Mehrere tausend Mal pro Sekunde wird Wikipedia aufgerufen. Bei Google erscheint der Wikipedia-Eintrag zu einem Thema häufig an erster Stelle. Was in Wikipedia steht, erweckt den Anschein von Gültigkeit, wer darin verzeichnet ist, hat Rang und Namen. Es ist nicht nur für Pressesprecher verlockend, ein wenig nachzuhelfen, um den Eintrag über sich selbst, das eigene Unternehmen oder die eigene Organisation ein wenig aufzuhübschen. Doch was einigen Menschen als selbstverständlich gilt, ist aus Sicht der Öffentlichkeit und nach dem Konzept und den Regeln der Wikipedia nicht immer erlaubt.
„Wikipedia ist ein gemeinschaftliches Projekt mit dem Ziel, eine Enzyklopädie von bestmöglicher Qualität zu schaffen“, heißt es in den Grundprinzipien der Wikipedia. Deren Richtlinien teilen sich auf in sechs Grundprinzipien, darunter „Was Wikipedia nicht ist“ (WWNI), „Neutraler Standpunkt“, „Keine Theoriefindung“ und „Artikel über lebende Personen“. In der Richtlinie „Was Wikipedia nicht ist“ heißt es, es sei „keine Plattform für Werbung“, „kein Forum zur Selbstinszenierung“. „Zwar sollen aktuelle Ereignisse, die für Wikipedia relevant sind, so zügig wie möglich eingearbeitet werden, doch ist dabei der Charakter von Wikipedia als Enzyklopädie zu wahren. Wikipedia ist insbesondere kein Pressespiegel“.
Quellen müssen belegt werden
In der Wikipedia herrscht grundsätzlich Belegpflicht. In vielen Fällen halten sich Autoren jedoch nicht daran. Sie fügen eine Behauptung ein, ohne eine Quelle oder einen Link im Bearbeitungsvermerk anzugeben. Nach den Regeln sollen Artikel eigentlich nur überprüfbare Informationen aus zuverlässigen literarischen Quellen enthalten. Denkbar sind hier wissenschaftliche Publikationen, insbesondere Standardwerke, begutachtete Veröffentlichungen oder amtliche Dokumente.
Der sogenannte neutrale Standpunkt, kurz „NPOV“ für „Neutral Point Of View“, schreibt vor, dass Themen sachlich darzustellen sind und der persönliche Standpunkt des Autors aus Wikipedia-Artikeln herauszuhalten ist. Um dies zu gewährleisten, müssen Wikipedia-Artikel quellenbasiert, ausgewogen und möglichst objektiv verfasst sein, das heißt, eine Thematik soll „weder mit abwertendem noch mit sympathisierendem Unterton“, sondern „aus einer redaktionell neutralen Sicht dargestellt werden“. Kritik darf referiert, aber nicht geübt werden.
Werbung unerwünscht
Ein Interessenkonflikt liegt nach den Wikipedia-Grundprinzipien vor, „wenn ein Autor eine persönliche Beziehung zum Gegenstand eines Artikels hat, die es ihm erschwert, einen neutralen Standpunkt einzunehmen – etwa wenn er über sich selbst schreibt, über einen nahen Verwandten oder einen Freund, über eigene Werke oder über den Verein oder das Unternehmen, dem er angehört“.
Der klassische Fall: Ein Pressesprecher eines Unternehmens schönt dessen Wikipedia-Eintrag. So geschehen bei den Steyler Missionaren, die mit ihrem Account „Steylerpresse“ munter in der Wikipedia herumschrieben und veränderten, was über die Rolle des Ordens in der Flick-Affäre zu lesen war. Das fiel den Nutzern auf. Einer kritisierte auf der Benutzerdiskussionsseite des Steyler-Accounts „Werbesprech“: „Ein Schreibstil, der in einer Imagebroschüre einer Religionsgemeinschaft dazu dienen mag, einen Spannungsbogen zu erzeugen, ist in einem Wiki-Artikel nicht angebracht.“
Im Mai 2012 entschied das Oberlandesgericht München, dass ein Unternehmen in Wikipedia bestimmte Behauptungen zu Weihrauchpräparaten, die in dem gleichnamigen Artikel der deutschsprachigen Wikipedia aufgestellt wurden, nicht mehr wiederholen darf. In dem Urteil heißt es: „Auch wenn dem genannten Internetnutzer bewusst ist, dass Wikipedia-Einträge von jedermann“ verfasst werden könnten, erwarte er „bei Einträgen in einer derartigen Online-Enzyklopädie, zumal unter der Überschrift ‚Rechtslage‘, keine Wirtschaftswerbung“, sondern „neutrale Recherchen Dritter, gegebenenfalls unter zutreffender Darstellung von Streitständen“.
Die Beispiele zeigen, dass es schnell nach hinten losgehen kann, wenn man die Wikipedia-Regeln missachtet. Hinzu kommt, dass alle Änderungen für immer nachgehalten werden und nachlesbar sind. Als Pressesprecher sollte man grundsätzlich lieber seine Finger von der Enzyklopädie lassen. Gleichwohl gibt es Fälle, in denen es wohl nicht verwerflich ist, wenn ein Artikel doch bearbeitet wird. Wenn ein Großkonzern einen neuen Chef bekommt, würde kaum jemand es als Manipulation qualifizieren, wenn in diesem Fall das Unternehmen selbst mit Beleg den Namen des neuen Vorstandsvorsitzenden in Wikipedia einträgt.
Benutzerverifizierung als Vertrauensbeweis
Allein schon wegen des neutralen Standpunkts sollte man jedoch lieber die erfahrenen Wikipedianer ihren Job machen lassen. Es kann allerdings auch Fälle geben, in denen es unzumutbar wäre, nicht einzugreifen. Man stelle sich vor, in einem Wikipedia-Eintrag über eine Person oder ein Unternehmen hat jemand ehrenrührige Behauptungen eingebaut. In einem solchen Fall muss es dem Betroffenen möglich sein, etwas dagegen zu tun – alles andere wäre ungerecht. Doch auch in einem derartigen Fall ist es nicht unbedingt die richtige Wahl, einfach selbst Hand anzulegen.
Der Transparenz dienen auch die verifizierten Accounts, deren Zahl innerhalb von drei Jahren von Hunderten auf Tausende gestiegen ist. Die Benutzerverifizierung soll zudem verhindern, „dass Unbefugte unter dem Namen einer Organisation, eines bekannten Produktes oder einer berühmten Persönlichkeit in Wikipedia auftreten“. Die Verifikation eines Benutzerkontos erfolgt durch das Schicken einer E-Mail von einer Adresse aus, die der Person oder Organisation zugeordnet werden kann.
Über verifizierte Accounts verfügen zum Beispiel Bayer und Fielmann, Sparkassen, Volksbanken, Verbände wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, öffentliche Stellen wie das Bayerische Landesamt für Umwelt, Politiker und Parteien, Medien wie etwa die Taz, aber auch Personen des öffentlichen Lebens wie Daniel Küblböck.
Paid Editing über Dienstleister
Inzwischen gibt es zahlreiche Agenturen, die gegen Bezahlung Wikipedia-Artikel editieren. Was den Standpunkt zu sogenanntem Paid Editing betrifft, gibt es in der Wikipedia-Community drei Lager: die, die bezahltes Schreiben in Ordnung finden, andere, die bezahltes Schreiben billigen, wenn dies im Rahmen der Wikipedia-Regeln abläuft, sowie die strikten Gegner von Paid Editing.
2013 wurde das Wiki-Projekt „Umgang mit bezahltem Schreiben“ ins Leben gerufen. Dieses rät Vertretern von Organisationen auf der Projektseite: „Die Wikipedia wird von ehrenamtlichen Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Das schließt leider nicht aus, dass sich in Artikeln Fehler einschleichen oder Daten veraltet sind. In so einem Fall meldet man sich am besten auf der Diskussionsseite eines Artikels und schildert dort sein Anliegen.“ Dabei sollte man zwei Dinge beachten: Wenn ein Account im Namen einer Organisation oder Person genutzt wird, sollte dies am Account-Namen erkennbar sein. Außerdem rät die Wikipedia: „Accounts, die beruflich im Interessenkonflikt editieren, sollten nicht auch noch private Edits machen – das ist Verschleierung.“
Sollte ein Artikel Beleidigungen, Verleumdungen oder Urheberrechtsverletzungen enthalten, so kann man sich auch an ein Support-Team wenden. „Die Mitarbeiter können diese Inhalte dann zügig entfernen“, heißt es dort. Für komplexere Fragen existiert zudem die „Wikipedia-Redaktion PR-Betreuung“ als Anlaufstelle. In einem offenen Brief des Wikipedia-Projekts zum bezahlten Schreiben heißt es: „Wenn der Versuch des Wikipedia-Editierens schiefgeht, gibt es Chancen, dass das nächste Woche im Spiegel steht – und zwei Minuten später auch in der Wikipedia. Diese schlechte PR macht kein noch so erfolgreiches Wikipedia-Schreiben wieder weg.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Communitys. Das Heft können Sie hier bestellen.