"Nicht jede Kommunikation ist strategisch"

Ansgar Zerfaß im Interview

Herr Zerfaß, professionelle Kommunikation erfüllt ja stets einen Zweck. Was verstehen Sie persönlich unter strategischer Kommunikation? Und wie grenzt sie sich zu operativer Kommunikation ab?

Ansgar Zerfaß: Allzu oft wird jegliche Kommunikation als „strategisch“ bezeichnet. Doch das trifft keineswegs immer zu. Wer den Begriff verwendet, sollte sich am etablierten Begriffsverständnis der Unternehmensführung und Managementpraxis orientieren. Unter strategischer Kommunikation verstehe ich Kommunikation, die für das Überleben und den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen substanziell und signifikant relevant ist. Wer diese Definition zugrunde legt, wird merken, dass viele Kommunikationsmaßnahmen, die hohe Budgets und massenhaft Ressourcen verschlingen – wie große Kam­pagnen oder der Relaunch eines neuen Intranets –, eben nicht darunter fallen. Strategisch bedeutsam können vielmehr auch kleine Maßnahmen sein, die gar nicht öffentlich sind. Beispielsweise ein Hintergrundgespräch mit einem Politiker, in dem man Informa­tionen erhält, die eine Neuorientierung des Geschäftsmodells nahelegen.

Strategische Kommunikation gilt als eine „Soft Power“. Was ist damit gemeint?

Die Grundidee von Kommunikation ist, historisch betrachtet, eigentlich immer die gleiche: Sie beeinflusst durch überzeugende Geschichten, Marken, Reputation et cetera und ist damit eine Alternative zu Gewaltandrohung und zu materiellen Anreizen. Doch Kommunikation ist kein Allheilmittel. Letztlich findet man in der öffentlichen Diskussion und auch in der Wissenschaft zwei große Narrative, die von Macht beziehungsweise Ohnmacht der strategischen Kommunikation handeln. Erstens wird gesagt: Strategische Kommunikation ist mächtig und wichtig. Unternehmen nutzen sie als „Soft Power“ und machen Kommunikation zum Eckpfeiler ihres Erfolgs. Aber diese oft unkontrollierte Macht, die vor allem große Organisationen nutzen können, hat auch Schattenseiten. Das wird unter den Schlagworten wie „geheime Verführer“ und „Bad PR“ seit langem kritisiert. Nicht nur in den Medien, sondern auch von der kritischen PR-Forschung.

Und welches ist das zweite Narrativ?

Dieses lautet: Strategische Kommunikation leistet oft nicht, was sie verspricht. Die Berichte über mangelhafte Krisen-PR und unethische Werbung oder über „PR-Tricks“ sind Legion. Die Forschung zeigt, dass Kommunikation oft ineffektiv ist und dass die Zielerreichung meist gar nicht gemessen wird. Vielfach wird das darauf zurückgeführt, dass Kommunikationsabteilungen und Kommunikatoren innerhalb ihrer Organisationen keine Macht und zu wenig Handlungsspielräume haben.

Wäre denn für Kommunikatoren – gerade in großen Unternehmen – eine erfolgreiche, nachhaltige strategische Kommunikation wesentlich einfacher umzusetzen, wären sie unmittelbar in die Schaltzentrale der Macht eingebunden, beispielsweise in Form eines Sitzes im Vorstand?

Dieser These widerspreche ich. Kommunikation sollte ihr Potenzial erkennen und für das Top-Management strategische Beiträge liefern, ja. Aber ein Sitz im Vorstand wirkt da aus meiner Sicht eher bremsend. In der Regel gibt es einen Vorstandsvorsitzenden, der Verantwortung für die Gesamtstrategie trägt. Alle anderen Vorstände verantworten eigene Funktionen oder Sparten. Somit ist nur folgerichtig, dass die Kommunikation, will sie strategisch agieren, als eine Stabsabteilung dem CEO zugeordnet ist. Im besten Falle kann sie dann für alle Vorstände arbeiten, kann gezielt performen – zum Beispiel beim Personalvorstand, wenn es um ein strategisch wichtiges Projekt im Employer Branding geht. Ebenso wichtig wie eine Verbindung zu Marketing oder Vertrieb ist im Sinne einer echten strategischen Kommunikation eine enge Anbindung an die Strategieabteilung einer Organisation. Wer die Entscheider in allen Ressorts und Geschäftseinheiten vom Wert der Kommunikation überzeugen kann, der wird im Zweifelsfall immer wieder gefragt werden – und seine Ressourcen ausbauen können.

Glauben Sie, dass viele CEOs die Bedeutung oder das Potenzial von Kommunikation nicht wirklich erkennen oder wertschätzen?

Grundsätzlich wissen Vorstandschefs heute um die Möglichkeiten und die Macht guter Kommunikation. Was sie häufig vermissen, ist erstens eine Antwort auf die Frage: Kann meine Kommunikationsabteilung ihre PS auch auf die Straße bringen? Und zweitens: Auf welche Weise hilft sie mir, das Überleben der Organisation sicherzustellen? Es geht hier für Kommunikatoren also, wie bereits gesagt, darum, strategisch signifikante Themen zu identifizieren, statt zu überlegen, wie wohl die Pressemitteilung dazu lauten könnte. Und gleichzeitig geht es um handwerkliche Fragen: Haben die Kommunikatoren die notwendigen Zugänge zu den Entscheidern? Wissen sie, was die Organisation derzeit am meisten umtreibt?

Geht es also auch um die Wahrnehmbarkeit intern?

Ja. Solange die Kommunikationsabteilung von den Vorständen primär als Content-Produzent und Schnittstelle zu den Medien wahrgenommen wird, redet keiner mit ihr über die wirklich wichtigen Themen. Kommunikationschefs großer Unternehmen sind nicht ohne Grund inzwischen eher Manager, die Szenarien der Zukunft zu malen imstande sind und die in ihren Organisationen bei den großen Strategien mitentscheiden wollen und dürfen. Nicht jeder Kommunikator ist der Typ dafür, das ist klar, und das ist auch völlig in Ordnung so.

Am Ende hat die Macht oder Ohnmacht strategischer Kommunikation folglich mit der Frage nach dem eigenen Selbstverständnis zu tun.

Genau. Es geht um die Denke, die den Anschluss an die McKinseys und die Strategieabteilungen dieser Welt suchen muss. Mit einem Newsroom-Projekt allein, das obendrein viel Geld verschlingt, gewinnt ein Kommunikationschef keinen Blumentopf beim CEO. Dem ist im Zweifelsfall egal, wie die Kommunikationsarbeit organisiert ist. Beim CEO punktet er vielmehr, wenn er aufzeigen kann, dass er etwas so anders gemacht hat, dass seine Abteilung bei strategisch wichtigen Themen zum Erfolg beigetragen hat. Und das ist eben nicht unbedingt eine Frage des Budgets. Hier gilt: Nicht die größte Armee gewinnt – sondern die, die das Feld durchmessen hat.

 

Weitere Artikel