Vertrauensschaden ohne Konsequenzen

Impfstoff von AstraZeneca

Der Impfstoff von AstraZeneca zum Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung wird vermutlich nicht mehr die Herzen der Menschen in Deutschland erobern. Nachdem die Bundesregierung am Montag beschlossen hatte, die Impfungen auszusetzen, um zu untersuchen, inwieweit der Impfstoff zur Entstehung von Thrombosen beiträgt, gab es gestern Entwarnung. Die Europäische Arzneimittelbehörde Ema empfiehlt weiterhin die Verwendung des Impfstoffs. Impflinge sollen allerdings ab sofort auf Hirnvenen-Thrombosen als eine mögliche Nebenwirkung hingewiesen werden. Insgesamt überwiege der Nutzen des Impfstoffs gegenüber möglichen Risiken.

„Man muss leider davon ausgehen, dass der Vertrauensverlust immens ist“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Constanze Rossmann in der „Süddeutschen Zeitung“. Das Vertrauen in ein Produkt, eine Marke oder ein Unternehmen lässt sich mit Hilfe von Umfragen messen. Vertrauen sagt aber nichts darüber aus, inwieweit ein Produkt oder eine Dienstleistung nachgefragt wird. Aufgrund des Ausmaßes des Betrugs hätte nach dem Dieselskandal für einige Zeit niemand mehr ein Diesel-Fahrzeug von Volkswagen kaufen dürfen. So war es aber nicht. Bei Tönnies gab es im vergangenen Sommer mehr als 2.000 Infektionen mit dem Coronavirus und dazu unzählige Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und miese Unterbringungen. Gekauft wurden Produkte trotzdem, in denen das Fleisch enthalten ist. Die Fluglinie Ryanair steht für billig. Klagen über schlechten Service gibt es ohne Ende. Es lassen sich sogar Medienberichte finden, das bei der Betankung mit Kerosin eher knapp kalkuliert wird. Passagiere steigen trotzdem weiter ein.

Geringere Wirksamkeit

Fakt ist: Der Impfstoff von AstraZeneca ist weniger begehrt als der Impfstoff von Biontech/Pfizer und der von Moderna. Das hat einen objektiven Grund: Die durchschnittliche Wirksamkeit ist geringer. Das Unternehmen hat sie mit 70 Prozent angegeben, während Biontech/Pfizer und Moderna bei über 90 Prozent liegen.

Zusätzlich hat AstraZeneca einiges zum angeschlagenen Ruf beigetragen. Auf Laien wirkte es irritierend, dass in der Pressemitteilung zur Bekanntgabe der Studiendaten steht, die Gabe einer halben Dosis bei der ersten Impfung und eine volle Dosis bei der zweiten führe zu einer höheren Wirksamkeit als die Gabe von zwei vollen Dosen. Derartige Zufallstreffer kommen bei medizinischen Studien öfter vor. Man muss es nur schlüssig erklären. Bei der Wirksamkeit geisterten lange Zahlen von 62, 70 und 90 Prozent durch die Medien. Der Ruf, besonders günstig zu sein, ist für einen Impfstoff wenig förderlich. Streitigkeiten mit der EU, wenig emphatische Äußerungen des Konzernchefs Pascal Soriot, Lieferschwierigkeiten und der Verdacht, andere Länder eher bedienen zu wollen als die Europäische Union, taten ihr Übriges. Auch heißt es, der Impfstoff sei gegen Mutationen deutlich weniger wirksam als gegen den so genannten Wildtyp des Virus; und er sei weniger wirksam als die mRNA-Impfstoffe der Konkurrenz.

Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), den AstraZeneca-Impfstoff nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren einzusetzen, zerstörte weiteres Vertrauen. Für ältere Menschen mangelte es anfangs an Studiendaten. Die STIKO hat ihre Empfehlung inzwischen geändert. Experten wie Karl Lauterbach und Christian Drosten empfehlen den Impfstoff nachdrücklich. Das wirkt auf viele wiederum wie ein Prüfsiegel, genauso wie, dass sich Politiker:innen damit impfen lassen wollen.

Was ist überhaupt die Konsequenz des Mangels an Vertrauen in den Impfstoff? Aufgrund des Mangels an Impfstoff insgesamt gibt es keine.

Eine aktuelle Forsa-Umfrage für RTL und ntv zeigt: 71 Prozent wollen sich weiterhin gegen das Coronavirus impfen lassen; 63 Prozent mit dem Impfstoff von AstraZeneca. Die Zahlen sind wenig überraschend. Die Neuinfektionen steigen schnell, so dass sich das Risiko erhöht, mit dem Virus zu infizieren. Und: Die Angst nimmt zu.

Die Menge der verfügbaren Impfstoffe wird noch für weitere Monate knapp bleiben. Das Vakzin von AstraZeneca ist für Millionen von Menschen aktuell der einzige Weg, um überhaupt geimpft zu werden. Wer sich Optionen offenhalten will und zum Beispiel auf Biontech hofft, muss warten. Wie lange weiß niemand so genau. Das Aussetzen der Impfungen dürfte dazu führen, dass bei AstraZeneca noch mehr Menschen für sich eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen und das Risiko gegen einen möglichen Schaden durch eine Covid-19-Erkrankung abwägen. Aufgrund der bisher geringen Zahl an gemeldeten Thrombosen dürfte für die Mehrheit die Entscheidung klar sein: sich impfen lassen.

Nachfrage erhöhen

Wichtig ist vor allem, dass nicht wie vor einigen Wochen Millionen Dosen des Impfstoffs in den Kühlschränken liegen bleiben. Wenn sich wider Erwarten viele Menschen entscheiden sollten, ein Impfangebot mit AstraZeneca abzulehnen, hätte die Bundesregierung immer noch die Möglichkeit, die Nachfrage kurzfristig anzukurbeln. Sie müsste dafür lediglich die Impfpriorisierungsgruppen öffnen oder sie bei AstraZeneca komplett aufheben. Spätestens bei „first come, first served“ dürfte ein Run Impfwilliger einsetzen.

Die Frage, ob es gelingt, die für eine Herdenimmunität notwendigen 65 bis 70 Prozent der Menschen zu impfen, lässt sich erst beantworten, wenn genügend Impfstoff für alle vorhanden sind. Das dürfte vermutlich Ende des Sommers der Fall sein. Dann wird sich entscheiden, ob insbesondere jüngere Menschen, für die das Risiko schwer zu erkranken deutlich geringer ist als für ältere, sich impfen lassen werden. Trotz der aktuell positiven Umfragen zur Impfbereitschaft ist das keineswegs sicher. Wenn die Infektionszahlen zurückgehen, dürfte auch das Interesse abnehmen, sich impfen zu lassen.

Insgesamt 56,3 Millionen Impfdosen soll Deutschland nach Angaben der Bundesregierung von AstraZeneca erhalten. Die im Vergleich zur Konkurrenz geringere Wirksamkeit und das schlechte Image des Impfstoffs könnte für den Hersteller dann zu einem Problem werden, sobald man aus mehreren Impfstoffen auswählen kann. Dann könnte AstraZeneca zum Ladenhüter werden. Es ist davon auszugehen, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist.

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