Die Krise als Chance

Die Lage ist ernst. Das Geld zum Zeitungmachen wird immer knapper. Unter Deutschlands Medienmarken hat eine gnadenlose Auslese begonnen, namhafte Blätter werden eingestellt oder müssen radikal sparen. Der Herbst 2012 markiert zwar keineswegs das Ende des Journalismus. Doch Medienmacher haben einen Umbruch zu managen, der Auswirkungen hat auf die Art, wie Journalismus produziert und konsumiert wird. Veränderungen, die auch die Arbeit von PR-Leuten betreffen werden. Um gewappnet zu sein, sollte die PR-Branche daher aus der Schieflage, in der sich Teile der Medienbranche befinden, Rückschlüsse für ihre eigene Zukunft ziehen – und ihre neuen Chancen nutzen.

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1
Nicht mehr Inhalte sind gefragt, sondern bessere

Viele Medien haben im Internet jahrelang publiziert nach dem Motto: Viel hilft viel. Will sagen: Je mehr Content, desto mehr Klicks, desto mehr Werbeeinblendungen, desto mehr Einnahmen. Hier noch eine 2.124 Bilder lange Nackedei-Klickstrecke, dort noch ein überflüssiges DSDS-Quiz. Dummerweise hat das billige Infotainment die journalistische Relevanz von Online-Medien in vielen Fällen herabgesetzt. Jetzt, wo Verleger händeringend nach Online-Bezahlmodellen suchen, rächt sich das. Der Leser hat sich an die Kostenloskultur des Netzes weitgehend gewöhnt (zumindest, was Informationen angeht, trifft das zu; Geld ausgegeben wird bei iTunes, in App-Stores oder für E-Books). Den Preis, den Leser für schnellen Nachrichtenkonsum zu bezahlen bereit sind, sind die lästigen Werbebanner, die sie überall erschlagen. Es wird womöglich ein Weilchen dauern, bis der Leser ausreichend Vertrauen gesetzt hat in ein neues journalistisches Relevanzversprechen im Internet, bis er bereit ist, für bestimmte Content-Segmente zu zahlen. Auch für die PR gilt: Nicht mehr Inhalte sind gefragt, sondern bessere. Journalisten sollten nicht mit unzähligen, nichts sagenden Pressemitteilungen bombardiert, sondern durch wenige, originelle Geschichten überrascht werden. Das gilt auch für das Bespielen von Unternehmens-Webseiten und Social-Media-Kanälen. Menschen haben wenig Zeit und brauchen gut aufbereitete, einordnende Informationen. Marken, die ihrem Content mehr Substanz einhauchen, erfahren mehr Aufmerksamkeit durch Kunden und Journalisten.

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2
PR-Schaffende werden zu Content-Produzenten

Durch die jüngsten Sparmaßnahmen in den Verlagen werden in den nächsten Monaten verstärkt Journalisten in die PR drängen. Das kommt der Branche zugute; PR bedeutet immer weniger das Platzieren von einzelnen Botschaften, sondern zunehmend das Entwickeln und Erzählen von Geschichten, das Produzieren von gut gemachtem Content wie Filmen, Fotos, Infografiken, Interviews. Erfahrene, kreative Journalisten können der PR-Branche helfen, zum nützlichen Content-Lieferanten zu werden. Inhalte, die unter Zeitdruck stehenden Redaktionen helfen, schnell und zielgerichtet zu arbeiten, werden ihre Abnehmer finden (was nicht bedeuten muss, dass Redaktionen dadurch ihre Unabhängigkeit aufgeben). Und wenn Verlage auch online verstärkt auf Bezahlmodelle setzen, wird es auf weniger flüchtigen, dafür mehr analytischen Journalismus ankommen. Unternehmen, die oftmals Hüter einer Fülle von Daten sind, könnten sich hier als willkommene, hilfreiche Zuarbeiter erweisen.

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3
PR braucht Spezialisten

Die Sparzwänge in den Redaktionen haben dazu geführt, dass viele Redakteure in die Rolle des Generalisten gedrängt wurden. Jetzt können sie vieles, aber nichts so richtig: ein bisschen Agenturmeldungen zusammen schubsen, ein bisschen Bildbearbeitung, ein bisschen Video-Schnitt. Das Ergebnis: Mittelmaß, Einheitsbrei, kaum Kreativität. Es gibt Medien, die haben ganze Journalisten-Generationen verhunzt. Weil sie ihnen Agenturhörigkeit eingebläut und eigene Recherche als Zeitverschwendung abgetan haben. Wenn Online-Medien aber mit gründlich recherchierten, intelligent aufgeschriebenen und ansprechend aufbereiteten Online-Geschichten Geld verdienen wollen, müssen sie wieder Raum schaffen für Spezialisten: Der Reporter bleibt Reporter, der Fotoredakteur bleibt Fotoredakteur. Das Ergebnis wird ein besserer Journalismus sein. Natürlich braucht es aber auf Leitungsebene Figuren, die von allen Bereichen Kenntnisse haben, am besten auch von Medienökonomie. Ein Prinzip, das auch für die PR-Branche gelten muss. Eine PR-Abteilung oder -Agentur sollte besetzt sein mit einigen wenigen Generalisten und mehreren Spezialisten. Wer bestimmtes Know-how intern nicht zur Verfügung hat, sollte es extern einkaufen. Das spart Zeit und kostet meist weniger Geld, als wenn sich eigene Mitarbeiter regelmäßig in neue Themen einarbeiten, die ihnen womöglich nicht liegen oder gar ihre Kernkompetenzen verwässern.

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4
PR braucht Content-Strategen

Medien müssen sich regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, was für ein Bild der Leser von ihrer Marke hat. Die Wahrnehmung von Marken wandelt sich rascher als manch ein Verlagsmanager denkt. Wenn die „Frankfurter Rundschau“ ihren Mantelteil aus Kostengründen in Berlin produzieren lässt, schwindet das Vertrauen der Leser. Starke Marken bauen dagegen Vertrauen nachhaltig auf. Das gelingt auch Unternehmen, sofern sie über ihre Online-Kanäle exzellente Inhalte verbreiten. Dazu bedarf es Content-Strategen, die die übergeordneten Kommunikationsziele eines Unternehmens identifizieren und den PR-, Marketing- und Social-Media-Abteilungen vorgeben. Dazu müssen keine teuren Agenturen beauftragt werden; es geht darum, vorhandene Ressourcen besser zu nutzen, Inhalte enger abzustimmen und langfristiger zu planen.

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5
Lehrer und Verkäufer haben ausgedient

Journalisten rümpfen gerne die Nase über Unternehmen, die sich dem Dialog mit ihren Kunden verweigern. Dabei besteht für viele Zeitungen die Leser-Kommunikation bis heute im Abdrucken von einer Handvoll Leserbriefen. Die Krise der Medien rührt auch daher, dass sie in vielen Teilen an ihren Lesern vorbeischreiben. Dabei bietet das Publizieren im Internet zahlreiche Möglichkeiten, den Leser mit einzubeziehen. Ein Online-Artikel könnte etwa durch Leserhinweise ergänzt und aktualisiert werden; in der Realität werden aber auch von den Online-Medien Leser-Kommentare weitgehend ignoriert. Unternehmen haben den Medien in puncto lebendiger Kundendialog oft sogar etwas voraus; immer mehr PR-Abteilungen bespielen mittlerweile ganz selbstverständlich die Social-Media-Klaviatur. Der Paradigmenwechsel in der Kundenkommunikation – ausgelöst durch Facebook, Twitter, Blogs – bestätigt sich: Wer als Kommunikator arbeitet, sei es als Journalist, sei es als PR-Manager, darf nicht wie ein Lehrer oder Verkäufer auftreten, sondern muss sich auf Augenhöhe mit seinen Gesprächspartnern befinden. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, Inhalte zu transportieren und mit dem Rezipienten in den Dialog zu treten. Content-Produzenten müssen gewillt sein herauszufinden, was Kunden wirklich interessiert. Wer nicht bereit ist für diesen Dialog, gerät auf die Verliererstraße, das gilt für Medien wie für Unternehmen.

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6
Medien und PR sind aufgefordert zur Transparenz

Journalisten müssen sich regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, ob sie sich bestechlich machen durch die Einladung zu einer Pressereise oder die Annahme eines Geschenks. Einige Redaktionen haben entsprechende Kodizes, die aufschlüsseln, was ein Mitarbeiter annehmen darf und was nicht. Die Realität ist, dass Einladungen und Geschenke oft die notwendige Vorraussetzung für Berichterstattung sind. Redaktionen sollten daher offenlegen, welche Beiträge oder Recherchereisen durch Einladung von Unternehmen und Verbänden ermöglicht wurden. Sie sollten ihren Lesern erklären, warum das Budget für Recherchen manchmal nicht reicht, und sie einbeziehen in der Frage, welche Berichterstattung es wert ist, sie durch PR-Abteilungen finanzieren zu lassen. Solche Transparenz schafft Glaubwürdigkeit für die Medienmarke, aber  auch für das Unternehmen, das die Recherche finanzierte. Journalisten und PR-Leute sind aufgefordert, an diesem Punkt gemeinsam den Dialog zu suchen mit Lesern und Kunden. So entkräften sie deren (berechtigten) Verdacht, Unternehmen wollten sich wohlwollende Berichterstattung erkaufen und Medien seien korrumpierbar.

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7
PR braucht ein besseres Verständnis von Technologie

Das Dilemma der Zeitungsbranche besteht zu einem Gutteil darin, dass einige Verleger glaubten, sie könnten das Internet aussitzen. Aber das Internet geht nicht wieder weg. Dafür hat es die Art, wie Menschen Informationen aufnehmen und verbreiten, grundlegend verändert. Eine Mischung aus Hochmut, Ignoranz und Naivität hat Zeitungsmacher zu lange blind gemacht für die Potenziale, die das Internet und seine Verbreitungswege für Zeitungsmarken mit sich bringen. Jetzt versuchen einige, Versäumnisse aufzuholen, und engagieren SEO-Spezialisten, bauen IT-Entwicklungsabteilungen auf, gründen Social-Media- und iPad-Redaktionen. In einigen Fällen womöglich zu spät. PR-Verantwortliche sollten tunlichst vermeiden, den gleichen Fehler zu machen, und rechtzeitig jedwedes Know-how heranziehen, das für das Verständnis der digitalen Mechaniken nötig ist. Klar, das kostet Geld, ist aber allemal günstiger, als zu einem späteren Zeitpunkt alle Versäumnisse auf einen Schlag aufholen zu müssen.

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Fazit

Der Untergang des Abendlandes ist noch fern. Aber die Zyklen, in denen sich Technologien wandeln, werden immer kürzer. Darauf muss sich die Medien- und Kommunikationsbranche fortan besser einstellen. Wer lamentiert, verliert. Wer sich aufrafft, Lösungen zu finden, ist auf einem guten Weg. Journalisten und PR-Schaffende kommen außerdem nicht umhin, sich mit Kostenmanagement auseinanderzusetzen. Und vor allem müssen sich beide Branchen regelmäßiger ungemütlichen Selbstprüfungen stellen, sich Fragen nach ihrem Selbstverständnis und ihrer Relevanz beantworten. Ansonsten gucken sich in ein paar Jahren wieder alle erschrocken an und fragen: Wie konnte es nur so weit kommen?

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.

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