Ein Plädoyer für mehr Klartext

Verbindliche Kommunikation

Fest steht: Viele finden Klartext gut, aber nur wenige reden Klartext. Warum dies so ist, liegt auf der Hand: Klartext kann unangenehm sein. Klartext gefährdet die Komfortzone. Wer Klartext redet, lehnt sich aus dem Fenster. Eine schwierige Situation insbesondere für Pressesprecher: Von Ihnen wird erwartet, dass Sie als Unternehmenssprachrohr Stellung beziehen und gerade auch in kritischen Situationen sagen, was Sache ist. Sie bewegen sich kontinuierlich auf einem  schmalen Grat zwischen sachlicher Information und Imagepflege.

Grundsätzlich glaube ich, dass Klartext ein Unternehmen voranbringt und wettbewerbsfähiger, produktiver und wirtschaftlicher macht. Wieso? Nur wenn offen und vor allem rechtzeitig über Probleme und Fehler gesprochen wird, kann auch schneller und effektiver auf Entwicklungen und Herausforderungen reagiert werden. Daher sollten Unternehmen aus meiner Sicht immer den Weg nach vorne wählen und ihre Unternehmenssprecher nicht nur auf „gut Wetter machen“ programmieren.

Ohne Standpunkt kein Klartext

Ohne Klartext geht es nicht. Und ohne Standpunkt gibt es keinen Klartext. So einfach ist das – im Prinzip. Wer nicht weiß, was er will, und trotzdem etwas sagen soll, der wird nur nebulös fabulieren. Natürlich ist es anstrengend, sich eine Meinung zu bilden und seinen Standpunkt auch zu kommunizieren. Doch Klartext bedeutet genau das: Einen Standpunkt zu haben, bevor man den Mund aufmacht. Und Klartext heißt auch, diesen einmal kommunizierten Standpunkt nicht willkürlich zu ändern.

Verbindlichkeit als Grundlage

Klartext beginnt mit Verbindlichkeit im Alltag. Wer die Verbindlichkeit im Businessalltag schon nicht drauf hat, der braucht sich mit Klartext als Unternehmensstrategie gar nicht erst zu beschäftigen. Verbindlichkeit fängt mit Kleinigkeiten an. Zum Beispiel: „Wir werden nächste Woche Mittwoch eine Stellungnahme herausgeben.“ statt „Sie hören von uns.“. Wer verbindlich sein will, der muss erstens einen Standpunkt haben. Über was sollte er sich mit anderen denn auch ohne Standpunkt einig werden? Verbindlichkeit bedeutet zweitens, zu seinem Wort zu stehen. Einzulösen, was man versprochen hat. Und zwar auch dann, wenn der Wind zwischenzeitlich dreht. Die Amerikaner drücken es weniger kompliziert aus: Walk your talk. Mach das, was du angekündigt hast, und nicht plötzlich und grundlos etwas anderes. Klartext beginnt also mit einem verbindlichem Verhalten im Alltag.

Prinzip 1: Klarheit

Klarheit ist beim Thema Klartext die halbe Miete. Klarheit bedeutet, Dinge analytisch zu betrachten: Was gehört zusammen? Was muss einzeln betrachtet werden? Was ist die Folge wovon? Wer Klarheit will, sollte den Weg von der Meinung zum Standpunkt als offenen Prozess betrachten. Wenn ich Themen getrennt habe, muss ich sie wieder zusammensetzen. Das klingt erst einmal trivial. In der Praxis ist es aber alles andere als trivial. Es gehört sogar zu den wichtigsten Denkprozessen, die Pressesprecher beherrschen müssen. Sie müssen die Themen trennen, sie dann aber wieder für die Öffentlichkeit verständlich clustern: Was hängt womit zusammen? Wo sind die Hebel, an denen das Unternehmen ansetzen kann? Klarheit reduziert außerdem überflüssige Kommunikation: Es bedarf nur weniger ausgefeilter Sätze, um die wesentlichen Informationen an die Presse zu übermitteln. Interessant ist nur das, was wirklich neu und relevant ist. Alle weiteren Hintergrundinformationen haben gute Journalisten bereits vorab recherchiert oder sie fragen explizit nach.

Prinzip 2: Ehrlichkeit

Ehrlichkeit bedeutet nicht, dass wir ungefiltert aussprechen, was uns gerade im Kopf herumspukt. Um ehrlich zu sein, ist es nicht nötig, alles zu sagen, was wir denken, sondern es genügt, wenn das, was wir sagen, dem entspricht, was wir auch denken. Ehrlichkeit bedeutet, so zu reden, dass andere wissen, woran sie sind. Ich darf ihnen nichts vorenthalten, was wichtig ist, um meinen Standpunkt zu verstehen. Wer als Unternehmenssprecher unpräzise Angaben macht, macht sich für die Presse angreifbar und lädt zu kritischen Gegenfragen ein. Schlimmstenfalls kommt er dann am Ende deutlich schlechter weg, weil er unglaubwürdig wirkt. Nehmen wir als Beispiel eine Pressekonferenz anlässlich des Richtfestes einer neuen Produktionsstraße. Wenn es beim Bau Verzögerungen gegeben hat, ist es die Pflicht des Unternehmens, seinen Pressesprecher Klartext reden zu lassen. Sonst steht womöglich später in der Zeitung, dass das Unternehmen versuche, die Verzögerungen zu vertuschen. Warum funktioniert Klartext nicht ohne Ehrlichkeit? Weil nur Ehrlichkeit Vertrauen schafft. Wenn deutlich wird, dass im Unternehmen keine Ehrlichkeit herrscht, dann nimmt das Misstrauen zu und der Respekt geht verloren – dann kann auch der Pressesprecher nicht mehr viel gerade biegen. Wo Misstrauen herrscht, ist Klartext unmöglich.

Prinzip 3: Mut

Mutig zu sein und Klartext zu reden lohnt sich deshalb, weil es Grenzen sprengt, wieder handlungsfähig macht und neue Chancen eröffnet. Wenn es ein Tabuthema gibt, über das keiner offen reden will, dann erzeugt das eine Blockade, eine Art Angststarre. Es schränkt die Handlungsoptionen ein und macht unkreativ. Mut zu Klartext setzt neue Energien frei. Mutig zu sein heißt nicht automatisch angstfrei sein, sondern sich von Angst nicht von dem abhalten zu lassen, was einen weiterbringt.

Prinzip 4: Bindung

Wenn einem ein Thema gleichgültig ist, kann man keinen Klartext reden. Und wenn einem die Beteiligten gleichgültig sind, erst recht nicht. Umgekehrt: Je größer die Bindung an ein Thema, desto größer ist die Bereitschaft, sich dazu zu äußern bis hin zu dem Drang, leidenschaftlich dafür zu kämpfen. Wenn Klartext Bindung voraussetzt, dann setzt Klartext in Unternehmen voraus, dass Mitarbeiter eine Bindung haben. Die Frage ist also: Wie schaffe ich Bindung? Oder auch: Wie stärke ich Bindung? Die Aufgabe besteht darin, Ziele gemeinsam zu gestalten und Mitarbeiter in Veränderungsprozesse mit einzubeziehen – damit sich jeder mitverantwortlich fühlt und den Mund aufmacht. In einer echten Klartextfirma gibt es keine Gleichgültigkeit. Wem etwas auffällt, was für das Unternehmen wichtig ist, der sagt das auch – weil ihm das Unternehmen wichtig ist.

Prinzip 5: Empathie

Wissen ist stets nur die Basis für Erfolg. Da können Sie noch so viel Ahnung haben, Wissen allein nützt Ihnen gar nichts. Entscheidend ist, dass Sie gerade als Pressesprecher die Menschen für sich und Ihre Botschaft gewinnen. Jemand kann einen klaren Standpunkt haben, ehrlich sein, mutig, leidenschaftlich – und trotzdem an seinen Mitmenschen vorbeireden. Klartext ist nicht gleich Klartext. Klartext ist nur dann Klartext, wenn ich damit Leute ins Boot hole. Um zu wissen, wie Sie welches Thema für welche Leute anpacken, brauchen Sie vor allem eines: Empathie. Empathie ist die Fähigkeit, zu erkennen, was in einem anderen Menschen vorgeht, was seine Gedanken, Gefühle und Motive sind. Mehr noch: Empathie ist die Bereitschaft, sich in den anderen hineinzuversetzen, ihn zu verstehen und sich auf ihn einzustellen.

Fazit: Sagen, was Sache ist. Machen, was weiterbringt.

In jedem Unternehmen geht es um Entscheidungen. Klartext ist die Grundlage für jede Entscheidungsfindung. Ohne Klartext bleiben Entscheidungen aus. Klartext bereitet Entscheidungen vor. Wer Klartext zur Strategie macht, sorgt jederzeit für eine tragfähige Basis für Entscheidungen. Bei operativen Themen muss Klartext schnell wirken, bei strategischen Themen geht es oft langsamer. Eine große Gefahr besteht darin, dass Klartext als Störung empfunden wird. Gerade in guten Zeiten braucht es Leute, die alles kritisch hinterfragen. In Klartextfirmen geschieht das, weil alle Mitarbeiter sagen, was Sache ist.

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