoren in „Die Psychologie des Überzeugens“. Rot, also selbstbewusst und aggressiv, wäre das Persönlichkeitsprofil des mutigen Pioniers. Ein Mittzwanziger im schwarzen Hemd betritt nach ihm die Bar. Er hingegen stolpert eher unbeholfen in Richtung Theke. Dahinter folgt Norbert, ein dicklicher Herr mit fettigem Haar. Die Theke gibt ihnen offenbar Sicherheit, etwas Alkohol bestimmt auch.

„Hallo, ich bin Andreas“, ein braungebrannter Typ mit Hornbrille spricht Laura neben mir an. Sie moderiert heute das Speed-Dating. Überraschenderweise setzt Andreas die freundliche Vorstellung nicht fort, sondern schimpft mit ernster Miene drauflos: „Mit meiner Buchung ist ja mal alles schiefgegangen. Also die E-Mail …“ Schnell wird mir klar, Andreas findet Laura attraktiv, weiß nur nicht, was er sagen soll und textet sie deshalb einfach mit seiner Beschwerde zu. Besser als gar nichts zu sagen zu haben, denkt er sich wohl.

Ein Klirren schallt durch den Raum. Eine Blondine verschüttet ihr Getränk und die anderen Frauen weichen dem klebrigen Cocktail kreischend aus. Spontan sehe ich meine Chance, den Gentleman heraushängen zu lassen. Voll engagiert schnappe ich mir einen Stapel Servietten von der Bar und eile zu dem Missgeschick. Während ich hilfsbereit den Cosmopolitan von Nathalies blauem Kleid tupfe, betreibe ich so meine erste Form der Kaltakquise. Lachend werden Hände geschüttelt. Wenig später erkämpft sich Laura die Aufmerksamkeit. Sie führt uns in das Prinzip der Veranstaltung ein: Je sieben Minuten pro Gespräch sollen uns zum Kennenlernen reichen. Danach erklinge eine Glocke, worauf wir Männer den Platz und die Gesprächspartnerin wechseln sollen. Auf geht’s.

Die Stimmung in der Bar wirkt angespannt. Vor mir stochert die 27-jährige Sarah verlegen in ihrem Glas. Ich lächele sie an und beginne mit ihr heiter über den Klebrigkeits-Level diverser Getränke zu fachsimpeln. So eine lockere Form des Flirtens gefällt mir besser als der Fragenkatalog, den Andreas am Tisch neben mir abspult. Denn mit dem Fragen ist das so eine Sache beim Flirten. Friedemann Schulz von Thun beschreibt in seinen Standardwerk „Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“ die vier Ebenen der menschlichen Kommunikation. Er begründet, dass in jeder Nachricht, die wir einander senden, jeweils Sachinformation, Ich-Botschaft, Beziehungsebene und Appell enthalten sind. Stellt man eine Frage, zielt diese auf der Apellebene immer auf ein „Sag mir etwas“ ab. Man will also etwas von seinem Gegenüber. Aus Erfahrung weiß ich, dass es, anstatt etwas einzufordern, immer stärker ist, neuen Bekanntschaften direkt einen Mehrwert zu bieten. Spaß, neue Informationen, Kontakte, Verständnis oder Anerkennung können solche Mehrwerte sein.

Speziell kurzweilige Geschichten beflügeln jedes Gespräch. Small-talk funktioniert ähnlich wie ein Tennisspiel. Macht man den Aufschlag mit einer Story, kommt dazu auch eine Erfahrung des Anderen zurück. Ich gehe sogar so weit zu sagen, witzige Flirts fallen leichter, wenn man sich verbal verhält wie eine dieser Ballwurfmaschinen beim Tennis.

Nach meinem verbalen Aufschlag sprudelt es aus Sarah nur so heraus. Sie sagt mir, dass sie gerade erst ihren Berufsschulabschluss geschafft hat. Ich erzähle ihr daraufhin von einer durchgeknallten Hippie-Lehrerin aus meiner Schulzeit. Sie lacht und spielt mir den Ball zurück mit einer Spickzettel-Geschichte aus ihrem Berufsschulalltag. Worüber man plaudert, wird überschätzt. Viel wichtiger ist, dass es zwischenmenschlich stimmt und auf der Beziehungsebene ein positives Gefühl entsteht. Sarah und ich lachen über ihren missglückten Schummelversuch bei der Prüfung. Wir verstehen uns, das mit den Geschichten funktioniert hervorragend. Da läutet auch schon die Glocke und es wird gewechselt.

Vor Ute (31), nicht mein Typ, nehme ich widerwillig Platz. Um mich herum höre ich vielfach „Na, wo kommst du her?“, „Und was machst du so beruflich?“, „Tja, sag mal, wie alt bist du eigentlich?“ Durch den Raum hagelt es Verlegenheitsfragen. Beim dicklichen Norbert ist das Gespräch bereits nach der Vorstellung vollständig eingeschlafen. Statt in Norberts Augen schaut die zierliche Brünette ihm gegenüber lediglich auf ihr Smartphone. Es mangelt an spannenden Gesprächsthemen. Die Klingel ertönt noch fünf weitere Male und ich komme ins Grübeln: Wenn diese Männer mit ihren unterschiedlichen Strategien nun Marketingabteilungen wären – welche Kategorien ließen sich finden?

Die Labertasche

Er redet ohne Punkt und Komma. Als nach sieben Minuten die Glocke zum Wechseln ertönt, fragt er die Frau vor sich „Wie heißt du noch mal?“ Marketingabteilungen von dieser Art setzen bei der Werbung auf Quantität. Nach dem Motto: „Hauptsache häufige Wiederholungen von Markennamen wie Slogans und irgendwann wird schon etwas beim Kunden hängen bleiben.“
Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Radiowerbung zum Seitenbacher Müsli. Diese wird von Firmenchef Willi Pfannenschwarz mit stark schwäbischem Akzent selbst eingesprochen: „Woischd Karle, du sollschd emol e Seitenbacher Müsli esse. Na hädschd auch net immer die Probleme mit deiner Verdauung.“ Dazu dröhnt es „Seitenbacher, lecker, lecker, lecker“ aus den Lautsprechern, wenn der Werbespot des Buchener Naturkostherstellers im Radio läuft. In 15 Sekunden wird der Markenname vierfach wiederholt, bis ihn sich entweder jeder merkt oder das Radio genervt ausschaltet. Pfannenschwarz erklärt zu seiner Werbestrategie, dass er sich nicht um Trends schere. Marktforschung, sagt er, ist „rausgeschmissenes Geld“.
Das heißt nicht, dass diese Form der nervigen und doch einprägsamen Werbung nicht auch funktioniert. Der Erfolg der Müsli-Produzenten hat die deutsche Marke bis nach Übersee gebracht, in den USA ist der Spot für das nordamerikanische Ohr nicht weniger anstrengend. Dort heißt es dann „Seitenbacher – easy to eat, hard to spell“.

Der smarte Zuhörer

Er zeigt ehrliches Interesse an seiner Zielgruppe. Stellt nur bedeutsame Fragen, bis er zum emotionalen Kern seines weiblichen Gegenübers vorgestoßen ist. Und spricht mit ihr über Themen, die sie wirklich beschäftigen. Seine Worte bewegen und gehen in der Regel unter die Haut. Als sie ihm von ihrer Trennung erzählt, nimmt er optimistisch ihre Hand und bekräftigt, „Das mit deinen Kindern schaffen wir schon“.

Unternehmen, die sich so verhalten, kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden genau. Ein sehr emotionales Beispiel ist die im April 2013 erschienene Werbung von Dove, erstellt von der Agentur Ogilvy & Mather. In dieser englischsprachigen Werbung der Beautyprodukte heißt es sinngemäß, „Wir Frauen verbringen viel Zeit damit, alles an unserem Gesicht zu analysieren und Schönheitsfehler zu beheben. Wir sollten mehr Zeit darauf verwenden, um die Dinge zu genießen, die wir an uns mögen“. Mit schönen Bildern und dem schmeichelhaften Slogan „You are more beautiful than you think“, verbreitete sich das Video viral. Auf Youtube spielte es für Dove über 65 Millionen Klicks ein.

Der Angeber

„Mein Haus, mein Auto, mein Job …“. Dieser Egozentriker spricht nur von sich und das in den höchsten Tönen. Dabei übertreibt er maßlos. Sein Interesse für Menschen hält sich in Grenzen. Dieser PR-Typ liebt die Superlative. Allzu viele Verkäufer fallen leider in seine Kategorie. Ob seine Lösung für den Kunden passt, ist ihm egal. Viele Newsletter sind immer noch in diesem Stil geschrieben. Der Abonnent erfährt dann per E-Mail, was alles toll an dem Unternehmen ist und wo er kaufen soll. Diese informationsbezogene Form der Selbstdarstellung weckt das Interesse der Kunden nicht.
Kleine und mittelständische Unternehmen verfallen schnell in diesen Modus. Konsumenten interessiert am meisten, welchen Nutzen ihnen das Produkt bringt: Selbstbeweihräucherung, wie gut das Geschäft oder die Marke doch sind, will niemand hören. Kurzum: Angeben ist ein marketingtechnischer Amateurfehler.

Mr. Understatement

Er untertreibt, und, statt anzugeben, erzählt er lieber von seinen angeblichen Schwächen und von eher peinlichen Situationen. Tollpatschig sei er und auch oft schlecht gekleidet. Dabei ist jedem klar, dass ihm das Outfit richtig gut steht. Ob er das selbst weiß, bleibt offen, zumindest macht er sich auf allen Ebenen klein.
Auch so kann man Werbung gestalten und damit die Stärken des eigenen Produkts noch mehr hervorheben. So tat es etwa die Automarke Smart. Die Mercedes-Tochter zeigt in einem Clip, wie ein Smart im Gelände versagt. Das kleine Auto kämpft mit den Hügeln, hängt mit einem Rad hilflos in der Luft und säuft bei dem Versuch, in ein Gewässer zu fahren, ab. Dann eine Szene aus der viel befahrenen Stadt. Ein klotziger Geländewagen ist auf Parkplatzsuche. Der Smart überholt frech und hüpft vor ihm in eine schmale Parklücke. Jedem wird klar, dieser kluge Kleinwagen ist die perfekte Lösung für jede Innenstadt.

Der gefühlsbetonte ­Schönling

Dieser Mann hat das, was alle wollen. Er fasziniert mit seinem omnipräsenten Auftreten. Er wirkt cool und schnell kennen ihn alle. Egal, ob man ihn mag oder nicht – er gibt den Ton in der Werbung an, schafft es, zu emotionalisieren.

Coca-Cola ist so ein Fall. Wer sich die Anzahl von Zuckerwürfeln visualisiert, die in einer Flasche enthalten sind, dem wird unweigerlich schlecht. Doch trotzdem ist es eine der weltweit bekanntesten Marken. Coca-Cola hat dem Weihnachtsmann ein Gesicht gegeben und produziert überdurchschnittlich erfolgreiche Werbung. In den Werbeformaten der vergangenen Jahre spiegelt sich das Prinzip, „trinkst du Cola, wird dein Leben spannender“ wider. Auch in Untermarken wie Fanta propagiert der Konzern „Trinke Fanta. Lebe bunter“. In einem Coke-Zero-Clip aus der Reihe „Das Leben, wie es sein sollte“, kommen die Eltern nach Hause und der junge Liebhaber der Tochter muss flüchten. Nach einem Schluck des Erfrischungsgetränks fliegt ein rettender Helikopter ein und ein SWAT-Team befreit ihn samt aller Spuren aus der Wohnung, bevor die Eltern zur Tür hereinplatzen. Ähnliche Szene im Supermarkt: bei der Begegnung mit seiner Ex und ihrem neuen Freund denkt sich ein junger Kerl nur „Oh nein“. Nach einem Schluck Coke Zero sieht die Welt natürlich schon ganz anders aus. Auf einmal taucht seine superheiße Freundin an der Kühltheke auf. Sie wirft sich in seinen Arm, legt einen Schlafzimmerblick auf und fragt „Schlagsahne oder Schokosoße?“. Riesen Explosion, ein Seil wird herunter gelassen. Er hält sich samt Traumfrau daran fest, ruft seiner Ex zu: „Ach mach dir um mich keine Sorgen. Ich komm zurecht.“ Und wieder ein heldenhafter Abflug mit dem Helikopter.

Der Schüchterne

Man merkt ihm seine Nervosität an: Verlegen knibbelt er am Saum seines dunkelblauen Kapuzenpullis. Er zögert mit Gesprächsthemen, schaut ihr nicht einmal in die Augen. Im Grunde versucht er, sich unsichtbar zu machen. Ja, es gibt auch schüchterne PR-Abteilungen. Menschen, die für sich und ihr Produkt gar nicht erst werben, aus Angst davor, Fehler zu machen. Vor allem industrielle Zulieferer und andere B2B-Marken sind davon betroffen. Unternehmen, die nur ein paar wenige Großkunden bedienen und demnach auch kaum Akquise-Aufwand betreiben müssen. Die Angst davor, Fehler zu machen und Zurückweisung zu erfahren, lähmt die klassischen Unternehmen in Innovation und verhindert eine kreative Unternehmenskommunikation.

Der alte Hase

Dies ist sein zwölftes Mal beim Speed Dating. Er kennt den Ablauf genauso gut wie die Bedürfnisse der Frauen. Wirkt bei der Vorstellung am ruhigsten. Mit seiner vertrauensvollen Art nimmt er anderen die Unsicherheiten. Dieser prädestinierte Familienmensch zaubert schnell ein Lächeln auf das Gesicht jeder Dame. Am Markt weiß eine Alte-Hase-Marke um ihren Wert. Nivea ist so ein Beispiel. Das Kleinkind lacht, während es der Mutti die Feuchtigkeitscreme ins Gesicht schmiert. Dabei spricht der Hersteller mit sanften Tönen und perfekten Familienbildern gekonnt das Herz einer jeden Mutter an.

Jens Asendorpf, Professor für Persönlichkeitspsychologie, untersuchte Speed Datings auf zeitliche und finanzielle Kosten. Der Humboldt-Forscher errechnete, dass es im Schnitt 550 Euro und 72 Stunden Dauervorstellung bedarf, bis man über diese Methode einen Partner findet. Der inzwischen emeritierte Wissenschaftler erklärte am Telefon: „In unserer Studie ist uns aufgefallen, dass physische Attraktivität schlichtweg das wichtigste Merkmal für Erfolg beim Speed Dating ist. Was nicht dazu führte, das daraus automatisch auch Beziehungen entstanden sind.“

Vergleichbar könnte man sagen, dass emotionales Marketing für den Verkauf wichtiger ist als ein gutes Produkt. Mit guter Werbung und einem schlechten Fabrikat im Hintergrund erzielen sie eher einmalige Verkäufe und ihr Produkt bleibt ein One-Night-Stand. Oder waren sie schon einmal mit einer verlogenen, strohdummen und aggressiven Schönheitskönigin zusammen?

Fazit

Das Event ist vorbei, neben mir hakt sich Nathalie ein. Der Fleck auf ihrem Kleid stört mich nicht mehr und wir schlendern zu einer Eckkneipe im Hamburger Schanzenviertel.
Mein Resümee: Beim Dating und Verkauf funktionieren dieselben Erfolgsprinzipien. Etwa zu emotionalisieren und aus der Masse heraus zu stechen. Sie sollten auf Bedürfnisse eingehen und mit jeder Nachricht an ihre Kunden einen erkennbaren Mehrwert für sie darstellen. Zudem sollte Ihr Unternehmen in der Werbung unterhaltsam und mutig sein, moralisch musterhafte Werte repräsentieren sowie bewegende Geschichten aus dem Leben Ihrer Kunden erzählen.

Wenn er ihr einen Liebesbrief schreibt, dann ist das DIREKTMARKETING.

Wenn er ihr erzählt, wie toll er ist,
dann ist das übertriebene WERBUNG.

Wenn sie aber mit ihm zusammen sein will,
weil sie von anderen gehört hat, was für ein toller Typ er ist,
dann ist das wohl gute PR.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.

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