Frau Kunze, wie sieht das aktuelle Geschlechterverhältnis in der PR-Branche aus?
Cornelia Kunze: In der PR sind wir Frauen natürlich in der Überzahl. Gerade auf dem Einstiegslevel – ich würde schätzen, dass 70 Prozent aller PR-Einsteiger weiblich sind. Diese Erfahrung habe ich auch als Hochschuldozentin gemacht: Im Masterkurs sitzen eigentlich fast nur Frauen. Da könnte man sich fast schon fragen: Wie schaffen wir es eigentlich, Männer für den Job zu begeistern? Allein schon, um eine Gedanken- und Meinungsvielfalt in der Branche zu gewährleisten. Warum das aber so ist, kann ich nicht sagen.
Wie sieht es auf den höheren Karrierestufen aus?
Das ist ganz interessant: Auf dem mittleren Level – wo man beginnt, Karriere zu machen – kehrt sich das Verhältnis um. An der Spitze findet man dann überwiegend Männer. Da muss man sich einfach fragen: Warum schafft es gerade diese Branche nicht, Frauen an sich zu binden und so zu fördern, dass sie am Ende bereit sind, Führungsverantwortung zu übernehmen – oder so, dass man sie ihnen überträgt?
Wie unterscheidet sich die PR hier von anderen Branchen, in denen es wenig weibliche Führungskräfte gibt?
Die Ausrede, die beispielsweise in den Ingenieurswissenschaften gilt, greift hier nicht. Der Branche mangelt es nicht an Frauen. Kommunikationsabteilungen und Agenturen müssen einfach weibliche Talente, die hervorragend ausgebildet sind, in die Auswahl einbeziehen, wenn es um Führungspositionen geht. Man vergibt sonst eine große Chance.
Wen sehen Sie hier besonders in der Pflicht? Sind es Unternehmen, die Politik?
Gefragt ist immer derjenige, der etwas verändern will. Ich bin ja nicht dazu da, Aufgaben zu verteilen – auch GWPR hat sich nicht zum Ziel gesetzt, Lobbying in diese Richtung zu betreiben. Ich glaube, dass die Branche, dass Unternehmen und Agenturen ein Interesse daran haben, möglichst viel aus ihrem Talentpool schöpfen zu können. Und daran, besonders Frauen – da diese dermaßen in der Überzahl sind – dazu zu bewegen, an die Spitze zu kommen. Der Wille dazu ist da – wir haben viele Frauenförderer in der Branche.
Wo liegt dann das Problem?
Die Frage ist: Können Unternehmen und Organisationen noch mehr tun, um Frauen zu fördern? Und: Können Frauen selbst mehr gegen diese imaginäre „Glasdecke“ tun? Um trotz der aktuellen Situation die gleichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die Männer haben, um Karriere zu machen?
Gibt es denn unterschiedliche Rahmenbedingungen?
Ich glaube schon – vielleicht nicht vordergründig. Verglichen mit Unternehmen im Maschinenbau oder in der Chemie schaffen es in der PR ja auch eher viele Frauen nach oben. Ich habe es ja auch geschafft – genau wie viele andere Gründungsmitglieder bei GWPR. Dennoch fragen sich viele: Musste ich als Frau mehr leisten als Männer, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin? Wurde ich anders beurteilt?
Welche Rolle spielen dabei die Betreuungsverpflichtungen, die ja in der GWPR-Studie als wichtiger Faktor genannt werden, der Frauen am Aufstieg hindert?
Nachgewiesenermaßen liegt die Aufgabe, sich um die Familie zu kümmern, eher bei Frauen als bei Männern: Wenn einer in der Familie in Teilzeit arbeitet, ist es in der Regel die Frau. Und wenn einer in der Familie Elternzeit nimmt, ist es auch in der Regel die Frau. Diese Verteilung wird gerade aufgeweicht, was ich super finde. Immer häufiger teilen sich Frauen und Männer die Aufgaben. Daher wird Frauen, die Karriere machen wollen, vielfach der Tipp gegeben: Augen auf bei der Partnerwahl! Such‘ dir einen Partner, der das unterstützt.
Trotzdem fällt das Gros der Betreuungsaufgaben auch heute immer noch den Frauen zu. Wie beeinflusst das ihre Karrierechancen?
Ein Knackpunkt ist der Wiedereinstieg in den Beruf, nachdem die Kinder gekommen sind. Immer noch hat nicht jeder Verständnis dafür – oder kann sich auch nur vorstellen – dass auch Menschen in Teilzeit Führungsverantwortung übernehmen können. Es gibt da sehr viele Vorurteile.
Vorurteile welcher Art?
Das sind oft weniger Sachargumente als Argumente aus dem eigenen Erlebten. In meiner operationalen Verantwortung habe ich immer sehr viele Frauen in Teilzeit gehabt. Viele von ihnen waren auch Führungskräfte – und zwar gute Führungskräfte. Ich sehe da kein Problem – wenn man es wirklich will.
Dass Führungskräfte unbedingt in Vollzeit verfügbar sein müssen, ist also eine irrige Annahme. Welche gibt es noch?
Eine weitere Frage ist: Wie muss Führung eigentlich aussehen? Es gibt es bestimmtes Bild von Führung, das aus meiner Sicht teilweise veraltet ist und nicht die kulturellen Veränderungen miteinbezieht, die wir gerade erleben. Die Arbeitswelt wird kooperativer, flexibler, weniger hierarchisch. Nach der alten Vorstellung müssen Führungskräfte vor allem durchsetzungsfähig und wettbewerbsorientiert sein, sich besser verkaufen, in den Mittelpunkt stellen können. Das hat nicht unbedingt etwas mit Leistung zu tun. Wir müssen leistungsorientiert befördern und einstellen. Wer das tut, wird eher auf Ergebnisse achten als seine eigenen, vielleicht von früher mitgebrachten Führungsprinzipien subjektiv heranzuziehen, wenn es um die Auswahl und Förderung von Führungskräften geht.
Wie können Frauen mit diesem veralteten Führungsbild umgehen?
Gerade Frauen sind oft nicht bereit, zu Bedingungen aufzusteigen, die vielleicht eher aus einer patriarchalischen Gesellschaft stammen. Sich in den Mittelpunkt stellen und gut zu verkaufen – diese Werte teilen sie oft nicht. Möchte die Frau hier etwas ändern, ist das nicht so ganz einfach. Denn sie muss sich ein Stück weit anpassen, an diese Führungskultur und die entsprechenden Kriterien, die von Chefs – aus welchem Grund auch immer – noch genutzt werden. Jede von uns, die es an die Spitze geschafft hat, hat sich zum Teil an das System und das, was gefordert war, angepasst. Wenn wir aber dahin kommen, dass diejenigen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die Ergebnisse liefern und Kompetenz zeigen – dass diese Frauen auch befördert werden, dann sind auch viele Frauen bereit, Führungsverantwortung zu übernehmen. Leider ist es im Moment noch so, dass aufgrund von Privilegien und Ähnlichkeitsprinzipien befördert wird, und nicht aufgrund von Leistung.
Sagen wir, eine Frau möchte in der PR Karriere machen. Was raten sie ihr?
Frauen können sich stärken, indem sie erkennen, dass man sich sichtbar machen, sich in den Vordergrund stellen muss, damit einem solche Aufgaben zugetraut werden. Man muss sein Personal Branding stärken: Wo sind meine Kompetenzen, was sind meine Themen? Heute gibt es so viele Möglichkeiten, sich auf diese Weise zu positionieren – beispielsweise in den sozialen Medien. Außerdem muss man sich stärker vernetzen und eigene Netzwerke schaffen, in denen man Karriere machen, sich Hilfe holen – und eventuell sogar für zukünftige Aufgaben erkannt werden kann.
Wie genau kann das aussehen?
Frauen können einen Teil ihrer Ressourcen dazu einsetzen, für sich selbst statt für den Arbeitgeber zu arbeiten. Dazu gehört auch, zu den richtigen Veranstaltungen und Events zu gehen – auch dann, wenn es vielleicht nicht der unmittelbar heute von mir zu leistenden Aufgabe dient. Da ist immer eine Abwägung zwischen der Leistung, für die ich bezahlt werde, und der, die ich mir selbst schulde, um mich auch für zukünftige Arbeitgeber attraktiv zu halten.
Wo setzt hier der GWPR mit seiner Arbeit an?
Wir versuchen vor allem, Vorbilder aufzuzeigen. Vorbilder, die vorleben: Es ist möglich, Spaß an diesem Job und trotzdem eine Familie zu haben. Es ist möglich, 100 Prozent zu geben statt 150. Es ist möglich, erfolgreich zu sein und trotzdem ein toller Mensch. Unsere 14 deutschen Gründungsmitglieder stehen alle an der Spitze von Kommunikationsabteilungen oder Agenturen. Frauen, die ein Profil haben, die schon lange in der Branche tätig sind. Diese Frauen haben alle sehr viel zu tun, finden es aber wichtig, dass jüngere, weniger erfahrene Frauen die Chance haben, nach oben zu kommen und die gleichen Rahmenbedingungen vorfinden wie Männer auch.
Ist die Branche im Moment dabei, sich zu verändern?
Im Moment verändert sich vieles zum Positiven – nicht nur in der Kommunikationsbranche. New Work, flexible Arbeitsstrukturen… All das spielt Frauen in die Hände. Die Führungskultur wird kooperativer, verändert sich hin zu einem Stil, der vielleicht eher als weiblich gesehen wird. Themen wie der Gender Pay Gap sind in der Öffentlichkeit viel präsenter als früher. Frauen bringen ihre Themen mit größerem Selbstbewusstsein auf die öffentliche Agenda. Dazu haben vielleicht auch Bewegungen wie „Me too“ beigetragen.
Reagiert die Öffentlichkeit heute vielleicht auch anders auf die Belange von Frauen?
Auf jeden Fall. Wenn Sie die sozialen Medien beobachten, ist es heute ja wirklich nicht mehr möglich, neue Führungskräfte bekannt zu geben – und das dazugehörige Bild zeigt zehn Männer. So eine Aktion zieht sofort einen Shitstorm nach sich. Und jeder weitere Shitstorm führt dazu, dass der nächste sich nicht mehr traut, so etwas zu machen. Da sind wir in den letzten zwei, drei Jahren schon sehr weit gekommen.
Ein Blick in die Zukunft: Glauben sie, dass eine Initiative wie der GWPR irgendwann überflüssig wird?
Das wünsche ich mir, glaube es aber für die nähere Zukunft nicht. Große kulturelle Veränderungen brauchen immer Zeit. Und Frauen sind ja auch nicht die einzige Gruppe, die an anderen Maßstäben gemessen wird. In unserer Branche gibt es insgesamt keine hohe Diversität. Gerade in der Kommunikation, die eigentlich besser wissen müsste, wie sehr Vielfalt für Kreativität und innovative Lösungen notwendig ist. Da überrascht es, dass wir doch so sehr in alten Mustern verhaftet sind. Schwer haben es zum Beispiel ältere Menschen, behinderte Menschen, Menschen mit LGBT- oder Migrationshintergrund. Ich hoffe, dass die Kommunikatoren – die ja immer predigen, dass Vielfalt für Veränderungen notwendig ist – das in ihrer eigenen Branche auch beherzigen.