Den Spiegel vorhalten

Mentoring

„Das braucht niemand.“ Auf die Frage nach Fördermitteln für ihr Start-up kassierte Karin Heinzl bei der Berliner Senatsverwaltung eine Absage. Die damals 32-Jährige hatte 2015 den Plan, ein professionelles Mentoringprogramm für Frauen zu initiieren. Mentoring? Für Frauen? Das erschien der Behörde zu abwegig.

Nur sechs Jahre später ist das von Heinzl gegründete Unternehmen MentorMe eigenen Angaben zufolge das größte berufliche Mentoringprogramm für Frauen in Deutschland. Es vermittelt weibliche Mentees und mehr als 1.500 ehrenamtliche Mentor*innen in allen Berufsfeldern. Mentoring, dass also eine erfahrene Person ihr Wissen an eine unerfahrene Person weitergibt, wurde schon in Homers „Odyssee“ beschrieben. Es führte in Deutschland lange Zeit ein Schattendasein. „Heute ist Mentoring sexy“, sagt die Unternehmerin aus Österreich. „Die, die klug sind, wollen Mentoring nutzen oder tun es bereits.“ Für den Imagewandel hätten unter anderem prominente Befürworter*innen wie die US-Unternehmerin Sheryl Sandberg gesorgt, die in ihrem 2013 erschienenen Buch „Lean In“ Mentoring als Karrieretreiber empfiehlt.

Mentoring als ein effektiver Baustein in der beruflichen Weiterentwicklung ist mittlerweile in der Breite anerkannt und etabliert, auch in der Kommunikationsbranche. Ob Berufsverbände wie die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) oder Hochschulen wie die Quadriga Hochschule Berlin – kaum eine Institution kommt noch ohne ein Mentoringprogramm aus. Natürlich geht es dabei auch um Marketing. Darum, Personen an eine Organisation zu binden und Netzwerke aufzubauen. Auch immer mehr Unternehmen springen auf den Zug auf, der durch die Coronakrise weiter Fahrt aufgenommen hat.

In den vergangenen Monaten verzeichnete Heinzl ein gesteigertes Interesse. Zum einen von Menschen, die ihren Job infolge der Krise verloren haben und nicht untätig sein wollten, während der Arbeitsmarkt eingefroren war. Zum anderen dient Mentoring vielen als Ersatz für den persönlichen Kontakt zu Kolleg*innen. „All die persönlichen Gespräche auf dem Flur oder beim gemeinsamen Mittagessen, bei denen man sich ja auch gegenseitig unterstützt und die für die berufliche Weiterentwicklung wichtig sind, fielen weg“, erklärt Heinzl.

Ein Punkt, den auch Sabrina Winter im Gespräch betont. Die 42-Jährige leitet bei dem US-Bezahldienstleister Paypal die Unternehmenskommunikation in Europa. Die Wahl-Berlinerin und Mentorin schätzt den persönlichen Kon takt mit ihren Mentees, der seit Beginn der Pandemie nur noch telefonisch oder virtuell stattfindet. Für eine Kollegin aus dem Marketing, die sie seit 2019 betreut, war der feste Kontakt ein Segen. Diese habe zunächst Schwierigkeiten gehabt, sich auf das Arbeiten von zu Hause einzustellen, erinnert sich Winter. Es waren ganz einfache Dinge. „Zum Beispiel: Wie schalte ich abends ab?“ Die Kommunikatorin war da, hörte zu und unterstützte ihre Mentee: „Anfangs haben wir wöchentlich telefoniert, später sind wir zu unserem monatlichen Rhythmus zurückgekehrt.“

Wie Karin Heinzl spricht auch Winter von fehlender Unterstützung in ihren ersten Berufsjahren – und von Diskriminierung. Sie erinnert sich an eine Zeit, in der mehrere Kolleginnen schwanger wurden und sie auf einmal ebenfalls unter Beobachtung stand. Der Hinweis erreichte sie über den Flurfunk. Zudem habe sie beobachtet, dass es Männern leichter als Frauen falle, Netzwerke zu bilden. Sie hätten weniger Hemmungen, auf jemanden zuzugehen und um Rat zu fragen. In einem US-amerikanischen Unternehmen wie Paypal, in dem der berufliche Erfolg auch stark von Beziehungen abhängt, ist das ein Vorteil. Und für Winter ein Grund, Frauen zu fördern.

Gestiegene Wertschätzung

Sie hat sich der Initiative „Global Women in PR Deutschland“ angeschlossen, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 2018 der Frauenförderung in der Kommunikationsbranche verschrieben hat. Das Mentoringprogramm ist ein wichtiges Element, um mehr weibliche PR-Fachkräfte in Führungspositionen zu bringen.

Seit Anfang des Jahres ist Susanne Marell, Geschäftsführerin der Agentur Hill+Knowlton, dafür verantwortlich. Sie kennt viele der rund 300 Mitglieder persönlich und bringt die Tandems nach Gespür und mit Hilfe eines Fragebogens zusammen. Mentoring habe in den vergangenen zehn Jahren eine größere Wertschätzung erfahren, sagt Marell: „Es ist ähnlich wie beim Coaching: Früher wurde die Aussage ‚Lass dich doch mal coachen‘ wie eine Strafe aufgefasst. Heute ist es sehr anerkannt, wenn jemand nicht alles mit sich selbst ausmacht, sondern externe Reflexion sucht.“

Karriereentwicklung und Konfliktmanagement sind wichtige Aspekte des GWPR-Mentoringprogramms. Daneben spielen Fragen rund um die Cluster Netzwerken und Positionierung eine Rolle. Und auch das „Tabuthema Familienplanung“, wie Winter es nennt, oder generell die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da beide Seiten des Tandems aus verschiedenen Unternehmen kommen, profitieren sie auch von externen Impulsen, in Corona-Zeiten mehr als zuvor. Winter jedenfalls freut sich, aus ihrer „amerikanischen Bubble“ herauszukommen.

Über Susanne Marell ist sie vor Kurzem mit Kristina Hausmann zusammengekommen, die in der Unternehmenskommunikation des Chemiekonzerns BASF arbeitet. Ihr Arbeitgeber, bei dem sie nach ihrem Studium vor sieben Jahren eingestiegen ist, bietet verschiedene Mentoringprogramme an. Doch Hausmann fand wie Winter die Perspektive von außerhalb des eigenen Unternehmens reizvoll. „Schon der Austausch darüber, mit welchen Themen wir uns gerade beschäftigen, wie wir bestimmte Dinge angehen oder auch welche Podcasts wir hören, ist sehr inspirierend“, sagt die 32-Jährige. Von dem Mentoring verspricht sie sich aber vor allem eine Perspektive auf mehr Verantwortung im Job. Dazu gehört der Impuls zur Selbstreflexion: „Mit einer erfahrenen Person zu spiegeln, wie nehme ich mich wahr, welche Ziele habe ich – das eröffnet mit einer Mentorin, die nicht aus dem gleichen Unternehmen stammt, noch einmal ganz andere Sichtweisen“, sagt sie. Umgekehrt profitiert Winter, die in ihrem Team eine Mitarbeiterin in Hausmanns Alter hat, von den Gesprächen auf fast freundschaftlicher Ebene.

Alte Muster durchbrechen

Warum muss es aber eine Mentorin sein? Argumente gibt es auch für einen Mann. Karin Heinzl weist darauf hin, dass männliche Mentoren die versteckten Regeln, die es insbesondere in männerdominierten Berufen gebe, oft kennen würden. „Es ist bekannt, dass Männer häufiger berufliche Seilschaften haben und eher männliche Mentees fördern als weibliche. Um das zu durchbrechen, ist es nur klug, wenn man einen Mann als Mentor hat, der im besten Fall nicht nur Wissen weitergibt, sondern einen auch im Sinne dieser Seilschaft mitzieht und sponsert“, sagt die Expertin, die früher im internationalen PR- und Politik-Bereich tätig war. Zudem könne es wertvoll sein, eigene Arbeits- und Verhaltensweisen vom anderen Geschlecht gespiegelt zu bekommen. „Frauen tendieren eher zu einer kooperativen Arbeitsweise, sie wollen im Team erfolgreich sein. Männer neigen tendenziell zu einer leistungsorientierten Arbeitsweise. Wenn eine Frau beruflich vorankommen möchte, kann es nützlich sein, von der anderen Perspektive zu lernen.“

Kristina Hausmann ist überzeugt davon, dass sie von einem männlichen und weiblichen Mentor viel lernen könnte. „Ich denke prinzipiell, dass man von unterschiedlichen Sichtweisen profitiert. Nehmen wir das Thema Familie und Beruf: Findet es nur bei Frauen statt, wird die Verantwortung auch bei ihnen geparkt. Deshalb sollte dieses Thema in gemischten Gruppen diskutiert werden.“

Bei ihrer Partnerschaft mit Sabrina Winter geht es eher darum, von den Erfahrungen ihrer Mentorin zu lernen, also Situationen zu reflektieren, in denen die Paypal-Kommunikatorin ebenfalls gewesen ist, und zu besprechen, was ihrer Mentorin in dem Moment geholfen hat. Am Ende geht es um gegenseitige Bestärkung. Eine Kollegin, so erzählt es Winter, sei kürzlich befördert worden und scherzte, der Grund sei wohl, dass sie die Quote erfüllen müsse. Solange die Beförderung einer Frau als nicht natürlich wahrgenommen werde, sei ein rein weibliches Mentoringprogramm notwendig.

Wie lange ihre Partnerschaft mit Kristina Hausmann dauern wird, ist offen. Grundsätzlich ist sie auf ein Jahr ausgelegt. Doch das halten Mentorin und Mentee gleichermaßen für zu kurz. Winter wünscht sich, auch mittel- und langfristige Fortschritte und die Karriere ihrer Mentees beobachten zu dürfen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Berufsbild. Das Heft können Sie hier bestellen.