6 Dinge, die wir im digitalen Zeitalter von Bänkelsängern lernen können

Kommentar

Hätte ich vor vierhundert Jahren gelebt, ich glaube, ich wäre Bänkelsänger geworden. Ein schöner Beruf. In der Schänke ein paar Geschichten aufschnappen, einige ­Spekulationen hinzu mischen, am nächsten Morgen ran an die Leier und mit Sprechgesang die ­neuesten Schauermärchen auf dem Marktplatz verkünden. Die stolze Zunft der Bänkelsänger ist lange ausgestorben. Doch wenn wir ganz genau hinsehen, stellen wir fest: ihre Arbeitsweise ist ­heute ­aktueller denn je.

1. Der Bänkelsänger wartete nicht darauf, dass jemand auf ihn zukam. Er ging dorthin, wo die Menschen waren und brachte seine News auf dem Marktplatz unters Volk. Das haben auch nahezu alle Kommunikationsabteilungen begriffen, deshalb gibt es auch so gut wie kein Unternehmen ohne Facebook- oder Twitter-Account mehr. Doch damit ist es nicht getan.

2. Der Bänkelsänger benötigte täglich neue Geschichten, ansonsten schmissen die gnadenlosen Zuhörer Eier und Dreck auf ihn. Das hat sich heute nur geringfügig geändert: Wer seinen Facebook-Account oder seinen Corporate-Blog nicht regelmäßig pflegt und mit kreativem Content füllt, bekommt zwar keine Eier an den Kopf – aber er verliert den Kontakt zu seinen Kunden. Das eigentliche Ziel, Interessierte zu erreichen, Multiplikatoren zu aktivieren und schlussendlich neue Kunden zu gewinnen, wird damit ganz sicher nicht erreicht.

3. Schon im Mittelalter wusste man: das pure Erzählen ist langweilig. Der Bänkelsänger untermalte seine Geschichte multimedial mit Musik und Zeichnungen. So wurden seine Nachrichten emotional und eindringlich weiter verbreitet. Eigentlich ganz einfach, trotzdem finde ich auf Anhieb etliche Facebook-Posts von Unternehmen, die nicht einmal diese simplen Regeln berücksichtigen. Belanglose Produktbilder und austauschbare Werbetexte haben in der Unternehmenskommunikation nichts verloren, dennoch tauchen sie täglich auf. Auch die Annahme, wichtige Unternehmens-News müssten nüchtern und schmucklos verbreitet werden, ist nach wie vor weit verbreitet. Aber liken Sie auf Facebook langweilige Beiträge? Wohl kaum.

4. Der Bänkelsänger nutzte bereits das Storytelling. Er reihte seine gezeichneten Bilder nicht einfach aneinander, sondern stellte sie durcheinander auf oder drehte sie um. Mit dem Zeigestock sorgte er für überraschende Wendungen in der visuellen Begleitung. Ein Blick in mein E-Mail-Fach reicht und ich finde Pressemitteilungen entweder ohne oder mit unbrauchbarem Bild-Material. Das hätte sich der Bänkelsänger nicht getraut.

5. Auf Zwischenrufe des Publikums reagierte der Bänkelsänger schlagfertig und mit klaren Kontern, sehr zur Begeisterung der Umstehenden. Interaktion mit dem Kunden nennt man das heute. Ein positives (und häufig zitiertes) Beispiel ist der Facebook-Auftritt der Bundesregierung. Egal, was man von der Politik der Regierung hält, den Umgang mit sozialen Medien beherrscht die Kommunikationsabteilung perfekt. Keine Angst vor Trollen und Pöblern, sondern herrlich leichtfüßige Konter, für die es sich lohnt, immer wieder die Kommentar-Spalten nachzulesen.

6. Der Bänkelsänger erzählte spannend und kontrastreich, er vermied Fachvokabular oder komplizierte Schachtelsätze. Er wusste: Wenn seine Zuhörer nicht folgen können, dann gehen sie. Auch daran hat sich bis heute nichts geändert. Trotzdem kapitulieren die Kommunikatoren häufig vor komplizierten Zusammenhängen: „Das kann man nicht anders erklären.“ Ich behaupte: Jeder Sachverhalt, egal wie kompliziert, lässt sich übersetzen, ohne dabei an Seriosität zu verlieren (hier eine kleine Einschränkung im Bänkelsänger-Vergleich: ihre Geschichten waren natürlich nicht immer seriös. Damals konnte ja noch keiner den Gegen-Check machen, was dazu einlud, die Fakten zu verdrehen).

Und nun? Ganz einfach. Stellen Sie sich vor, nach einem gigantischen Stromausfall seien alle Server lahmgelegt und Sie müssten als Bänkelsänger auf dem Marktplatz Unternehmens-News verkünden. Angst? Nicht den richtigen Content dafür? Tja, dann ist die Nachricht möglicherweise noch nicht zur Geschichte formatiert und Sie sollten überlegen, welche Zutaten Sie benötigen, um das Publikum zu begeistern. Denn wer will schon Eier an den Kopf bekommen?

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Digitalisierung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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