Kommunikations-Controlling und Evaluation: Das Yin und Yang der PR?

Frau Besson, wie grenzen Sie Evaluation und Kommunikations-Controlling voneinander ab?
Nanette Besson: Wenn man die Herangehensweise  der beiden Verfahren betrachtet, leuchtet die Abgrenzung ein. Die PR-Evaluation ist „bottom-up“, das bedeutet: man analysiert und wertet aus. Das Kommunikations-Controlling geht „top-down“. Es beginnt also mit der Planung, und passt die Kommunikations- an die Unternehmensziele an. Dann werden Maßnahmen entwickelt, um die Ergebnisse zu evaluieren. Beide Verfahren gehören, untrennbar wie Yin und Yang, zu einem Kontinuum, in dem sie sich im besten Falle auch begegnen.

Ein Beispiel?
Wird Kommunikation geplant, sollten als erstes Unternehmensziele erfasst und dann in Kommunikationsziele heruntergebrochen werden. Bei  interner Kommunikation beispielsweise kann das Ziel sein, die Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, damit die Fluktuation sinkt. Folgende Maßnahmen werden geplant: Intranet, Newsletter und Mitarbeiterfest. Das Ziel ist, dass x Mitarbeiter erreicht werden und die Motivation steigt. Das kann man gut mit monetären Werten verknüpfen. Wenn die Fluktuation durch motivierte Mitarbeiter sinkt, spart das Unternehmen Akquisekosten. Ein Problem ist jedoch: Diese Zahlen hängen nicht alle mit der internen Kommunikation zusammen. Wenn man gut kommuniziert, aber die Arbeitsbedingungen schlecht sind, dann ist die Wirkung der Kommunikation natürlich eingeschränkt.

Also geschieht Controlling immer vor einer Kommunikationsmaßnahme und Evaluation immer danach?
Das kommt darauf an, Theorie und Praxis gehen da weit auseinander! Praktisch wird oft eher aus der Notwendigkeit heraus kommuniziert. Es ist dann nicht so, dass man erst Unternehmensziele festlegt und diese dann in Kommunikationsziele herunterbricht. Es ist eher eine Reaktion, statt eine geplante Aktion. Wenn beispielsweise ein Werk geschlossen wird, muss die PR sofort reagieren. Es wird im PR-Alltag natürlich mehr operativ als strategisch gearbeitet. Das erschwert es, Controlling in Unternehmen einzuführen.

Braucht die PR Controlling überhaupt, wenn es augenscheinlich ihrem Wesen widerspricht?
PR hat den Anspruch, sich immer weiter zu professionalisieren. Ob man belegt und analysiert, was man tut, ist mit diesem Trend verknüpft.

Und ist dieser Controlling- und Evaluationstrend bei Pressesprechern gefürchtet oder willkommen?
Messen und Bewerten ist sehr gefürchtet. Je mehr man sich belegbar macht, umso größer ist die Gefahr, dass man die Ziele nicht erreicht, und Kritisches zutage gefördert wird.  Eine Medienresonanzanalyse beispielsweise  – das Standardinstrument der Evaluation – kann aufdecken, dass ein Produkt keine Chance hatte im Gegensatz zur Konkurrenz. Das kann wehtun! Diesen Schmerz sollte man nicht unterschätzen.

Man müsste diese Maßnahmen auch kommunizieren …
Genau, denn es ist wichtig, zu dokumentieren, was man leistet. Prozesse müssen sichtbar gemacht werden. Das zeigt sich besonders in der Krisenkommunikation. Da geht es mitunter darum, Berichterstattung zu verhindern. Dieses Verhindern kann man nicht durch Clippings ermitteln. Man muss eher zeigen, wie viele Kontakte man zu Journalisten unterhält, wie vertrauensvoll diese sind.

Kann man verhinderte Kommunikation überhaupt sichtbar machen?
Das ist schwierig, aber die Qualität der Beziehungen zu den Stakeholdern sollte unbedingt dokumentiert werden. Das ist jedoch bisher noch nicht gängig. Aber darzustellen, was in Krisen passiert, ist noch ein unbearbeitetes Thema. Generell ist der Mensch froh, wenn Krisen vorbei sind. Nach der Krise strategisch zu evaluieren ist in der Theorie bislang noch kein Thema. Im Berufsalltag  ist es sicherlich auch so, dass jeder den bequemsten Weg geht und erleichtert ist, dass die schwierigen Zeiten überstanden sind.

Wie schätzen Sie den Stand der Disziplin „Controlling und Evaluation“ in der deutschen PR-Branche ein?
Für die ganze Branche kann ich das nicht beurteilen. Die großen Unternehmen haben natürlich am ehesten Controlling-Systeme. Aber das gesamte Mittelfeld bleibt bei Medienanalysen stecken. Dort ist es nicht üblich, Prozesse zu analysieren und zu evaluieren. Kleine Pressestellen oder Berater müssen natürlich viel mehr investieren, um zu evaluieren. Das ist eine Hürde.

Nehmen wir an, ich bin Pressesprecher bei einem mittelständischen Unternehmen mit zwei Mitarbeitern. Zuvor habe ich nicht professionell evaluiert und controllt. Wie könnte ich es angehen?
Man braucht definitiv jemanden, der sich damit auskennt. Man muss einen Plan aufstellen, Instrumente wählen, und dann darüber berichten. Das erfordert Courage, Investitionen und auch das Bewusstsein, dass man das nicht so nebenbei macht. Ein Leiter mit zwei Mitarbeitern braucht da externe Hilfe.

Wie viel Budget muss ich aufbringen und welche Instrumente sind die richtigen?
Fachverbände empfehlen, drei bis fünf Prozent vom PR-Budget ins Controlling und die Evaluation fließen zu lassen. Passende Instrumente gibt es nicht standardisiert: Bei empirischen Methoden wie Umfragen, Inhalts- oder Prozessanalysen muss man schauen, was verhältnismäßig ist. Das Controlling darf schließlich nicht größer werden als die PR selbst. Man sollte nicht denken: „Was können wir alles machen?“, sondern muss sich fragen: „Was brauche ich? Welche Fragen will ich beantwortet haben?“.

Woran liegt es eigentlich, dass die Begriffe „Evaluation“ und „Kommunikations-Controlling“ oft vermischt werden?
An den Universitäten hat sich zum Glück bereits viel getan. Den Studenten werden die Definitionen der Begriffe beigebracht. Diejenigen, die es nicht in der Ausbildung gelernt haben, kennen meist nur die Schlagwörter. Sie denken womöglich: „Das ist was mit Zahlen und sehr kompliziert.“ Es scheuen immer noch viele davor zurück, ihre Arbeit zu evaluieren und herauszufinden, was es überhaupt für sie persönlich bedeutet.

Wenn ich mir externe Hilfe hole, worauf achte ich?
Die Hilfe von außen sollte maßgeschneidert sein und keine wahllosen Tools beinhalten. Wenn der Berater keine Bestandsaufnahme macht, nicht fragt „Was machen Sie und warum?“, dann ist er kein guter Berater.

Muss es immer ein externer Evaluationsmanager sein oder können Mitarbeiter einfach umgeschult werden?
Es ist per se schon ein Kunststück, dass alle Evaluationsprozesse gut laufen. Man braucht kontinuierlich jemanden, der sich darum kümmert. Man sollte eine Stelle schaffen, oder ein fähiger Mitarbeiter bekommt es als Projekt. Es funktioniert jedenfalls nicht mit wechselnden Praktikanten. Evaluation und Controlling sollten im besten Fall Chefsache sein.

Haben Sie schon einmal erlebt, dass sich Pressesprecher an falschen Kennzahlen ­haben messen lassen?
Kommunikationsmanager wollen oft ein großes Stück vom Kuchen abhaben. Vor der Finanzkrise wurde groß erzählt, Kommunikation habe 20 bis 30 Prozent Anteil am Unternehmenserfolg. Sie dachten: „Ich sitze hier direkt neben Vertrieb und Marketing. Ich bin wichtig.“ Zur Finanzkrise gab es jedoch Auswirkungen auf den Geschäftserfolg, die die Kommunikation gar nicht beeinflussen konnte. Wenn ein Unternehmen schlecht wirtschaftet, ist die Kommunikation nicht daran schuld. Sie kann dann nur reagieren.

Wie kamen diese Sprecher auf die 30 Prozent?
Tja, das ist eine gute Frage. Ich denke, das lag an der Aufbruchstimmung. Sie wollten beweisen, wie wichtig Kommunikation ist. Teilweise haben sie sicherlich Analysen eingesetzt, aber im Detail kann ich das nicht bewerten, darüber redet keiner gern.

Kann man den Anteil der Kommunikation am Unternehmenserfolg gar nicht nachweisen?
Das hängt von der Branche und der Aufstellung ab. Wenn es zum Beispiel um politische Entscheidungen geht, spielt die Kommunikation eine sehr große Rolle. Da kann ich keine pauschale Aussage treffen.

Also sind es die Menschen, die den Kommunikationserfolg  widerspiegeln? Er lässt sich nicht in Zahlen gießen?
Das ist sehr komplex. Wie soll man Beziehungen quantifizieren? Es geht um Public Relations – da kann man schwer kausale Zusammenhänge nachweisen. Evaluation ist wichtig, um die Prozesse sichtbar zu machen und zu optimieren. Das ist eine legitime These. Aber zu behaupten, es gebe kausale Zusammenhänge zwischen Unternehmenserfolg und Kommunikation, das geht nicht! Da spielen zu viele Faktoren mit hinein.

Welche?
Die Komplexität von Information und ihre Wirkung, die Nichtvorhersehbarkeit von Prozessen der Massenkommunikation, verhinderte Berichterstattung … Um nur einige zu nennen.

In Ihrem Handbuch „Evaluation und Kommunikations-Controlling“ haben Sie das Wirkungsstufenmodell der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) und des internationalen Controller Vereins  (ICV) nicht erwähnt. Weshalb?
Ich forsche seit 1996 über Evaluation und habe an drei DPRG-Arbeitskreisen teilgenommen. Ich war dabei, als das Wirkungsstufenmodell entwickelt wurde. Dieses Modell  nimmt den Outflow mit hinein. Es wird gesagt, das primäre Ziel von PR sei monetär. Ich bin jedoch der Überzeugung, PR hat etwas mit Kommunikation, Imagewerten und Bekanntheit zutun. Ich betrachte sie nicht als Fernziel, um den Umsatz zu steigern. In meiner Dissertation habe ich alle Wirkungsmodelle zusammengefasst und daraus ein Gesamtmodell entwickelt. Realistisch gesehen, betreibt natürlich kein Unternehmen PR zum Selbstzweck. Aber diese kausalen, monetären Zusammenhänge gibt es meiner Meinung nach nicht. 

Wie stellen sich die Autoren des Modells vor, die monetären Zusammenhänge darzustellen?
Sie möchten, dass man das anstrebt. Das Modell  ist auch per se nicht verkehrt! Es ist einfach eine Glaubensfrage. Für mich ist PR Beziehungsmanagement, das nicht immer quantifiziert werden kann.

Ist die Wissenschaft, was das betrifft, gespalten?
Ich denke nicht. Es gibt naturgemäß Gerangel zwischen den Autoren von Modellen. Ich bin dafür, dass sich beide Herangehensweisen in einem Kontinuum treffen. Auf der einen Seite wird erfasst, bewertet, auf der anderen Seite steht die Konzeption der Unternehmens- und Kommunikationsziele – und  irgendwo treffen sich die beiden Verfahren. Es ist wie beim Kochen: Schmecke ich währenddessen ab oder gehe ich systematisch nach Rezept?

Die DPRG kocht nach Rezept?
So kann man das sagen. Aber den letzten  Punkt des Outflow kann man nicht immer legitim einbeziehen. Bei meinem anfänglichen Mitarbeiterbeispiel funktioniert das jedoch beispielsweise. Das Unternehmen spart nachvollziehbar Kosten durch die Mitarbeiterbindung. Ich habe ein integriertes PR-Evaluationsmodell entwickelt, das Wert auf die Prozesse und Planung legt. Relevante Fragen sind: Ist alles so gelaufen, wie geplant oder gab es externe Einflüsse, die ich nicht steuern konnte? Manchmal sind die Möglichkeiten eben eingeschränkt. Man muss nicht nur quantifizieren, sondern inhaltlich bewerten. In unserem Leben bestehen Gutachten oder Arbeitszeugnisse auch aus Text und nicht aus Zahlen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Kommunikations-Controlling, Evaluation und Eigen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel