pressesprecher: Sie sind seit 2001 bei der ARD, wo sie „Börse im Ersten“ und die Börsen-News in den „Tagesthemen“ moderieren. Welche Bedeutung hat Geld für Sie als Börsenexpertin?
Geld ist für mich das Themenfeld, über das ich für die Zuschauer berichte. Für uns alle ist das Thema relevant, weil Geld Möglichkeiten schaffen kann: individuell für jeden einzelnen Menschen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Geld entscheidet in unserem Wirtschaftssystem über Wohlstand oder Armut. Es ist von existenzieller Bedeutung.
Genießt Geld in unserer Gesellschaft einen zu hohen Stellenwert?
Es genießt einen sehr hohen Stellenwert, weil unsere Gesellschaft alles in allem einen hohen Grad an Wohlstand erreicht hat. Die unbequeme Wahrheit ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergegangen ist. Der Mittelstand muss kämpfen, seinen Wohlstand zu erhalten. In den südlichen Ländern Europas machen einige die bittere Erfahrung, dass sie ihren Wohlstand wieder einbüßen, weil die Entwicklung der letzten Jahre nicht durch ein intaktes, effizientes Wirtschaftssystem unterfüttert wurde. Dazu kommt ein fehlgesteuertes Finanzsystem. Andere sind in diesem System unendlich reich geworden. Die Menschen wissen und spüren, dass ein Teil des Geldes um seiner selbst willen geschaffen worden ist, das nun zirkuliert und sich verteilt. Wir beginnen langsam das System in Frage zu stellen.
Wie redet man Ihrer Meinung nach über Geld?
Über die grundsätzliche Bedeutung des Geldes und den persönlichen Umgang damit wird im öffentlichen Umfeld immer noch relativ wenig geredet. Gleichzeitig reden wir – wegen der Finanzkrise – nun alle mehr über den adäquaten Einsatz des Geldes. Es hat eine Verschiebung der Diskussion hin zu den Risiken stattgefunden. Völlig verständlich und richtig in Zeiten, in denen sogar Staaten der Kredit gekündigt wird, weil das Vertrauen in sie verloren gegangen ist. Persönlich versuche ich in unserer Sendung die Auswirkung der Krise auf den Einzelnen zu erklären. Dass die Krise jeden Einzelnen sehr wohl betrifft und dass jede Krise tatsächlich Chancen birgt. Für Europa ist es die Chance, längerfristig gesünder und besser zu werden.
Ist Geld ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft?
Reden über Geld ist kein Tabu mehr. Das Tabu ist, es zu haben.
Warum fällt es dennoch vielen Menschen so schwer, über Geld zu sprechen?
Die wenig oder kein Geld haben, haben keinen Grund, viel darüber zu reden. Sie kämpfen um das Nötigste. Viele müssen sich sehr anstrengen, um über die Runden zu kommen. Dazu kommt oftmals die Scham. Menschen, die etwas Wohlstand erreicht haben, wollen nur noch eins, ihn nicht verlieren. Sie denken, sie haben wenig Spielraum, Geld anzulegen. In diesen Krisenzeiten ist das tatsächlich so. Die, die reich sind, haben in aller Regel eine riesige Angst, ihr Vermögen zu verlieren. Daran denken sie sehr oft. Sie haben größere Spielräume, ihr Geld anzulegen.
Welcher Spruch passt am besten auf Sie: „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt“, „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“, „Über Geld spricht man nicht, Geld hat man“ oder „Geld regiert die Welt“?
Mein Opa war ein einfacher Schneider. Daher würde ich mich für „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“ entscheiden.
Wann wurde in Ihrem Leben Geld wichtig?
Als ich studieren wollte und das finanzieren musste. Dies gelang zum Glück durch die Unterstützung meiner Eltern und ein Bafög-Darlehen. Und als das Reden über Geld mein Beruf wurde.
Wie legen Sie Ihr Geld an? Haben Sie eigentlich selbst Aktien?
Ich zahle in die Pensionskasse für Journalisten ein und habe zur Altersvorsorge in einen Aktien-Indexfond investiert. Der ist sehr breit gestreut. Einzelaktien habe ich keine. Darf ich nicht. Mache ich nicht. Ich investiere zudem in meine Familie.
Wofür geben Sie persönlich gern Geld aus?
Für die Menschen, die ich liebe, gutes Essen, interessante Bücher, schöne Filme und auch mal Schuhe. (lächelt)
Ist es leichter für die Anleger, wenn eine attraktive Frau im Fernsehen fallende Kurse kommuniziert?
Die meisten Frauen, die zuschauen, freuen sich wahrscheinlich mehr über einen attraktiven Mann.
Wirtschaftsberichterstattung haftet ja immer etwas Trockenes, schwer Zugängliches an. Wie schaffen Sie es dennoch, Wirtschaftsnachrichten so verständlich zu kommunizieren?
Ich nutze alle Informationsquellen: Zeitungen, Magazine, das Internet… Ich lese sehr viel und merke sehr schnell, was sich zu lesen lohnt. Wertvolles von nicht Wichtigem zu trennen, ist unerlässlich. Und zwar rigoros, da gilt es, hart zu sein. Ich vergesse nie, mich zu fragen: Worum geht es (mir) eigentlich im Kern? Ich versuche, so zu sprechen, wie Menschen miteinander sprechen. Kein Börsianerdeutsch, kein Fachchinesisch. Ich versuche, immer die Dinge einzuordnen, den Menschen eine Orientierung zu geben, weil das Thema Finanzen wirklich sehr schwierig und komplex ist.
Welche Phrasen hassen Sie in der Wirtschaftsberichterstattung am meisten?
„Auf hohem Niveau …“, „in gefährlichem Terrain …“, „der Index notiert …“ und „der Dax bewegt sich nach Norden (oder Süden)“.
Anja Kohl berichtet seit 1997 über die Börse. Bevor sie 2001 zur ARD wechselte, war sie Redakteurin und Moderatorin bei Bloomberg TV in London und beim Nachrichtensender n-tv. Anja Kohl wurde in Aschaffenburg geboren und studierte Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaften.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.