Gamification in der PR

Über den Nutzen des Spiels

­Herr Mazori, was macht die Faszination des Spiels für Sie aus?
Ibrahim Mazari: Das Thema begeistert mich schon seit langem. Als Psychologe weiß ich, wie wichtig Spielen für das Lernen und die Kompetenzentwicklung ist. Ich spiele selbst wahnsinnig gerne, sowohl digital als auch ­analog.

Wie lässt sich Spielen definieren?

Ein Spiel ist ein auf Freiwilligkeit basierendes System, in dem man Dinge ausprobieren kann, ohne eine direkte Auswirkung auf das „reale Leben“ befürchten zu müssen. Als Kinder spielen wir ganz intuitiv, später im Leben kommen institutionalisierte Spiele hinzu, beispielsweise sportliche Wettbewerbe.

Egal ob Fußball, ein Computerspiel oder Schach: Die meisten Menschen können sich stundenlang mit einem Spiel beschäftigen und sind dabei hoch motiviert. Selbst Jugendliche, denen längere Konzentrationsfähigkeit ja oft abgesprochen wird, sind Feuer und Flamme. Wie kommt das?
Das liegt daran, dass die Gestaltung des Spiels sehr eng mit unserer Natur verknüpft ist. Es hat archaische Strukturen, die wir von klein auf gelernt haben. Gamification ist dann wiederum die Übertragung von spielerischen Konzepten in nichtspielerische Umfelder. Diese auf Prozesse aus Marketing, Verkauf und PR zu übertragen, halte ich für eine extrem spannende Entwicklung und für eine, die in Zukunft, gerade im Hinblick auf die neuen Technologien, voranschreiten wird.

Spielen Erwachsene genauso gern wie Kinder? Oft wird das Spielen ja eher dem Infantilen zugeschrieben.
Stimmt, und das ist ein Problem. In Deutschland gibt es einen kulturellen Vorbehalt gegenüber dem Spiel. Im angloamerikanischen und asiatischen Raum ist das überhaupt nicht so, hier ist allen klar: Man spielt, bis man stirbt. Das ist nur eine logische Konsequenz des Prinzips „Lebenslanges Lernen“, denn solange das Gehirn lernt, muss man auch spielen. In Deutschland gibt es allerdings noch immer die bildungsbürgerliche Position, sich „ernsthaft betätigen“ zu wollen und Unterhaltung für Zeitverschwendung zu halten.

Hinkt die hiesige Szene in Sachen Gamification deshalb hinterher?
Deutschland hinkt in Sachen Gamification absolut hinterher. Und das hat sehr viel mit der geschilderten Kultur zu tun. Wobei es in letzter Zeit auch erste Erfolge gibt. Ich erlebe einen Kulturwandel, der darin begründet liegt, dass eine Generation in die Vorstands­etagen hineinwächst, die eine andere Haltung und Sozialisation hat, offener ist für das Spiel.

Was ist der Vorteil, wenn ein Unternehmen den Spieltrieb in den Menschen weckt?
Gamification hat immer zwei Ziele: erstens, die Motivation zu steigern, sich selbst einzubringen, und zweitens, den Zugang zu bestimmten Dingen zu erleichtern. Spielerische Ansätze können die Aufmerksamkeit der Stake­holder auf das Unternehmen lenken. Die Zielgruppe kann aber auch in den eigenen Mitarbeitern bestehen. Im Spiel investieren Menschen Stunden, um ein Problem zu lösen, obwohl sie davon eigentlich gar nichts haben, einfach weil es Spaß macht. Das lässt sich beispielsweise auf Schulungen übertragen. Das Engagement und die Qualität der Arbeit lassen sich durch Gamification steigern.

Apropos interne Kommunikation: „Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als im Gespräch in einem Jahr“, lautet ein Zitat von Platon. Würden Sie zustimmen?
Spannendes Zitat, das hätte ich Platon gar nicht zugetraut. Ich stimme absolut zu. Und das ist eigentlich keine neue Erkenntnis. Nehmen wir die Erlebnispädagogik, deren Prinzipien in Sachen Mitarbeitermotivation schon seit den siebziger Jahren praktiziert werden: für die Teambindung gemeinsam ein Floß bauen, Rätsel lösen et cetera. Es gibt immer eine Narration, eine Herausforderung, die Teams gemeinsam meistern müssen. Und das alles wird in einen Kontext verlagert, der spielerisch ist, da er nicht direkt mit den Aufgaben des Berufs verknüpft ist. In solchen Situationen lernen sich Menschen natürlich viel besser kennen als in stundenlangen Gesprächen.

Fällt Ihnen ein positives Beispiel für ein Unternehmen ein, das etwas Spielerisches in die interne Kommunikation integriert hat?
Adidas hat da mal etwas sehr Schönes gemacht. Dort hatte man herausgefunden, dass dem Großteil der Mitarbeiter die Inhalte der IT Security, eines drögen PDF-Dokuments von mehreren hundert Seiten, nicht bekannt sind. Daraufhin hat man in der internen Kommunikation überlegt, wie man die Bereitschaft der Mitarbeiter steigern kann, sich damit auseinanderzusetzen und die relevanten Hinweise zur Netzwerksicherheit auch wirklich anzuwenden. Also wurden die Inhalte des Handbuchs in ein Spiel gepackt: In einem Browsergame galt es, sich durch einzelne Szenarien zu klicken und Rätsel zu lösen. Flankiert wurde das Rollenspiel mit Sachpreisen. Eine gelungene Aktion.

Lassen Sie uns über die externe Kommunikation sprechen. Ist es für die Gamifizierung egal, ob mein Unternehmen Zahnpasta oder Luxuslimousinen herstellt?
Ja, definitiv, das würde ich nicht an spezifischen Branchen festmachen. Natürlich braucht man ein konkretes Konzept, das auf das Markenbild abgestimmt ist. Ein gutes Beispiel für Gamification in der externen Kommunikation war für mich die Promotion der Autobiografie des New Yorker Musikers Jay Z. Alle Seiten des Buchs waren an bestimmten Schauplätzen in der Stadt ausgehängt, zu finden waren sie mithilfe eines Onlinegames. Die Fans – und auch Journalisten – konnten Informationen an den einzelnen Stationen aufsammeln und die Biografie so gewissermaßen vor Ort miterleben. Mir hat die Verknüpfung von On- und Offline-Elementen gefallen, so lassen sich durch Gamification Inhalte vermitteln.

Lässt sich diese Künstleraktion auf die Pressearbeit von Unternehmen übertragen?
Im Prinzip schon. Da wird ­Gamification bisher aber eher im Marketing als in der PR genutzt. Zum Beispiel für den Sportschuh Nike Air. Mit „Nike Twist“ hat das Unternehmen eine Plattform für Läufer aufgesetzt, auf der die User, ähnlich wie bei Facebook, ein eigenes Profil haben. Wenn sie eine bestimmte Strecke gelaufen sind, werden Route und Kilometerzahl über einen Sensor am Schuh erfasst und automatisch auf dem Portal hochgeladen. Man kann auf der Seite Freunde zum Laufen einladen oder sich mit anderen messen: Männer laufen gegen Frauen, Bonner gegen Kölner. Ein solcher Wettbewerbscharakter motiviert dazu, mehr Sport zu machen, gleichzeitig wird damit die Marke gestärkt. Hier geht es sogar auch in Richtung Produktentwicklung und Kundenbindung, indem ein gemeinsames Forum eingerichtet wird.

Die bisher genannten Beispiele haben alle mit Sport oder Wettkampf zu tun, aber es gibt ja auch ganz andere Konzepte. Die Restaurantkette Pizza Hut hat ein Video veröffentlicht, in dem die Gäste ihre Pizzen auf einem riesigen Touchscreen auf der Tischplatte auswählen und bestellen: Sie können sich digital die Größe des Teigs zurechtziehen und ihn mit Zutaten belegen. Fällt das auch unter Gamification?
Auf jeden Fall, zumal im Anschluss an die Bestellung auch weitere Spiele auf dem Bildschirm angeboten wurden. Und man konnte seine Pizza-Wahl direkt bei Facebook posten. Gamification bedeutet ja auch nicht, dass es sich um ein komplettes Spiel als abgeschlossenes System handeln muss. Es geht darum, normalerweise langweilige Prozesse wie die Bestellung einer Pizza oder das Ausfüllen der Steuererklärung umzugestalten, indem man sie mit spaßigen, spielerischen Elementen anreichert.

Bisher haben alle Beispiele auch mit digitalen Medien zu tun. Ist Gamification ein Phänomen der Digitalisierung?
Gamification ist ein uraltes Prinzip, das natürlich auch weiterhin analog funktioniert. Aber wenn Sie eine große Zahl von Menschen erreichen wollen, geht das zum Beispiel mit ­einer App natürlich einfacher.

Dank neuer Technologien wachsen die Gestaltungs­möglichkeiten rasant. Welche Trends beobachten Sie?
Wenn Sie Gamification digital umsetzen wollen, gibt es verschiedene Instrumente und Touchpoints; eine App, Facebook, eine Webseite. Das Thema Mobile ist extrem wichtig, da fast jeder über ein Smartphone oder Tablet verfügt. Wearables wie Armbänder oder Uhren zählen auch zu diesen Touchpoints. Virtuelle Brillen sind zwar stark im Kommen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch nicht unbedingt notwendig, auf sie abzuzielen. Wenn ich für ein Unternehmen eine Kampagne umsetze, verwende ich besser die Instrumente, die bereits verbreitet sind. Und dann gibt es noch digitale Stelen und Schilder, mit deren Hilfe Sie in der Stadt digitale Touchpoints installieren können.

Digital Signage, zu Deutsch „Digitale Beschilderung“, bedeutet ja eigentlich nur, dass man elektronisch Plakate beziehungsweise Werbung einsetzt. Das hat mit Spiel erst mal noch nicht viel zu tun. Wie lässt sich diese für die Gamification nutzen?
Die Stelen sind interaktiv. Das heißt, Sie können dort alles machen, was auch auf dem Smartphone geht, Inhalte abbilden und den Betrachter einbinden. Er kann etwas hochladen, etwas eingeben oder Fragen beantworten, zum Beispiel als Teil einer Schnitzeljagd.

Ist Gamification eher etwas für große Konzerne mit entsprechenden Kommunikationsabteilungen und Budgets oder kann man sich auch mit einem Zwei-Mann-PR-Team auf dieses Parkett wagen?
Ganz egal, das kann jeder leisten. Und dank der digitalen Medien ist das heute so einfach wie nie zuvor. Es ist auch kein großes Budget erforderlich, sondern nur ein gutes Konzept, das vielleicht einen Blog oder eine Facebook-Seite einbezieht. Und für die technische Entwicklung einer App kann man ja auch einen Programmierer von außen ins Boot holen. Aber bitte nicht einfach auf den Gamification-Zug aufspringen, weil es gerade hip ist! Es braucht einen genauen Plan mit klar abgesteckten Zielen.

Fällt Ihnen ein Beispiel für eine unausgegorene Idee oder gar ein gescheitertes Gamification-­Konzept ein?
Da gibt es viele, gerade was die interne Kommunikation betrifft. Nehmen Sie die so genannten „Leaderboards“, mit denen gerade in den USA Vertriebsmitarbeiter dazu motiviert werden sollen, mehr zu leisten. Der Mitarbeiter, der am meisten verkauft, wird auf dieser Tafel für alle ersichtlich mit einer ­Krone dargestellt. Das ist ein extrem ungüns­tiger Gamification-Einsatz, da hier lediglich die ­Ellenbogenmentalität gesteigert wird und man Teamstrukturen aufbricht. In Deutschland gibt es eher die Tendenz, Teams zu fördern, das ist schlauer. Ebenfalls ungünstig ist es, nur auf eine einzige Spielmechanik zu setzen, wie zum Beispiel das Sammeln von Punkten. ­Besser wäre es, verschiedene Mechaniken zu mischen: Rätsel oder Aufgaben stellen, ­Level erreichen lassen und Geschichten zum Leben erwecken. Das wichtigste Element der Gamification ist sowieso die Narration.

Ist Storytelling dann der erste Schritt zum Spiel?
Auf jeden Fall. Gamification lehrt uns: Die beste Art, Menschen zu bewegen, zu lernen und Informationen aufzunehmen, ist, ihnen eine Geschichte zu erzählen. Und das ist die Kernkompetenz der PR. Bauen Sie eine Geschichte und reichern Sie sie mit Elementen wie Wettkampf oder Teamgeist an, so entsteht Begeisterung.

Generell: Was ist Ihr Rat an Unternehmens­kommunikatoren?
Spielen als etwas Wertvolles zu ­betrachten. Überlegen Sie, ob Sie klassische PR-Instrumente wie die Pressekonferenz, den Tag der Offenen Tür oder die Pressereise mit Journalisten gamifizieren können. Das ist oft mit einfachen Mitteln möglich. Schicken Sie Journalisten auf eine Schnitzeljagd, lassen Sie sie Rätsel lösen, das wird ihnen in Erinnerung bleiben. Wagen Sie etwas – die Menschen reagieren meistens dankbar, wenn sie etwas anderes geboten bekommen als immer ­gleiche Präsentationen und Abläufe.

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Digitalisierung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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