Warum Otto seine Kommunikation neu aufgestellt hat

Beratung

Martin Frommhold war mit den Ergebnissen der von ihm geleiteten Kommunikationsabteilung nicht mehr zufrieden. Der Division Manager Corporate Communications des Handelsunternehmens Otto sah Verbesserungspotenzial, obwohl dessen Kommunikation eigentlich einen hervorragenden Ruf genießt. Sowohl im Bereich Social Media, bei der Positionierung zu gesellschaftlichen Fragen als auch beim Thema Newsroom ist Otto ein gern genommener Case. „Es war nicht so, dass wir hier auf der Intensivstation gelegen haben. Wir kommen von einem sehr guten Niveau. Dieses Niveau wollen wir perspektivisch weiter ausbauen. Ich bin lieber vor der Welle, als irgendwann in der Welle zu verschwinden“, erklärt Frommhold.

Ende Juli verschickte das Unternehmen eine Pressemitteilung: „Otto-Kommunikation stellt sich neu auf“, lautete der Titel. Herausgekommen ist bei der Neuaufstellung eine Struktur, die auf den ersten Blick von dem abweicht, was sich in den vergangenen Jahren als vermeintlicher Königsweg in deutschen Firmen etabliert zu haben schien: dass die häufig beschworenen Silos abgebaut werden, Teams themenorientiert arbeiten und Mitarbeitende Content für verschiedene Kanäle aufbereiten. Hierarchien sollten flach sein, Abteilungsgrenzen verschwimmen. Ein Newsroom steuert die Kommunikation.

Otto hat seine Unternehmenskommunikation – genannt OTTOCOMMS – jetzt in zwei Teams geteilt. Es wird eine Grenze eingezogen. Es gibt zum einen die Abteilung „Now“, die unter Leitung von Ingo Bertram vorrangig für das Operative verantwortlich sein soll, zum anderen den Bereich „Next“, in dem mittel- und langfristige Strategie- und Positionierungsaufgaben angesiedelt sind. Sandra Backes führt dieses Team. Die Leitung der Kommunikationsabteilung bleibt in den Händen von Frommhold.

Warum diese Neuaufstellung?

Der Kommunikationschef zeigt sich im Gespräch selbstkritisch. „Vor allem in der externen Kommunikation haben wir in der Coronazeit nachgelassen. Uns ist es nicht mehr gut gelungen, Themen, zu denen wir sprachfähig sind, aktiv zu besetzen. Oft haben uns Medien nicht mehr gefragt“, sagt er. Die nachlassenden Ergebnisse lassen sich anhand von Kennziffern nachweisen. Es ist also mehr als ein Bauchgefühl.

War mit den Ergebnissen der von ihm geleiteten Kommunikationsabteilung nicht mehr zufrieden: Otto-Kommunikationschef Martin Frommhold. © Otto

War mit den Ergebnissen der von ihm geleiteten Kommunikationsabteilung nicht mehr zufrieden: Otto-Kommunikationschef Martin Frommhold. © Otto

Zusätzlich sei das Team gewachsen. Sieben neue Mitarbeitende verstärkten Bereiche wie Data Science, Mediendesign, Social Media und die B2B-Kommunikation. Die neuen Teammitglieder zu integrieren, sei in der Coronaphase nicht einfach gewesen. Alle 25 Kolleg*innen berichteten bisher an Frommhold. „Aufgrund der Themenspreizung und der vielen Köpfe konnte ich irgendwann nicht mehr der Sparringspartner sein, der ich für mein Team vorher immer gewesen bin. Ich wurde meinem eigenen Qualitätsanspruch nicht mehr gerecht“, sagt er.

Die neue Struktur soll wieder mehr Nähe zwischen dem Team und den Führungskräften herstellen. Die Verantwortung wurde bewusst auf mehrere Schultern verteilt. Frommhold will sich selbst ein Stück weit aus dem Tagesgeschäft rausziehen und noch stärker strategisch arbeiten. „Es ist einfach ein Unterschied, ob Sie neben Tagesgeschäft und strategischer Ausrichtung noch ein Team von 25 Menschen leiten oder ob Sie es mit neun bis zehn Personen zu tun haben.“ Der Kommunikationschef bleibt Ansprechpartner, nicht nur für den Vorstand. Aber das Tagesgeschäft liegt überwiegend bei den beiden Abteilungsleitern.

Auch die sich verändernde Medienlandschaft hat die Neuaufstellung notwendig gemacht. Mit etwa 6.000 Angestellten und mehr als sechs Milliarden Euro Jahresumsatz ist Otto zwar ein großer Mittelständler und eine bekannte Marke mit reichlich Tradition, aber eben kein börsennotiertes Dax-Unternehmen. „Mittelständischen Unternehmen und Non-Love-Brands fehlen oft Themen und Schlagkraft, um bei den etablierten Medien überhaupt noch die Wahrnehmungsgrenze zu durchdringen“, erklärt Frommhold.

Dass der Mutterkonzern Otto Group nicht nur ähnlich heißt, sondern mit seinen zig Marken und der Anbindung an die Gründerfamilie auch die Aufmerksamkeit in der Wirtschaftsberichterstattung auf sich zieht, ist dabei nicht hilfreich.

Externe Beratung

Wie geht man einen Strukturfindungsprozess an, wenn es recht gut läuft? Was sollte am Ende stehen? „Für uns war klar: Wir richten uns für die Zukunft aus“, sagt Frommhold. Einen Masterplan für das „Wie“ hatten er und sein Team nicht im Kopf. Fest stand das „Was“ – zum Beispiel dass Otto im Agenda Setting und Agenda Surfing stärker werden will. Im Bereich Messbarkeit will man deutlich zulegen – auch um die Legitimation von PR-Arbeit intern zu unterstreichen. Am Ende soll eine intensivere und hochwertigere Berichterstattung stehen. Auch Owned Media dürften für Otto künftig noch wichtiger werden.

Für die Entwicklung des neuen Abteilungsaufbaus und der Prozesse holte sich Otto mit fischerAppelt, advisors einen externen Partner an Bord. Offizieller Startschuss war ein Workshop im Mai 2022 an der Ostsee. Die gesamte Kommunikation sollte auf den Prüfstand kommen. Die Vorgabe von Otto: Bitte nicht schonen! Genau hingucken und Schwächen aufdecken. „Wie können wir uns Trends erschließen? Wie sehen Formate für Next Storytelling aus? Wie catchy sind unsere Pressemitteilungen? Wie können wir sie über Sonderformate anreichern? Wie ist der Newsroom ausgerichtet? In welcher Frequenz ist es sinnstiftend, mit Podcasts rauszugehen?“, fasst Frommhold die Analysefelder zusammen.


Timing

Mai 2022
Briefing und Kick-off; anschließend Analyse-Phase inklusive Einzelinterviews mit Teammitgliedern

Ende Juni 2022
Team-Workshop „Analyse“

Q3/22
Entwicklung B2B-Strategie

August 2022
Finale Analyse

Oktober 2022
Projektteam-Workshop „Strategische Empfehlungen“; im Anschluss finale Empfehlungen

Q4/22–Q1/23
Maßnahmenumsetzung

Q1/23
Entwicklung Organigramm, Rollen/Aufgaben und Workflow

Q2/23
Implementierung


Das Team um fischerAppelt, advisors-Geschäftsführer Birand Bingül schaute sich anfangs vor allem an, was bereits vorhanden war. „Wir haben bei Otto eine starke Aktualität und sehr viele Ausspielkanäle vorgefunden – auch nach intern. Geschichten waren kleinteilig und Porträts über Mitarbeiter liebevoll geschrieben – wie bei einer Zeitung“, sagt Bingül, der 2022 aus der ARD-Kommunikation zu fischerAppelt kam. Gesellschaftspolitische Fragen seien überbetont worden. Bei businessnahen Themen und in der Datenkommunikation war das Potenzial längst nicht ausgereizt. „Otto hat etwa elf Millionen Kunden in Deutschland. Als Otto kann man sagen, wie Deutschland einkauft“, so Bingül.

Insgesamt habe man bei Otto eine vornehme norddeutsche Zurückhaltung in der externen Kommunikation vorgefunden. Festmachen lässt sich das beispielsweise daran, dass zwischen Anfang April bis Ende Juli lediglich vier Pressemitteilungen auf der Website stehen – eine für Unternehmen dieser Größe geringe Zahl. Frommhold störte aber etwas anderes: „Wir haben oft nicht zielgruppenscharf, sondern breit ausgespielt, was uns weniger Erfolg gebracht hat.“ Die direkte Ansprache von Journalisten will er deutlich verstärken. Auch Regionalmedien sollen wieder eine größere Rolle spielen. Hinzu kommt mehr Exklusivität.

Für Berater Bingül stand früh fest: Die Struktur muss sich ändern. „Es war klar, dass wir ein Steuerungselement benötigen, das mit der Aktualität umgeht, und ein weiteres, das sich darauf fokussiert, was künftig kommt.“ Die neue Struktur mit „Now“ und „Next“ soll jetzt so angelegt sein, eine Highlight-Kommunikation über das gesamte Unternehmen hinweg umsetzen zu können. Davon verspricht sich die Kommunikationsabteilung, medial besser durchzudringen.

Jedes der 25 Teammitglieder ist einer der beiden Abteilungen zugeordnet. Zu „Now“ gehören unter anderem News, Content & Research, die Content-Erstellung, Media Relations, Social Media und die Datenrecherche. „Next“ umfasst die strategische Kommunikations- und Kanalplanung sowie die Kommunikationsberatung und Vorstandspositionierung.

Die neue Struktur von OTTOCOMMS: Die Steering Group (rot) besteht aus fünf Personen plus eine Assistenzstelle. (c) Otto

Die neue Struktur von OTTOCOMMS: Die Steering Group (rot) besteht aus fünf Personen plus eine Assistenzstelle. Klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrößern. © Otto

Klingt das nicht nach Premium-Aufgaben? Und davon abgetrennt ist der operative Rest? So soll es nicht verstanden werden. „Es gehört zu unseren Prämissen bei OTTOCOMMS, gar nicht erst zuzulassen, dass sich Silos bilden“, betont Frommhold. „Wir sind der Meinung, das ausgeschlossen zu haben, indem wir sehr starke inhaltliche Verschränkungen zwischen den Teams herstellen. Das eine Team kann ohne das andere kaum arbeiten – und das eben auch im operativen Tagesgeschäft.“

Jeden Morgen findet ein Stand-up-Meeting statt, in dem über anstehende Themen und Aufgaben gesprochen wird. Die Abteilungsleitungen kommen mindestens zweimal in der Woche zusammen. Räumlich sitzt das gesamte Team wie bisher auf einer großen Fläche im Otto Campus zusammen. Neu ist dagegen ein Steuerungskreis, der aus Frommhold, den beiden Abteilungsleitern, einer Datenanalystin und der Chefin vom Dienst besteht.

Zukunft der Unternehmenskommunikation

Wie bewertet fischerAppelt aus Beratersicht das Projekt? „Wir haben die interessante Situation vorgefunden, einen Kommunikationsbereich zu prüfen, der bundesweit im Ruf steht, eine gute Arbeit zu machen“, erklärt Bingül. „Aus der Position zu starten und sich zu fragen, was künftig noch geht und was die Zukunft der Unternehmenskommunikation sein könnte, war reizvoll. Wir standen nicht unter dem Druck, dass reaktiv etwas ganz schnell passieren muss. Es gab Raum für aktive Gestaltung.“ Die Otto-Kommunikationsabteilung habe sich selbst gut einschätzen können. „Social-Media- und Medienresonanzanalysen gab es bereits. Das hatte alles schon ein ansprechendes Niveau“, so Bingül.

Seine Aufgabe habe auch darin bestanden, zu schauen, was OTTOCOMMS nicht macht. Als Endprodukt stand dann eine Analyse mit rund 140 Slides und Empfehlungen auf 70 Slides. Es fanden diverse Workshops mit dem Projektteam statt, in denen auch Best Practices aus anderen Unternehmen vorgestellt wurden. Zusätzlich stellte sich die Frage, wie und wann die neue Struktur umgesetzt und eingeführt werden soll. Alles musste während des laufenden Betriebs erfolgen. Im Oktober will Otto evaluieren, wie es läuft.

Fand zu Beginn des Change-Projekts „schon ein ansprechendes Niveau“ vor: Berater Birand Bingül, Geschäftsführer von fischerAppelt, advisors. © fischerAppelt

Fand zu Beginn des Change-Projekts „schon ein ansprechendes Niveau“ vor: Berater Birand Bingül, Geschäftsführer von fischerAppelt, advisors. © fischerAppelt

Frommhold ist es wichtig zu betonen, dass es gelungen sei, das gesamte Team zu beteiligen: „Wir haben den Prozess sehr partizipativ angelegt.“ Eine Vorgabe der Berater: Jedes Teammitglied musste sich 23 Prozent seiner Zeit freiräumen, um sich Neuem widmen zu können. „Wir haben in Birand oft den Kunden gesehen: den Journalisten. Was erwartet der von Otto?“ Sich allein zu verändern, sei nur begrenzt möglich.

Einiges wurde allerdings nicht angetastet. Es war keine Option, das Team zu verkleinern. fischerAppelt hat Otto im Gegenzug nicht vorgeschlagen, neue Stellen aufzubauen, um Defizite zu beheben – eine denkbar einfache Lösung. Die Stellenprofile haben sich sehr wohl verändert, so dass sich Teammitglieder intern bewerben mussten – auch die beiden Abteilungsleiter. Kommunikation und Marketing zusammenzulegen, wie es andere Firmen gemacht haben, kam jedenfalls nie in Frage.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Beratung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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