Den Armen eine Stimme geben – Kommunikation für ein Straßenmagazin

Frau Schwartau, worin sehen Sie Ihre größte Aufgabe?

Isabel Schwartau: Die größte Herausforderung ist, armen und obdachlosen Menschen eine Stimme zu geben. Ich möchte Brücken zwischen den Menschen bauen und Vorurteilen entgegenwirken. Dafür haben wir viele Instrumente: das Magazin, unsere politischen Sprecher, Vorträge, Kinderbuchlesungen, Benefizveranstaltungen, Stadtführungen. Bei diesen Rundgängen beispielsweise können Hamburger Tagesaufenthalts-Stätten oder Anlaufstellen von Obdachlosen kennenlernen. Damit erreichen wir 3.000 Leute im Jahr und es eine gute Gelegenheit, mit Betroffenen zu sprechen, da jeder Rundgang von Verkäufern durchgeführt wird, die Platte machen oder gemacht haben.

Platte machen?

Das bedeutet, obdachlos zu sein. So nennen es die Obdachlosen selbst. Sie leben sozusagen auf einer Platte, einem Stück Stein.

 

Hinz & Kunzt-Verkäufer Gerhard (c) Philipp Rathmer

Zuvor waren Sie im Bereich Musik und Reisen tätig. Ist es anders, nun für so ein ernstes Thema zu sprechen?

Als ich hier herkam, hatte ich gleich einen Tag der offenen Tür und habe eine Pressemitteilung verschickt. Ich dachte, naja, wen wird das interessieren? Am Ende waren wir in allen Tageszeitungen! So kannte ich das nicht. Es ist natürlich etwas anderes, die Eröffnung eines Winternotprogramms als ein Konzert anzukündigen. Das hat eine ganz andere Brisanz. Man hat eine viel verantwortungsvollere Stimme in der Öffentlichkeit.

Hinz & Kunzt eröffnet ein eigenes Winternotquartier und mietet Zimmer im Monteursheim für rund zwölf Verkäufer. Dort können sie für fünf Monate bleiben. Das städtische Winternotprogramm hatte nicht genügend Plätze und einen schlechten Standard (c) Mauricio Bustamante

Hier in Berlin gibt es einige, die sich eine Straßenzeitung nehmen und dann damit betteln – Sie jedoch nicht verkaufen wollen. Wie sieht das bei Ihnen in Hamburg aus?

Das passiert hier auch, dass die Verkäufer die letzte Zeitung nicht weggeben wollen. Leider. Wir haben es hier in Hamburg aber bestimmt leichter, weil man uns gut kennt, und wir das einzige Hamburger Straßenmagazin sind. In Berlin gibt es drei oder sogar vier Magazine und die Stadt ist viel größer und unübersichtlicher. Unsere Alleinstellung macht es uns leichter, die Verkäufer näher an das Projekt zu binden. Wir bekommen schnell mit, wenn jemand so ein Verhalten an den Tag legt, da uns die Kunden anrufen bei Verstößen. Es gehört auch zu unserer Öffentlichkeitsarbeit, Obdachlose dafür zu sensibilisieren, dass es Regeln gibt.

Und wo werden die Magazine in Hamburg verkauft?

Jeder Verkaufsplatz ist mit unserem Vertrieb abgesprochen, da sind wir streng. Unsere 500 Verkäufer müssen zu uns kommen und sich die Zeitungen für 90 Cent selbst kaufen. Sie verkaufen die Zeitungen dann weiter für 1,90 Euro. Das heißt: 1 Euro plus Trinkgeld verbleiben bei dem Verkäufer. Unser Ziel ist, dass unsere Verkäufer ihren Stammplatz bekommen und dort ihren Kundenkreis aufbauen. Da entstehen unsere eigentlichen Erfolgserlebnisse. Das zeigt auch: Es geht in unserer Öffentlichkeitsarbeit nicht darum, noch bekannter zu werden, sondern Vorurteile abzubauen und auch gute Lobbyarbeit zu leisten, also beispielsweise mit dem Sozialsenator oder Citymanager zu sprechen. Wir haben viele Kontakte in die Politik.

Hinz & Kunzt-Verkäufer Tobi mit Hund Pauli (c) Philipp Rathmer

Wie haben Sie eigentlich Kai Diekmann dazu gebracht, in Ihrem Imagefilm als Obdachloser aufzutreten?

Wir gar nicht (lacht). Das war die Idee unserer Agentur.  Die „Bild“-Zeitung ist ja eigentlich nicht besonders nah an uns dran. Dass Herr Diekmann sich solidarisiert, ist ein gutes Zeichen und ich fand seinen Auftritt auch ganz charmant.

Schon mutig von der Agentur …

Das fanden wir auch!

Der Hinz & Kunzt-Spot mit Kai Diekmann

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Randgruppen-PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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