Kein Virologe der Herzen

Hendrik Streeck

Seit im Februar das Coronavirus zum dominierenden Thema der Medienberichterstattung wurde, sind Virologen und Epidemiologen Stammgäste in TV-Sendungen und gefragte Interviewpartner. Der Kreis der Experten, die die Infektionslage und die Maßnahmen erklären, ist übersichtlich. Neben Christian Drosten sind vor allem Melanie Brinkmann, Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck sehr präsent. Zusätzlich hat der SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach zu allem eine Meinung.

Wer sich als Virologe meinungsstark zu einem politisch kontrovers diskutierten Thema wie Corona äußert, muss damit rechnen, von Medien und Öffentlichkeit hinterfragt zu werden. Christian Drosten ist aufgrund seiner Empfehlungen ins Visier vor allem konservativer Medien mit „Bild“ an der Spitze geraten. Hendrik Streeck fiel seine Heinsberg-Studie auf die Füße, was unter anderem daran lag, dass die vom ehemaligen „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann gegründete Agentur Storymachine die Studie kommunikativ als „Heinsberg-Protokoll“ begleitete und einige handwerkliche Fehler machte. Streeck selbst traf der Vorwurf, voreilig politische Empfehlungen gegeben zu haben.

Seit Anfang Juli lässt sich Streeck in seiner Kommunikation von Wolfram Winter und dessen Agentur Three Winters beraten. Als ehemaliger Journalist, Medienmanager und Kommunikationschef der Pay-TV-Plattform Sky gilt Winter als gut vernetzt. Auch WDR-Intendant Tom Buhrow lässt sich während seiner zweijährigen Amtszeit als Vorsitzender der ARD in Sachen Kommunikation von Winter unterstützen.

Wie kam die Zusammenarbeit zwischen Streeck und Winter zustande? Das Medieninteresse an dem Virologen sei dermaßen groß geworden, dass auch sein Arbeitgeber, das Universitätsklinikum Bonn, dem Mediziner empfohlen habe, sich Unterstützung für seine Öffentlichkeitsarbeit zu holen. Streeck sei aufgrund einer Empfehlung mit ihm in Kontakt getreten, berichtet Winter. „20 bis 30 Anfragen von Leitmedien aus dem In- und Ausland erreichen Hendrik Streeck jeden Tag. Das übersteigt die Möglichkeiten eines jeden“, sagt der 57-Jährige. Für den Mediziner und Virologen, der parallel mit Patienten arbeitet und als Forscher aktuelle Studien betreut, bliebe dann nur noch die Option, entweder alle Anfragen abzusagen oder sie strukturiert anzugehen. Streeck hat sich für den zweiten Weg entschieden. Seinen Berater bezahlt er aus eigener Tasche.

Auswahl der Medien treffen

Eine von Winters Aufgaben ist es, den 43-Jährigen bei seiner Medienarbeit zu beraten. Heißt: Anfragen bewerten, eine Auswahl treffen, diskutieren, warum welches Format das richtige sein könnte. Es gebe Anfragen nach O-Tönen und Statements aufgrund der tagesaktuellen Situation, nach längeren Features wie kürzlich im „Spiegel“ und Reportagen, nach Wortlautinterviews, TV-Interviews in den Hauptnachrichtensendungen sowie regelmäßig Einladungen zu Talkshows. Wie andere Virologen ist Streeck häufig in der Sendung von Markus Lanz zu Gast – bis Ende September siebenmal.

Seit Juli 2020 lässt sich Hendrik Streeck in seiner Kommunikation von Wolfram Winter und dessen Agentur Three Winters beraten. (c) ruppografie.de

Seit Juli 2020 lässt sich Hendrik Streeck in seiner Kommunikation von Wolfram Winter und dessen Agentur Three Winters beraten. (c) ruppografie.de

Je länger die Pandemie dauert, desto stärker treten die Persönlichkeiten der medial präsenten Virologen und Epidemiologen zutage. Während sich SPD-Mann Lauterbach als Mahner und Warner gibt, übernimmt Schmidt-Chanasit die Rolle des nüchternen Experten. Melanie Brinkmann argumentiert schon mal aus einer persönlichen Perspektive heraus. Christian Drosten hat sich den Ruf als wissenschaftliche Koryphäe erarbeitet. Er ist der Erklärer des Coronavirus und der Studienlage. Streeck wiederum gilt seit der Heinsberg-Studie, deren Ergebnisse der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Armin Laschet als Argument für Lockerungen zu nutzen versuchte, als Befürworter von möglichst geringen Einschränkungen des täglichen Lebens. Der Bonner Virologe ist Mitglied in Laschets zwölfköpfigem Corona-Expertenrat.

Wie mit dem Virus leben?

In den vergangenen Wochen fiel auf, dass Streeck sich mit konsistenten Botschaften in den Medien zu Wort meldet. Das dürfte auf die Zusammenarbeit mit Winter zurückzuführen sein. Der betont, dass es nicht seinem Verständnis von Beratung entspreche, „jemanden zu etwas anderem zu machen, als was er eigentlich ist. Ich versuche nicht, die Persönlichkeit zu verändern.“

Wer medial so präsent ist wie Streeck, hat ein Bedürfnis, sich öffentlich mitzuteilen. Er plädiert für einen pragmatischen Umgang mit dem Virus und betont die Eigenverantwortung. In einer Rede im Dom in Münster sagte er, dass alle „Routine im Umgang mit der Pandemie“ bräuchten, weil sie die Menschen in Deutschland noch mindestens einige Monate begleiten werde. Gleichzeitig warnt er davor, zu große Hoffnungen in einen baldigen Impfstoff zu setzen. Die alleinige Fokussierung auf die Infektionszahlen als Gradmesser für den Verlauf der Pandemie hält Streeck für falsch. Er plädiert für eine Ampel, in die auch die Anzahl der Tests, die stationäre Belegung und die intensivmedizinische Belegung einfließen.

Drosten hat sich mehrfach dagegen gewehrt, dass er in Berichten falsch wiedergegeben wurde. Mit diesem Problem muss auch Streeck leben. Winter sagt, dass er sich gemeinsam mit dem Virologen vor der Beantwortung von Anfragen und Interviews überlege, welche Überschriften sie erreichen wollen. Das funktioniere inzwischen immer besser. Aber nicht immer: Bei der Autorisierung eines Interviews für „Cicero“ änderte Streeck die Fragen der Journalistin. Ein No-Go. Die Fragen enthielten aus Streecks Sicht sachliche Fehler. Details des Autorisierungsprozesses fanden sich bei „Übermedien“ wieder; vermutlich weitergereicht von „Cicero“.

Streeck besitzt Accounts auf Twitter, Facebook und Instagram. Die Frequenz seiner Tweets ist überschaubar. Das ist strategisch gewollt, um mehr „Ruhe reinzubekommen“, erklärt Winter. Es gibt Anfeindungen. Streeck verharmlose das Virus, heißt es. Auf Instagram finden sich private Fotos, auf denen der Virologe mit seinem Partner zu sehen ist. Home-Storys solle es nicht geben, meinte Berater Winter vor Wochen im Gespräch. Das war offenbar eine Momentaufnahme: Am 21. Oktober sitzt eine RTL-Reporterin in Streecks Wohnzimmer – und spielt mit dessen kleinem Hund. „Ein Corona-Baby“, sagt sie in dem Bericht.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DIVERSITY. Das Heft können Sie hier bestellen.

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