Allgegenwärtiges Grundrauschen

Sexismus am Arbeitsplatz

Da ist die Übersetzerin, die auf einer beruflichen Veranstaltung von einem Kollegen nur mit ihrem Vornamen vorgestellt wird. Da sind die zwei Mitarbeiterinnen auf einer Konferenz, bei denen sich ein Gesprächspartner mit den Worten entschuldigt: „Wie unhöflich von mir, hübsche Damen wie Sie sollte man doch nicht einfach stehen lassen.“ Oder die Assistentin, die vom Chef vor einer wichtigen Präsentation aufgefordert wird, einen Rock zu tragen. Sexismus am Arbeitsplatz ist gang und gäbe.

Allerdings werden solche Beispiele meist als Ausnahmen abgetan, als Einzelfälle, die nicht repräsentativ seien. Und das, obwohl durch die #MeToo-Bewegung zum ersten Mal seit Jahren öffentlich und grundlegend über Sexismus und sexualisierte Gewalt gesprochen wird. Oft wird die reine Präsenz des Themas in Diskussionen mit tatsächlicher Gleichberechtigung verwechselt: Als seien Reden und Handeln ein und dasselbe. Mittlerweile fürchtet manch einer gar eine angebliche „Gleichschaltung“ und moniert, dass es nun aber gut sei. In beiden Fällen ist das Problem plötzlich keines mehr. Entweder weil es angeblich schon längst gelöst oder weil es schlicht herbeigeredet worden sei.

Dass sich das Problem nicht mit dem Verweis auf Einzelfälle wegwischen lässt, zeigt eine aktuelle europaweite Studie der Fondation Jean-Jaurès, für die Frauen aus Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien zu ihren Erfahrungen mit Sexismus am Arbeitsplatz befragt worden sind. Über die Hälfte der deutschen Frauen gaben an, bereits anzügliche Blicke, Gesten oder Bemerkungen am Arbeitsplatz erlebt zu haben, bei 39 Prozent wurden die Kleidung oder der Körper kommentiert, 15 Prozent erhielten obszöne Vorschläge oder Nachrichten mit sexualisiertem Inhalt und 13 Prozent wurden gezwungen, sich Nachrichten, Fotos und Videos mit sexuellem Inhalt anzusehen.

An Sexismus gewöhnt

Sexismus ist mehr als nur eine Anhäufung von Einzelfällen und dummen Sprüchen. Es ist ein Grundrauschen, immer da, immer präsent – und so allgegenwärtig, dass viele Frauen es gar nicht mehr wahrnehmen. Sie haben sich daran gewöhnt, aufgrund ihres Geschlechts beurteilt und benachteiligt zu werden. Natürlich, auch Männer können von Sexismus betroffen sein. Doch weil bei Sexismus immer auch der Faktor Macht mitgedacht werden muss, betrifft er Frauen in der Regel häufiger: einfach weil sie oft weniger gesellschaftliche Macht besitzen als Männer. Das gilt auch für die Arbeitswelt, in der nach wie vor viele Schlüssel- und Führungspositionen männlich besetzt sind.

Während Unternehmen verpflichtet sind, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen, ist der Umgang mit Sexismus weniger eindeutig geregelt. Was nicht nur daran liegt, dass Sexismus oft auf vermeintlich harmlose Vorfälle reduziert wird. Sondern auch daran, dass Sexismus heute subtiler ist: Er zeigt sich häufig in wohlwollender oder paternalistischer Form. Im Berufsalltag klingt das dann beispielsweise so: „Toll, dass Sie als Frau das Projekt geschafft haben! Hätte ich gar nicht gedacht.“ Sexismus wird heute außerdem oft ironisiert – statt auf Stumpfsinn à la „Setz dich zu uns, damit wir etwas Hübsches zum Angucken haben“ wird auf Spott, Sarkasmus und Ironie gesetzt: „Du weißt doch, dass ich Frauen weniger ernst nehme“, begleitet von einem konspirativen Zwinkern.

Diese Art von Sexismus gilt als reflektiert und gesellschaftlich akzeptiert. Vor allem, weil dahinter die Annahme steckt, es sei bereits ein gewisses Niveau an Gleichberechtigung erreicht. Als sei die offensichtliche Herabsetzung und Beleidigung von Frauen ein Relikt der Vergangenheit – was sexistische Witze oder Bemerkungen akzeptabel mache. Man wisse es schließlich besser, und überhaupt sei es doch gar nicht so gemeint.

Guter Rat ist teuer

Sexismus erleben Frauen in vielen Alltagssituationen. Am Arbeitsplatz aber können sie sich ihm nicht entziehen, indem sie einfach weggehen. Hinzu kommt die Machtdimension: Es ist leichter, in einer Kneipe auf einen sexistischen Spruch zu reagieren als in einem Meeting. Zumal wenn es der Vorgesetzte ist, der sich sexistisch verhält. „Wehr dich doch!“ lautet in solchen Fällen oft der gute Rat an Frauen, der jedoch ausklammert, dass betroffene Frauen manchmal einfach zu perplex und geschockt sind, um direkt zu reagieren. Außerdem kann „sich wehren“ soziale und wirtschaftliche Kosten haben, gerade im beruflichen Kontext. Kosten, die vielen Frauen schlichtweg zu hoch sind. Sie können es sich nicht leisten, sich zu wehren. Weil sie auf ihren Job und ihr Gehalt angewiesen sind, weil sie Familie haben.

Dass Sexismus im Berufsleben oft so versteckt, ironisch oder vermeintlich wohlwollend daherkommt, macht es noch schwieriger, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Gegen das Totschlagargument „War doch nur Spaß“ oder „War doch nicht so gemeint“ lässt sich schwer etwas sagen. Kein Wunder, dass viele Frauen sexistisches Verhalten eher ignorieren und über einen Spruch lachen oder höchstens etwas gequält gucken. Manche sucht die Schuld gar bei sich selbst.

Macht und Abhängigkeit

Die Grenzen zwischen tatsächlichem und unbeabsichtigtem Sexismus sind fließend: Der Kollege wollte vielleicht tatsächlich nur irgendjemanden fragen, ob es Kaffee für das Meeting gibt – dass er sich mit seiner Frage an die einzige anwesende Frau wandte, war Zufall. Oder? Und der Chef meinte es sicher gar nicht despektierlich, als er eine Besprechung mehrerer Mitarbeiterinnen mit den Worten „Na, was ist das denn für eine Plauderei?“ unterbrach – denn Frauen plaudern, während Männer sich besprechen. Oder? Versteckte oder wohlwollende Formen von Sexismus müssen überhaupt erst einmal erkannt werden ‒ und das ist oft nicht leicht. Ein Spruch wie „Sie haben ja zwei schlagende Argumente“ mit Blick auf den Oberkörper ist offensichtlich sexistisch. Aber ist es der Kollege, der die Kollegin darum bittet, Kaffee zu kochen, auch?

Das kommt darauf an: Hätte er einen Kollegen um das Gleiche gebeten? Oder ist die Bitte mit der Überzeugung verbunden, dass die Aufgabe – Kaffee zu kochen – von einer Frau aufgrund ihres Geschlechts besser übernommen werden kann?

Wichtig ist auch der Kontext: Komplimente hören sich gleich ganz anders an, wenn sich die betreffenden Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander befinden. Und nicht zuletzt wird eine gesellschaftlich zugeschriebene Geschlechterrolle auch dazu benutzt, Macht auszuüben. Wenn der frühere deutsche Botschafter Hans-Joachim Kiderlen auf einer öffentlichen Veranstaltung zur Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli sagt, er habe keine so junge Frau erwartet und „dann auch noch so eine schöne“, mag das zwar als Kompliment gemeint sein. Im beruflichen Kontext ist es dennoch unangemessen und wirkt wie die Machtdemonstration eines älteren Herrn.

Wie auf Sexismus reagieren?

Der Umgang mit Sexismus mag subjektiv sein, Sexismus an sich ist aber keine subjektive Befindlichkeit. Frauen gehen mit Sexismus deshalb unterschiedlich um, weil sie unterschiedlich von ihm betroffen sind: Sexismus kann sich mit anderen Diskriminierungskategorien wie zum Beispiel Hautfarbe und sexueller Orientierung überschneiden. Was wiederum bedeutet, dass nicht alle Frauen auf die gleiche Weise auf Sexismus reagieren oder sich gegen ihn wehren können. Was können betroffene Frauen also überhaupt tun?

Grundsätzlich hilft es, dafür zu sorgen, dass versteckter Sexismus sichtbar wird, indem man ihn direkt anspricht. Das ist im Kollegenkreis natürlich einfacher als beim Vorgesetzten. Sich Verbündete zu suchen, kann ebenfalls hilfreich sein. Sich austauschen mit Menschen, denen das sexistische Verhalten auch aufgefallen ist oder die eine ähnliche Situation erlebt haben. Dann fällt das Gespräch mit der nächsthöheren Ebene leichter.

Die eine, richtige Umgangsform mit Sexismus gibt es nicht. Schon gar nicht für Betroffene. Denn Sexismus ist eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit: Wenn nur Frauen individuell in die Pflicht genommen werden, sich gegen ihn zu wehren, wird ihnen die Verantwortung für ein strukturelles Problem übertragen. Der Kampf gegen sexistische Strukturen erfordert ein grundsätzliches Umdenken. Es geht darum, Problembewusstsein zu schaffen und damit einhergehend die Bereitschaft, Rollenbilder und Verhaltensweisen – auch die eigenen – zu hinterfragen. Denn einen Umgang mit einem Problem zu finden, bedeutet noch lange nicht, die Ursache des Problems bekämpft zu haben.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KRISE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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