Wahrheitsgetreue Information und Kadavergehorsam

Schwierige Autorisierung

Aus Journalistensicht gibt es drei Typen von Sprechern und Sprecherinnen: Erstens: Er oder sie versteht es, zum Journalisten oder zur Journalistin ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Er ruft bei Anfragen verlässlich zurück, lässt sich gelegentlich in die Karten schauen und gibt die eine oder andere Information proaktiv weiter. Konfrontiert mit unangenehmen Informationen antwortet er wahrheitsgetreu, ohne alles zu sagen, was er weiß. Er ist in der Lage, trotz Loyalität das eigene Unternehmen distanziert zu reflektieren. Aus Journalistensicht ist das der ideale Pressesprecher.

Im zweiten Fall erzählt der Sprecher oder die Sprecherin nur das, was den Arbeitgeber optimal darstellt – dafür aber sehr wortreich. Ziel ist es, beim Journalisten das gewünschte Narrativ durchzusetzen oder zumindest bei unangenehmen Anfragen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Informationen zu streuen. Solche Sprecher sind anstrengend, aber immerhin bekommt man von ihnen ziemlich unverfälscht das angestrebte Selbstbild des Auftraggebers präsentiert.

Am schwierigsten ist Typ 3: der Sprecher, der selten zurückruft, stets wortkarg ist, gar nichts sagt oder auch ohne Skrupel lügt. Eigentlich müssten diese Sprecher Informationsverhinderer genannt werden.

Welcher Kategorie ein Sprecher angehört, hat sehr viel mit der Persönlichkeit zu tun. Aber auch damit, wie aggressiv der Arbeitgeber sein Selbstbild kontrollieren möchte. Als Journalistin merkt man schnell, ob ein Sprecher Freiheiten genießt oder zu Kadavergehorsam verurteilt ist.

Ein Sonderfall ist die Autorisierung von Interviews. Im Gegensatz zu den USA müssen Wortlautinterviews hierzulande noch einmal vorgelegt werden, wo sie im schlimmsten Fall bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben werden. Dem Sprecher kommt die Aufgabe zu, Fallen im Interview im Autorisierungsprozess zu erkennen und hinterher den aufgebrachten Journalisten zu beschwichtigen, der sich über die Verstümmelung des Interviews aufregt.

Eines der interessantesten Interviews hatte ich 2018 mit der damaligen SPD-Chefin Andrea Nahles. Nach massiver Kritik am Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen hatten sich SPD und Union darauf verständigt, dass Horst Seehofer ihn auf den Posten eines Staatssekretärs wegloben würde. Nahles musste viel Kritik einstecken, weil ihre Partei mit der von ihr mitgetragenen Rochade nicht einverstanden war.

Im Interview wirkte sie erschöpft und zornig, aber auch wahnsinnig authentisch. Sie sprach so offen, wie ich selten eine Spitzenpolitikerin erlebt habe. Doch in den nächsten 48 Stunden wurde der Druck so groß, dass sie ihre Entscheidung revidieren musste. Die Folge: Das autorisierte Interview hatte mit unserem Gespräch nicht mehr viel gemein.

Ein anderes Mal wurde ein Interview von mir mit einem Spitzenpolitiker ohne mein Zutun in der Produktion um ein Drittel gekürzt. Er war darüber so erbost, dass er seine Mitarbeiter bei mir anrufen ließ und fragte, was das solle. Ich war irritiert, denn ein solcher Vorgang ist nicht ungewöhnlich und das Interview war wie üblich nur in ganzen Fragen und Antworten gekürzt worden, also nicht sinnentstellend. Trotzdem bat ich um Entschuldigung, erklärte, dass die aktuelle Nachrichtenlage zu dieser Entscheidung geführt habe. Drei Tage später wurde ich zum damaligen Chefredakteur gerufen. Der Politiker hatte ein wütendes Fax gesendet. Erneut erklärte ich den Vorgang. Der Politiker bekam dann ein recht kühles Fax von meinem Chefredakteur zurück. Ich hatte mal wieder etwas über die Eitelkeit eines Politikers gelernt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Berufsbild. Das Heft können Sie hier bestellen.

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