Der Kunde hat nicht immer Recht

Agentur-Kommentar

Hin und wieder habe ich diesen einen Traum. Es sei denn, es ist gar kein Traum, sondern vielmehr mein Unterbewusstsein, das eine Szene aus meiner Vergangenheit wieder und wieder abspielt. Vielleicht in der Hoffnung, dass es irgendwann einmal anders ausgehen wird.

Ich bin wieder in New York City, Account Executive in einer renommierten Agentur. Mein Chef hat mir gerade vor versammelter Mannschaft eine Standpauke erteilt: Einer unserer Kunden hätte sich darüber beschwert, ich hätte mit meinen Medienkontakten geprahlt.

Es ist nichts, was ich mit Absicht tun würde und es ist sicherlich subjektiv – die Art einer Person Geschichten zu erzählen kann für eine andere Person der Definition von Angeberei entsprechen. Es kann sein, dass es genau das war, was der Kunde fühlte. Also lassen wir das mal so stehen.

Doch was ich bis heute nicht stehen lassen kann: Erstens, warum haben meine Vorgesetzten mich dafür getadelt ohne sich überhaupt erst einmal meine Version der Geschichte anzuhören?  Zweitens, warum wurde davon ausgegangen, dass der Kunde die Wahrheit sagt? Hat der Kunde einfach immer Recht?

Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern ist Agenturalltag

Das war nicht das erste Mal. Es geschah oft – mir und meinen Kollegen. Und jedes Mal, wenn meine Vorgesetzten davon ausgingen, dass der Kunde mal wieder goldrichtig lag, oder noch viel schlimmer, sie ihre eigenen Angestellten nicht verteidigten, weil „der Kunde ja die Rechnungen bezahlt“, habe ich mir geschworen, dass ich niemals ein solches Verhalten tolerieren würde, wenn ich mal meine eigene Agentur führe.

Ich fühlte, dass einen besseren Weg geben muss, als eine so empfundene Kultur der Angst und des Versteckens. Das motivierte mich Unternehmerin zu werden, meine eigene Agentur zu gründen.

Kürzlich diskutierten wir in einem Treffen mit unserem Management-Team, warum hinter der sklavischen Loyalität vieler Agenturen à la „gefallt dem Kunden um jeden Preis“, eigentlich eine Kultur des Misstrauens steht. Dies führte uns zu einem anderen Thema: Warum nehmen PR-Agenturen sich keine Zeit dafür, ihre Kunden richtig und ehrlich zu beraten und ihnen zu sagen, wenn deren Voraussetzungen, Annahmen oder Ziele falsch sind?

Diese zwei Dinge scheinen bei näherer Betrachtung miteinander in Zusammenhang zu stehen.   

Agenturen brauchen Grundprinzipien

Einfache Management-Prinzipien sollten sein: Stelle großartige Menschen ein, gib ihnen Verantwortung und dann stehe ihnen nicht im Weg. Zeige Vertrauen in Wort und Tat. Hören Sie also auf, bei der kleinsten Kritik sofort an ihren Kollegen zu zweifeln, sie schlimmstenfalls zu erniedrigen.

Wenn ein Kunde sich respektlos gegenüber meinem Team verhält, wissen meine Manager, dass ich das nicht tolerieren werde. Wenn wir uns deswegen von einem Kunden trennen müssen, dann können wir damit leben. Das heißt nicht, dass wir Angst vor kernigen Debatten haben – Respekt ist hierbei das Schlüsselwort, auf allen Ebenen.

Agenturen die dem Kunden um jeden Preis gefallen wollen, erzielen damit oftmals nur kurzfristige Erfolge. Langfristig ist dieses Mantra der einfachste Weg um die Beziehung zum Kunden nachhaltig zu beschädigen – und darüber hinaus für Unmut im eigenen Beraterteam zu sorgen, inklusive der für Agenturen so notorisch hohen Mitarbeiterfluktuation.

Fakt ist, dass Kunden nicht immer Recht haben und es unser Job ist, ihnen genau dies auch zu sagen. Viele Agenturen sagen einfach „ja“ zu Kundenaufträgen, obwohl sie wissen, dass das, was von ihnen verlangt, wird nicht funktionieren wird. Sie stimmen Zielen zu, die nichts mit dem Aufgabengebiet zu tun haben, anstatt offen zu sagen, was machbar und was eben auch nicht und sie anzuleiten, Probleme selbst zu lösen.

Sagen, wie es ist

Es ist schwer, einflussreichen Leuten die Wahrheit zu sagen. Niemand möchte hören, dass die eigene Idee nicht funktioniert oder dass weder das Produkt noch der Markt dafür bereit sind. Und niemand möchte der Überbringer dieser Nachricht sein, wenn er doch eigentlich künftig Seite an Seite mit diesen Menschen arbeiten möchte. Aber für echte Berater gibt es keine Alternative dazu, die Wahrheit auszusprechen.

Wir sind dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass wir das tun, was am besten für unseren Kunden ist. Die Firma, die unsere Rechnung zahlt, ist nicht unbedingt immer auch unser Kundenkontakt. Situationen wie diese kennt jeder: Zum Beispiel ein Mitarbeiter, der nach der Hervorhebung seines eigenen Profils verlangt, um seine Karriere voranzutreiben anstatt sich auf das Beste für sein Unternehmen zu konzentrieren. Und dieser Mitarbeiter spannt nun die Agentur für seine Zwecke ein.

Wir finden das verwerflich. Unser Job und unsere Verantwortung liegt darin, Berater für unsere Kunden zu sein. Wir sprechen mit ihnen über ihre geschäftlichen Herausforderungen, fühlen ihnen ein wenig auf den Zahn und hinterfragen sie, weil wir sie nur dann hinsichtlich ihrer PR- und Marketingherausforderungen beraten können.

Der Kommentar erschien in englischer Sprache zuerst auf der Webseite der International Public Relations Association.

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