„Unser offener Umgang war der richtige Weg“

Corona-Krise bei Webasto

Frau Schian, am 13. Januar lautete der Titel einer Pressemitteilung „Webasto eröffnet neues Werk für Dachsysteme und Batteriezentrum in Jiaxing“. Die nächste PM: „Coronavirus: Webasto bestätigt Erkrankung von Mitarbeitern.“ Was haben Sie gedacht, als Sie von der Erkrankung einer chinesischen Mitarbeiterin erfahren haben?

Nadine Schian: Wir haben elf Werke in China – zwei in der Region Hubei, davon eines in Wuhan. Seit Ausbruch des Coronavirus in China Anfang/Mitte Januar haben wir die Situation beobachtet, hatten aber selbst keinen Fall an unseren Standorten. Als wir erfahren haben, dass unsere chinesische Kollegin, die im Januar in unserer Firmenzentrale in Stockdorf war, nach ihrer Rückkehr nach China positiv getestet wurde, war es erst einmal ein Schock für uns alle. Es war klar: Das Virus ist auf einmal sehr nah. Wir wussten bis dahin bereits, dass das Virus etwas Ernstes war, vor allem für bestimmte Risikogruppen. Als kurz danach die Bestätigung kam, dass ein weiterer Kollege in Stockdorf erkrankt war, dachte ich: „Das Virus ist nun auch in Deutschland angekommen. Und wir sind die Ersten, die es haben.“

Mit der Erkrankung Ihrer Mitarbeiterin war das Coronavirus auch medial in Deutschland präsent. Wie liefen die Tage bei Ihnen rund um die Bekanntgabe der Erkrankung am 28. Januar ab? 

Als wir am 27. Januar morgens von der Erkrankung erfahren haben, haben wir umgehend einen Krisenstab mit allen relevanten Funktionen gebildet – mit Mitgliedern des Vorstands, Operations, HR, IT, Forschung und Entwicklung, Einkauf, Legal und der Kommunikation. Dadurch konnten wir die notwendigen Schritte in alle Richtungen schnell besprechen und entscheiden.

Parallel dazu haben wir das Gesundheitsamt informiert und von da an mit den zuständigen Behörden wie dem Robert Koch-Institut, den lokalen Gesundheitsämtern und dem bayerischen Gesundheitsministerium eng zusammengearbeitet. Eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen war die schnelle Identifikation der Risikokontakte, die länger als 15 Minuten und im Abstand von weniger als zwei Metern mit den erkrankten Kollegen zusammen waren. Wir stellten binnen weniger Stunden Räume zur Verfügung und holten Ärzte zu uns, um möglichst schnell viele dieser Kollegen bei uns testen zu können.

Zudem haben wir nach Absprache mit dem Vorstand eine interne und externe Kommunikationsstrategie abgestimmt und gestartet.

Sie mussten Ihre Mitarbeiter und die Öffentlichkeit informieren. Wie sind Sie da vorgegangen?

Intern haben wir bereits am 27. Januar die Erkrankung unserer chinesischen Kollegin kommuniziert und über die nächsten Schritte informiert. An diesem Tag haben wir noch keine Pressemitteilung herausgegeben. Allerdings hatten wir an diesem Tag ein geplantes Interview mit der Süddeutschen Zeitung und haben dem Journalisten die Information gegeben, dass wir einen positiven Coronavirus-Fall im Unternehmen in China haben. Gegen 18 Uhr hat die Süddeutsche dazu eine Meldung gebracht.

Zudem erhielten wir am 27. Januar abends die Information, dass wir einen ersten positiven Fall in Deutschland hatten, so dass wir am 28. Januar morgens allen Mitarbeitern in Stockdorf freigestellt haben, ob sie an diesem Tag zur Arbeit kommen oder im Homeoffice arbeiten wollen. Kurz danach haben wir unsere erste Pressemitteilung mit der Bestätigung des in Deutschland erkrankten Mitarbeiters verschickt.

Als am 28. Januar abends die Nachricht von drei weiteren positiven Fällen kam, haben wir entschieden, dass wir den Standort Stockdorf vorübergehend schließen, um die Infektionskette zu durchbrechen und uns zu sortieren. Dazu kommunizierten wir ebenfalls umgehend intern und extern. 

Nach welchen Prinzipien haben Sie Ihre Kommunikation aufgebaut? Inwiefern ist es Ihnen gelungen, selbst zu entscheiden, was Sie kommunizieren, ohne dass etwas vorher an die Medien durchsickerte?

Uns war es wichtig, dass wir unsere Mitarbeiter stets als Erstes informieren – über Erkrankungen, Maßnahmen, Testergebnisse und neue Entwicklungen. Sie sollten nicht aus den Medien oder über Google Alert erfahren, was bei uns passiert. Das haben wir auch durchgängig über die gesamte Periode geschafft, da wir schnell in unseren Entscheidungen und in unserer Kommunikation waren.

Da wir uns zudem eng mit den Kommunikationsschnittstellen im bayerischen Gesundheitsministerium, in den Krankenhäusern und im Gesundheitsamt abgestimmt haben, wusste jeder vom anderen, was und wann kommuniziert wird. Unser Ziel war es, von Anfang an schnell, transparent und offen auch nach extern zu kommunizieren – an Medienvertreter, Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner.

Die Anzahl der Medienanfragen dürfte enorm gewesen sein. Es waren die ersten CoronavirusFälle in Deutschland. Wie haben Sie das als Kommunikationsabteilung gehandelt? 

Insgesamt waren wir mit vier Kollegen aus der Kommunikationsabteilung im Krisenstab vertreten. Der Rest des Teams hat uns aus dem Homeoffice unterstützt. Dies hat hervorragend funktioniert und ich bin stolz auf mein Team, dass wir diese große Herausforderung erfolgreich zusammen gestemmt haben. Anfangs hatten wir pro Tag etwa 60 bis 90 Medienanfragen. Wir Presseverantwortliche haben unsere Festnetztelefone auf zwei Kollegen umgestellt, die uns im Back Office unterstützten. Sie haben die Anrufe entgegengenommen. Fragen zu Informationen, die wir bereits finalisiert hatten, wurden von ihnen direkt beantwortet. Für Anfragen zu neuen Aspekten und zu Rückrufbitten haben sie eine Liste erstellt, die meine Kollegin und ich so gut es ging abarbeiteten.

Eine weitere Kollegin hat die interne Kommunikation gesteuert. Ihr Team arbeitete vom Homeoffice aus und hat sie unter anderem beim Versand von internen Newslettern und dem Einstellen von News im Intranet unterstützt. Um die Kommunikation an Kunden, Lieferanten und Partner hat sich unsere vierte Kollegin gekümmert. Sie hat Briefe an die relevanten Zielgruppen verfasst und Rückfragen von Externen beantwortet. Die Agentur Engel & Zimmermann hat uns beim Medienmonitoring und bei der -auswertung unterstützt.

Zusätzlich hatten wir noch einen zweiten Krisenstab gebildet, der von zu Hause aus tätig war, für den Fall, dass jemand von uns positiv getestet worden wäre.

Sie sind darüber hinaus selbst vor die Presse getreten und haben Statements abgegeben?

Da die Medienanfragen in den ersten beiden Tagen stündlich zunahmen und die Fragen sich stark ähnelten, haben wir uns entschieden, selbst vor die Presse zu treten. Dazu haben wir alle relevanten Medien von TV, Hörfunk, Print bis Online zu uns nach Stockdorf eingeladen. Unser CEO Holger Engelmann hat ein Statement abgegeben und Fragen beantwortet.

Dies haben wir im Laufe der nächsten Tage noch weitere Male wiederholt. Wir hatten über diesen Kanal die Möglichkeit, unsere Position zu schildern, mit Fakten aufzuklären und die Deutungshoheit zu behalten.

Ihr Unternehmen ist in Leitmedien eher selten prominent präsent. Wie ist Ihr Vorstand mit der Situation umgegangen? Wie hat er seine Rolle in der Krise gesehen? 

Unser CEO wie auch der gesamte Vorstand sind mit dieser Situation sehr offen umgegangen. Alle Vorstandsmitglieder waren beispielsweise Teil der Taskforce und haben sich aktiv mit eingebracht.

Webasto ist ein Familienunternehmen. Werte bedeuten uns sehr viel. Wir waren uns deshalb alle von Anfang an einig, dass wir offen und transparent mit dem Thema umgehen und schnell informieren wollen. Der Schutz unserer Mitarbeiter und der Gesellschaft stand dabei an erster Stelle. Aufgrund dieses Commitments haben sich die nächsten kommunikativen Schritte dann fast von selbst ergeben.

Nach welchen Kriterien haben Sie entschieden, welchen Medien Ihr CEO Interviews gibt? 

Unser Ziel war es, alle Medien gleichwertig zu behandeln. Deshalb haben wir regelmäßig über Pressemitteilungen gesamtheitlich informiert, sobald wir bestätigte Informationen vorliegen hatten.

Bei den gegebenen Interviews lag unser Fokus gerade in der Anfangszeit darauf, eine große Reichweite sicherzustellen, zum Beispiel über Nachrichtenagenturen wie Dpa, Bloomberg oder über überregionale Medien wie die Süddeutsche Zeitung oder den Spiegel. Zudem haben wir ein paar regionale Interviews gemacht wie zum Beispiel mit der Augsburger Allgemeinen oder der Abendzeitung. Später kamen noch einige überregionale und internationale Medien dazu wie die New York Times, das Wall Street Journal und einige italienische, spanische, englische und chinesische Medien.

Im Gedächtnis ist der Satz Ihres CEOs geblieben, dass Ihre Mitarbeiter ausgegrenzt wurden. Die Aussage schien nicht allen zu gefallen. Wie waren die Reaktionen?

Viele Leser haben diese Aussage verstanden. Viele hat sie auch zum Nachdenken angeregt. In den Social-MediaKanälen wurde die Aussage zum Teil kontrovers diskutiert. Es gab Kommentare wie „Ihr seid selbst schuld“, „Warum müsst ihr mit den Chinesen zusammenarbeiten?“ oder „Könnt ihr nicht alles in Deutschland machen?“. Wir haben die Entwicklungen in den Sozialen Netzwerken genau beobachtet. Da es im Netz auch viele Gegenstimmen zu derartigen Statements gab, haben wir nicht eingegriffen. Es hat sich selbst reguliert.

Anfangs schien die mediale Berichterstattung zum Virus panikgetrieben zu sein. Wie haben Sie das wahrgenommen? Fühlten Sie sich fair behandelt? 

90 Prozent der Medien haben uns sehr fair behandelt. In der Zusammenarbeit und auch in der Berichterstattung. Sie zeigten auch Verständnis, dass wir nicht jedem ein Einzelinterview geben konnten, sondern Sammelstatements abgaben und nur einige Fragen beantworteten. Das war ein gutes Zusammenspiel.

Wer waren die zehn Prozent, die sich weniger positiv verhalten haben? 

Das waren Formate, die meist sehr plakativ mit Aussagen arbeiten. Es stand beispielsweise drei Tage lang ein Übertragungswagen (RTL/n-tv, Anm. d. Red.) auf unserem Parkplatz, obwohl das Gebäude leer war. Ich habe den Nutzwert dieser Live-Schaltungen nicht verstanden. Es ist ja hier vor Ort nichts passiert in dieser Zeit. Andere Medien mit Boulevardcharakter haben ebenfalls Druck gemacht, über die Erkrankten und deren Krankheitsverlauf berichten zu können. Natürlich haben wir keinerlei Informationen zu unseren Mitarbeitern herausgegeben und die Privatsphäre geschützt.

Ihr CEO war Anfang März – als die Coronakrise richtig Fahrt aufnahm – in der Sendung von Markus Lanz zu Gast. Warum ist er dort hingegangen?

Wir haben uns für dieses Format entschieden, da diese Talkshow so konzipiert ist, dass Markus Lanz mit allen eingeladenen Gästen einzeln spricht. Holger Engelmann konnte dort über unsere Erfahrungen und wichtigsten Erkenntnisse sprechen, ohne dass gleich eine politische Agenda dahintersteht, wie es bei den typischen Polit-Talkshows der Fall ist.

Hinter dem Auftritt stand eine Message: Das Coronavirus ist kein firmenspezifisches, sondern ein gesellschaftliches Thema. Wie wollen wir in Zukunft mit solchen Themen umgehen? Kann uns das als Gesellschaft zusammenschweißen, anstatt dass man mit dem Finger auf jemanden zeigt? Zusätzlich wollten wir die wirtschaftliche Sichtweise in die Corona-Diskussion mit einbringen: Welche Auswirkung hat das Virus auf unsere Wirtschaft? Wie können wir in Zukunft unsere Lieferketten optimieren?

Denken Sie, dass Sie als Unternehmen einen Reputationsschaden erlitten haben? Sie könnten immer als das Unternehmen angesehen werden, das das Coronavirus ins Land geholt hat. 

Wir bekommen für unsere Kommunikation und die getroffenen Maßnahmen, wie die schnelle Standortschließung und die damit verbundene Durchbrechung der Infektionskette, sehr viel positives Feedback. Wenn man sich die aktuelle Ausbreitung des Virus ansieht, sehen wir uns bestätigt, dass unser offener Umgang der einzig richtige Weg gewesen ist.

Ich wünsche mir, dass Webasto als das Unternehmen gesehen wird, das es geschafft hat, durch gutes Krisenmanagement dazu beizutragen, Unsicherheiten und Ängste abzubauen.

 


Chronik

 

13. JANUAR

Pressemitteilung: Webasto eröffnet neues Werk für Dachsysteme und Batteriezentrum in Jiaxing.

 

27. JANUAR

Webasto erhält die Information, dass eine Mitarbeiterin in Shanghai positiv getestet wurde. Einsetzen einer Taskforce. Informierung des Gesundheitsamtes. Die „Süddeutsche Zeitung“ bringt eine Meldung. Abends: erster Coronavirus-Fall in Deutschland.

 

28. JANUAR

China-Reisen werden abgesagt. Mitarbeiter können ins Homeoffice wechseln. Vormittags: Webasto bestätigt Erkrankung des ersten deutschen Patienten. Abends: Webasto informiert über weitere mit dem Coronavirus infizierte Mitarbeiter. Schließung des Standorts Stockdorf. Pressestatement am Standort.

 

29. JANUAR

Start des systematischen Testens von Kontakten der betroffenen Personen. Pressestatement.

 

31. JANUAR

Zwei weitere Mitarbeiter infiziert. CEO Holger Engelmann: „Uns erreichen vermehrt Meldungen von Mitarbeitern, dass sie und ihre Familien von Institutionen, Firmen oder Geschäften abgewiesen werden, wenn bekannt wird, dass sie bei Webasto arbeiten.“ Schriftliches Interview von CEO Holger Engelmann im „Spiegel“.

 

3. FEBRUAR

Webasto verlängert Homeoffice-Regelung.

 

5. FEBRUAR

Wortlautinterview von Holger Engelmann mit der „Abendzeitung“.

 

7. FEBRUAR

Interview erscheint in der „SZ“.

 

11 . FEBRUAR

PM: „Webasto Firmenzentrale nach Schließung wegen Coronavirus-Fällen ab 12. Februar 2020 wieder geöffnet.“

 

13. FEBRUAR

Erster Mitarbeiter aus Klinik entlassen.

 

28. FEBRUAR

Radiointerview des ersten Coronavirus-Patienten von Webasto bei „Bayern 1“. Er berichtet

über die Ansteckung, die Zeit im Krankenhaus und Symptome.

 

4. MÄRZ

PM: „Webasto freut sich über Genesung von Mitarbeitern. Alle deutschen und chinesischen

Kollegen aus Krankenhäusern entlassen.“

 

5. MÄRZ

CEO Holger Engelmann zu Gast bei „Markus Lanz“.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe CORONAKRISE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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