Ich hatte es bislang nicht für möglich gehalten, dass derlei, man muss es leider so nennen, Drohungen tatsächlich schriftlich ankommen. Dann ist es vor wenigen Wochen aber doch geschehen. Die Sprecherin eines Unternehmens beendete die Beschwerde-E‑Mail über einen Artikel im von meiner Co-Ressortleiterin und mir verantworteten Wirtschaftsteil der „Zeit“ mit dem Hinweis auf eine Kooperation mit unserem Verlag: „Wie soll ich intern erklären, warum ich ausgerechnet mit der ‚Zeit‘ – die mit unserem Haus so umgeht – eine teure Kooperation eingehe? Ich möchte die Kooperation nicht zurückziehen, weil ich persönlich Event und Journalismus trennen kann – aber bitte verstehe, dass das hier im Haus die Mitarbeiter nicht verstehen.“ Sie sehe sich deshalb gezwungen, die Angelegenheit mit unserem Geschäftsführer zu besprechen, „weil ich hier eine Lösung brauche“.
Natürlich ist es ein bisschen lustig, dass diese Zeilen in immerhin verblüffender Offenheit zeigen, wie jemand Event und Journalismus eben nicht trennen kann. Vor allem ist dieses Schreiben aber eine Grenzüberschreitung, weil eine Pressesprecherin ihr Marketing-Budget als Waffe ins Feld führt gegen einen Artikel, dessen Inhalt sie nicht mag.
Natürlich bin ich nicht naiv. Mir ist sehr wohl bewusst, womit es auch die dem Journalismus wohlmeinend verbundenen Kommunikatorinnen und Kommunikatoren Tag für Tag in ihren Unternehmen zu tun haben: hausinterne Schlachten zwischen Abteilungen und geltungsbedürftigen Chefs und Chefinnen um nicht druckbare Zitate in Pressemitteilungen; die Verwunderung bei diesen Chefs und Chefinnen, dass dann keine Zeitung diese Zitate druckt, weil sie außerhalb der Firma niemanden interessieren. Und natürlich gibt es auch bei Ihnen mächtige Menschen, denen Leute ohne Macht im Unternehmen selten sagen, was sie falsch machen – und dann kommt da so ein Zeitungsfuzzi und schreibt das auf. Wer sagt es jetzt dem Chef?
Natürlich gehört zur Wahrheit: Nicht alle Zeitungsartikel sind Ausweise von Wahrhaftigkeit, Weisheit und Wohlwollen. Ich habe selbst genug Berichte gelesen zu Themen und Personen, über die ich ein bisschen Bescheid weiß und die ich in diesen Geschichten wirklich nicht erkannte. Aber das ist ein anderes Thema. Hier, so wurde mir gesagt, soll ich mir etwas von der Sprecherzunft wünschen.
Ich wünsche mir zunächst einmal, dass Sie den von Ihnen selbst aufgestellten Ansprüchen gerecht werden. Dass Sie also, was so als Grundsätze in Ihrem „Kommunikationskodex“ steht, auch ernst nehmen. Etwa dies: „PR- und Kommunikationsfachleute setzen ihre Kommunikationspartner nicht durch die Androhung von Nachteilen unter Druck.“ Außerdem: „PR- und Kommunikationsfachleute respektieren die Trennung redaktioneller und werblicher Inhalte und betreiben keine Schleichwerbung.“
Ich kann nicht bewerten, wie repräsentativ mein Erlebnis mit der Sprecherin ist. Ich beobachte aber, dass viele Kommunikationsabteilungen auch Marketingrollen mit entsprechenden Budgets übernommen haben und diesen Rollenkonflikt bewältigen müssen. Als ich dem Chefredakteur einer anderen Zeitung von meinem Erlebnis berichtete, sagte er: Ja, haben wir laufend das Thema in letzter Zeit. Die E-Mail an mich scheint kein Einzelfall zu sein.
„Unabhängige Medien sind demokratische Infrastruktur“
Wo ich aber schon dabei bin, wünsche ich mir noch etwas, nämlich dass Sie Ihrer wachsenden Verantwortung als „Corporate Citizens“ gerecht werden, die auch größer geworden ist, weil der Anteil der Public Relations im Vergleich zu unabhängigem Journalismus in den vergangenen Jahren erheblich an Gewicht gewonnen hat. In meiner Redaktion habe ich das Glück, mir keine wirtschaftlichen Gedanken machen zu müssen, wenn Cum-Ex-Banker ihre Anwälte vorbeischicken und Unternehmenssprecherinnen mit der Beschwerde beim Verlag drohen. Doch wenn das Schule macht und wirtschaftlich weniger starke Zeitungen unter Druck setzt, dann können wir als Demokratie einpacken. Unabhängige Medien sind schließlich demokratische Infrastruktur. Für ein nationales Gespräch sind sie umso wichtiger, je mehr sich die Gesellschaft und die Öffentlichkeit fragmentieren. Und mal ehrlich: Wenn Sie bei Pepsi arbeiten würden, nähmen Sie eine Zeitung ernst, die gleich hinter der Coca-Cola-Anzeige eine redaktionelle Huldigung an die werbende Brause veröffentlichte?
Liebe Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, ich arbeite mit vielen von Ihnen vertrauensvoll zusammen. Viele von Ihnen gehören zu den wenigen Leuten in Ihren Unternehmen, die, wenn die Frage „Wer sagt es dem Chef?“ aufkommt, ohne zu zögern „Ich!“ rufen. Ich habe viele unter Ihnen kennengelernt, denen wichtig ist, dass sie eben keine Werber sind, dass sie Fakten und reale Geschichten verkaufen, ohne dass sie für die Veröffentlichung Geld bezahlen.
Wir Journalistinnen und Journalisten sind in diesem Prozess nicht Ihre Gegner, wir sind auch nicht Ihre Freunde, wir sind Fremde, die sich für das interessieren, was Unternehmen tun und was ihre Macht im Guten wie im Schlechten bedeutet. Sicher liegen wir mit unseren Einschätzungen manchmal auch daneben. Damit das möglichst selten passiert, brauchen wir Journalistinnen und Journalisten Sie in den Kommunikationsabteilungen als Übersetzer und als Brückenbauer. Das sind Sie aber nicht, wenn Sie, wie Ihre Kollegin, davor kapitulieren, dass „hier im Haus die Mitarbeiter“ den Unterschied zwischen Werbung und Journalismus nicht verstehen.
Mein letzter Wunsch also: Bringen Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ihren Unternehmen diesen Unterschied bei. Dafür braucht Sie auch der demokratische Diskurs. Als Jubelperser braucht Sie nur Ihr Chef.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Technologie. Das Heft können Sie hier bestellen.