Social Web und Sammelbüchse

Die neue Spenderkommmunikation

Ein trüber Donnerstagmorgen in Berlin. Es ist halb neun, alle Plätze in der S-Bahn sind besetzt, die Menschen auf dem Weg zur Arbeit. An der Station Zoologischer Garten tritt ein junger Mann ein und bittet um eine kleine Spende. So einer mal wieder. Die Augen einiger Fahrgäste bleiben verschlossen, die der anderen fest auf Zeitung oder Smartphone geheftet. Der Zugestiegene steht im Gang und beginnt zu erzählen. Warum er heute noch keine Obdachlosenzeitungen dabei hat, und dass ihm das leidtut. Wie Schicksalsschläge und Krankheit ihn auf die Straße gebracht haben. Er wisse nicht, was die Zukunft bringt. Doch es werde schon irgendwann wieder besser, sicherlich. Heute, an diesem kalten und regnerischen Tag, würde er sich einfach nur wünschen, dass er genug Geld zusammenbekäme, um sich zum Frühstück ein Brötchen zu kaufen – und einen Becher heißen Kakao.

Als erstes öffnet ein Anzugträger sein Portemonnaie und drückt ihm eine Münze in die Hand, dann eine junge Mutter. Insgesamt fünf Menschen in diesem Waggon zücken ihre Brieftaschen – keine schlechte Bilanz für einen grauen Berliner Morgen.

Spender werden immer kritischer

Nun erscheint der Vergleich zwischen einem Notleidenden, der Geld für eine Mahlzeit sammelt und einer Organisation, die sich übergeordnet für die gute Sache stark macht, vielleicht holprig. Dennoch funktionieren einige Mechanismen ähnlich: Damit Menschen zuhören, Anteil nehmen und bereit sind, etwas zu geben, braucht es eine Geschichte, die berührt und eine klare Botschaft, was genau mit der Spende passieren soll.

Das weiß auch Jochen ­Hövekenmeier, Pressereferent bei der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) in Würzburg. Schon als Messdiener sammelte er Spenden für den Verein, dessen Kürzel sich von der ehemaligen Bezeichnung „Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk“ ableitet. Heute versucht er andere Menschen via Pressearbeit von dessen gutem Zweck zu überzeugen. Seine Beobachtung: „Es gibt viele Menschen, die immer kritischer werden. Für die muss man absolut gläsern sein, sie am besten dazu einladen, vorbeizukommen und in die Bücher zu schauen.“ Sie erwarteten interne Kontrollen und dass NGOs in ihren Jahresberichten offen zugeben, wenn etwas schiefgelaufen ist.

Woher kommt diese Skepsis? Der DAHW-Sprecher macht nicht zuletzt die Flut an „Bettelbriefen“ verschiedenster Organisationen dafür verantwortlich, also klassische Mailings, die jahrelang an riesige Verteiler geschickt wurden. „Bei Bestandsspendern funktionieren solche Briefe. Diese haben Sympathie für die Organisation, brauchen aber von Zeit zu Zeit eine Erinnerung, beispielsweise ein Mailing, in dem steht, was mit ihrer letzten Spenden bewirkt wurde“, sagt ­Hövekenmeier. „Aber potenzielle Neuspender, die auf 60 Verteilern gelistet sind, werden schnell ­genervt sein.“

Auf eine solche Massenansprache gilt es zu verzichten. Die Rechnung ist eine einfache: Werden nur Einzelspender angeworben, sind die Kosten für das Fundraising im Vergleich zu Dauerspendern überproportional hoch. Und mehr Geld für Kommunikation auszugeben, heißt, dass weniger im Projekt ankommt. Für die DAHW kommt das nicht in Frage. „Wir ­haben den Anspruch, dass 80 Prozent der Summe ankommt, das können wir fast immer einhalten.“

„Wenn Sie Spender fragen, was ihnen wichtig ist, ist die Antwort häufig Transparenz. Sie wollen genau wissen, was mit ihrem Spenden­euro passiert“, sagt Björn Lampe. Seit fünf Jahren leitet er das Team Projekte und Organisationen bei der Internet-Spendenplattform betterplace.org, auf der soziale Projekte weltweit kostenlos Geld- und Zeitspenden sammeln können. Zwar müssen Details nicht immer verfolgt werden, dennoch sei es wichtig, sie offen zu kommunizieren: „Organisationen, die das nicht anbieten, werden Probleme bekommen.“

Eine alternde Zielgruppe

Im Jahr 2014 spendeten Privatleute in Deutschland laut dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen 6,4 Milliarden Euro für gemeinnützige Zwecke. Während die Zahl der Geber in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben ist, hat sich die Gesamtsumme erhöht. 33 Prozent der Menschen ab zehn Jahren leisteten hierzulande mindestens eine Geldspende. Vergleicht man die Spendenzwecke, liegt die Kategorie der Humanitären Hilfe mit 79 Prozent ganz klar vorn. 5,7 Prozent der Spender investierten in den Tierschutz, mit je unter drei Prozent folgen Kultur- und Denkmalpflege, Umweltschutz sowie Sport.

Als Vorteil der „etwas exotischeren Themen“ mit der sich die DAHW befasst, sieht Hövekenmeier deren große Zahl treuer Stammspender. „Das sind Menschen, die wirklich noch Notzeiten erlebt haben, die wissen was es heißt, in Armut aufgewachsen zu sein.“ Das bedeutet allerdings auch: „Man kann heute schon ausrechnen, wann unsere Stammspender uns kein Geld mehr spenden können. Wir müssen Konzepte finden, um neue zu gewinnen.“

Von gestern sind der klassische Spenderbrief und der Stand in der Fußgängerzone noch nicht, darin sind sich Hövekenmeier und Lampe einig. Allerdings gehen Lampe zufolge die Erfolge, die mit den Briefen erzielt werden, massiv zurück. Viele Organisationen hätten inzwischen große Probleme, insbesondere die Generation unter 40 erreiche man damit kaum noch. „Gerade viele der Jüngeren schauen einen verblüfft an, wenn sie so einen Brief mit Überweisungsträger sehen – so ­etwas ­kennen die gar nicht mehr.“

Eine Investition in die Zukunft

Doch viele Organisationen müssen die junge Generation überhaupt erst einmal als Zielgruppe begreifen. Nach wie vor liegt die Generation 60 plus, was die Bereitschaft zum Spenden betrifft, ganz vorn, die Jüngeren wurden bisher vernachlässigt. Laut Lampe auch deshalb, weil Menschen zwischen 20 und 30 meist in ihre Ausbildung oder Familienplanung investieren und wenig Geld übrig haben. Allerdings sei es sinnvoll, Menschen früh an die Organisation zu binden, auch wenn das Spendenvolumen anfangs vielleicht noch knapp bemessen ist. Haben diese irgendwann mehr Geld zur Verfügung, so das Kalkül, werden sie dieses der vertrauten Organisation spenden.

Je mehr sich die Erkenntnis durchsetzt, desto bewusster wird den Kommunikatoren und Fundraisern die Bedeutung digitaler Kommunikation. Als Positivbeispiel nennt Lampe die Hamburger Trinkwasserorganisation Viva con Agua, die es geschafft habe, eine sehr junge Zielgruppe zu erreichen. Der Verein führt eine zielgruppen­gerechte ­Social-Media-Kommunikation mit Offline-Aktionen zusammen. Online angekündigte Events wie Spendenläufe oder Festivals finden gerade bei Unter-30-Jährigen großen Zulauf, die Zahl der ehrenamtlichen Helfer liegt inzwischen bei über 6.000.

Eine große Zäsur

„Die neuen Spender, die wir jetzt erreichen wollen und müssen, erreichen wir im Netz“, sagt Jochen Hövekenmeier. Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, hat es in der Kommunikation der DAHW im vergangenen Jahr auch strukturell eine Zäsur gegeben. Mit dem Umzug in ein anderes Gebäude erreichten Hövekenmeier und seine Kollegen einen Meilenstein in Prozess, der bereits vor vier Jahren angefangen hatte. Innerhalb der Abteilung ­Öffentlichkeit, bestehend aus 25 Personen, kümmert sich seither ein sechsköpfiges Team um die direkte Spenderkommunikation, also Fragen und Anliegen von Gebern. Dadurch, dass nun alle nah beieinander sitzen, Pressesprecher, Fundraiser, Social-Media-Beauftragte und Koordinatoren des Ehrenamts, sei der Austausch in Bezug auf das gemeinsame Ziel erheblich größer geworden. Ziel sei es, weniger isolierte Aktionen durchzuführen und mehr auf die Spenderbindung zu setzen.

Die veränderten Anforderungen an Spenderkommunikation beziehen sich laut Björn Lampe stärker auf die Erschließung neuer Kanäle als auf die inhaltliche Ansprache. Denn egal ob jung oder alt, gelte: Ich muss den Menschen deutlich machen, warum die Arbeit meiner Organisation eine Relevanz für ihn hat. Für die junge Zielgruppe kann dafür zum Beispiel ein kurzes Video auf Youtube funktionieren. Inzwischen sieht Lampe diesbezüglich „erste Bewegungen“ bei den großen NGOs, wie dem WWF, der in einer Kampagne Youtube-Stars zur Berichterstattung in den Urwald schickte.

Auch in der Kommunikation der Lepra- und Tuberkulosehilfe soll es in Zukunft neben verstärkten Aktivitäten auf Facebook und Twitter mehr Youtube-Videos aus den Projektländern geben. Hier ist die Devise künftig weniger auf Profi-Qualität und stattdessen mehr auf Authentizität zu setzen.

Alle Jahre wieder

Doch so sehr die Spenderkommunikation sich auch im Wandel befindet, auf eine Konstante werden Organisationen wohl immer zählen können: das Weihnachtsgeschäft. Auch die DAHW verzeichnet im Dezember die mit Abstand höchste Spendenrate. „Die Herzen lassen sich zu dieser Zeit einfach eher erweichen“, sagt Hövekenmeier.

Björn Lampe von betterplace.org ist davon überzeugt, dass der letzte Monat des Jahres auch künftig der stärkste bleiben wird. Doch auch hier würden in der Kommunikationsplanung oft Fehler gemacht. Die Spendenwelle steige traditionell bis zum 24. Dezember immer weiter an, über die Feiertage selbst werde es dann ruhiger. „Spannend ist, dass die letzten drei Tage im Dezember aber extrem spendenstark sind. Zum einen haben viele Leute zu Weihnachten Geld bekommen, zum anderen fällt einigen auf, dass sie das Jahr noch nicht gespendet haben, aber eine Bescheinigung benötigen, um Spenden von der Steuer absetzen zu können. Viele Organisationen machen dann allerdings selbst Urlaub, dabei sollten sie in diesem Zeitfenster kommunikativ in ­Aktion treten“, rät er.

Zudem erwartet Lampe, dass Organisationen generell kreativer werden, was die Kommunikation von Anlässen über das Jahr verteilt betrifft. Die DAHW-Öffentlichkeitsarbeit setzt auf die offiziellen Gedenktage Welt-Lepra- und Welt-Tuberkulose-Tag in Januar und März.

Trends im Fundraising

Björn Lampe sieht einen starken Trend darin, dass Fundraising immer mehr an Freunde und Bekannte ausgelagert wird. So seien die klassischen Anlassspenden wieder auf dem Vormarsch, bei denen sich beispielsweise Geburtstagskinder via Online-Plattform statt Geschenken Spenden für einen Zweck ­ihrer Wahl wünschen.

Auch Blogger als Multiplikatoren spielen laut Lampes Prognose künftig eine größere Rolle. In nicht mal zwei Wochen konnte ein Zusammenschluss von Bloggern mit der Aktion „Blogger für Flüchtlinge“ 100.000 Euro sammeln, die dann auf verschiedene Projekte verteilt wurden.

Chancen nutzen, über die weihnachtliche Barmherzigkeit hinaus – darauf bezogen sieht Lampe die weltweite Kampagne „#Giving Tuesday“, als Trend. Diese möchte den jeweils ersten Dienstag im Dezember bei Organisationen, Unternehmen und Privatleuten als Tag des Spendens etablieren.

Grundlage, um solche Instrumente nutzen zu können, sind allerdings Nähe und Emotionalität. Lepra und Tuberkulose sind im Gegensatz zum Hochwasser direkt vor der Haustür weit von der europäischen Lebenswelt entfernt. Was also tun, um Menschen hierzulande an das Thema heranzuführen? Hövekenmeier ist ausgebildeter Journalist, mit Hilfe von Reportagen bringt er die Schicksale der Kranken näher. Vor kurzem hat das DAHW in Würzburg zudem eine Fotoausstellung organisiert. Unter dem Titel „Armut, Krankheit, Stigma“ wurden dort Porträts notleidender Menschen gezeigt. Auch auf Blogs wird über sie berichtet: „Wir ermuntern unsere Kollegen, die vor Ort in den Projektländern sind, selbst aktiv zu werden und etwas über die Lebensrealität zu erzählen, die ihnen begegnet.“ Sie sollen ganz persönliche Eindrücke teilen, ohne von der Presseabteilung bevormundet zu werden.

An welches Gefühl soll man appellieren?

Von Solidarität über Mitleid bis hin zu einem diffusen Gefühl der Verpflichtung: Menschen engagieren sich aus den verschiedensten Gründen. Doch an welches Gefühl sollte man appellieren? Björn Lampe zögert. Man müsse seine Zielgruppe schon sehr genau kennen, um mit ihren Motiven vertraut zu sein. Er empfiehlt einen Testlauf, um das herauszufinden. So könne man Briefe in verschiedenen Versionen verschicken und das jeweilige Feedback auswerten. Als Vorbild nennt Lampe die jährliche Spendenkampagne der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Hier würden in einem Live-Test zwei Varianten veröffentlicht, die Organisation können in Minutenschnelle darauf reagieren, welche Ansprache funktioniert, welches Bild und welcher vorgeschlagene Spendenbetrag am besten aufgenommen werden.

DAHW-Sprecher Jochen Höveken­meier möchte an Menschlichkeit appellieren. ­Daran, Not zu sehen und im eigenen Rahmen etwas dafür zu tun. Nicht jeder sei berufen zu ­großem persönlichen Engagement und ehrenamtlicher Hilfe, aber jeder könne einen ­kleinen Beitrag leisten.

Als Pakistan im Sommer von einer Flutkatastrophe heimgesucht wurde, schilderte Hövekenmeier im Radio persönliche Eindrücke des Landes. Gegen Ende der Sendung bekam er Besuch von einem vierjährigen Jungen. Der hatte an diesem Tag sein Taschengeld bekommen, 50 Cent. Als er im Radio den Spendenaufruf hörte, bat er seinen Vater, ihn zum Sender zu fahren, um den Betrag dort persönlich zu übergeben. Für Hövekenmeier ein besonderer Moment. „Dieser Junge hat in seinem Rahmen mehr getan, als wenn Bill Gates mal wieder eine Milliarde spenden würde.“

Es muss also nicht immer der große Scheck sein. Letztendlich geht es um die Grundhaltung der Menschen, das sollten auch Kommunikatoren im Blick behalten. Und manchmal kann es für den ein oder anderen auch schon reichen, dem Obdachlosen aus der S-Bahn ein Frühstück zu ermöglichen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Haltung – Das Gute kommunizieren. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel