Man stelle sich folgende Situation einmal bildlich vor: Der Sprecher eines Konzerns redet mit einem Journalisten und drängt darauf, die kritischen Aspekte zu seinem Unternehmen auch wirklich ausführlich zu beleuchten. Und nein, dem Unternehmen würde es nicht um positive, sondern um möglichst ausgewogene Berichterstattung gehen. Eine bezahlte Medienkooperation, neudeutsch Native Advertising, würde man aus ethischen Gründen überhaupt und grundsätzlich ablehnen. Absurd?
Nicht ganz, wenn es nach dem Arbeitskreis Corporate Compliance der deutschen Wirtschaft geht. Denn der hat vor kurzem den „Kodex für die Medienarbeit von Unternehmen“ verabschiedet. Als Initiatoren listet das „Manager Magazin“ 02/2015 zwölf Dax-Konzerne auf. Das Erstaunliche: Laut dem Branchenblatt „DossierB“ – üblicherweise über die Stimmung in der Szene recht gut informiert – will kaum eines der genannten Unternehmen „bei der Geburt des sogenannten Kodex´ geholfen haben“.
Native Advertising: Das Ende der unabhängigen Berichterstattung?
Nach dessen Lesart lässt sich die Situation der Medien wohl am ehesten mit „geknechtet, geknebelt und belogen“ umschreiben. Nach der Lektüre könnte man beinahe annehmen, journalistische Arbeit basiere hauptsächlich auf der Reproduktion liebedienerischer Geschichten aus der Industrie. Und Medien brächten ununterbrochen ungefilterte Werbebotschaften unters Volk, stets die Kommunikationschefs mit dem Budgetknüppel im Nacken. Parallel drohe mit Native Advertising endgültig das Ende der unabhängigen Berichterstattung. Soweit, so realitätsfern.
Dass es Auswüchse im Verhältnis zwischen Medien und Industrie gibt, ist unbestritten. Die Initiative Netzwerk Recherche hat 2013 eine Studie veröffentlicht, die Gefälligkeiten von Unternehmen an Journalisten unter die Lupe nimmt. Darin geht es unter anderem um großzügige Angebote der Automobilbranche oder Luxuspressereisen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und fast jeder Kommunikationsprofi kennt Geschichten, in denen Unternehmen bei kritischen Artikeln wahlweise mit Anzeigenentzug oder rechtlichen Schritten drohten.
Nichts spricht also gegen eine Selbstverpflichtung der Industrie und vordergründig scheint der Fall klar. Das Papier beschreibt den Rahmen, in dem Medienarbeiter und Marketingexperten sich bewegen sollten, wenn sie mit der Presse zu tun haben. Die Selbstverpflichtung will die Unabhängigkeit der Berichterstattung bewahren.
Die Selbstverpflichtung wird zur Fremdverpflichtung
Dennoch wird man ein gewisses Störgefühl einfach nicht los: Konzerne, also die Macher von Interessen geleiteter Kommunikation, geben Medienunternehmen Empfehlungen zur unabhängigen Berichterstattung. Hinzu kommt, dass der Vorwurf der Käuflichkeit von Medien mehr oder weniger unausgesprochen im Raum steht. Die Selbstverpflichtung wird so zur Fremdverpflichtung. Schon die Präambel des Kodex´ hebt auf die besondere Verantwortung der Journalisten selbst ab. Grundgesetz, Europäische Menschenrechtskonvention, Presse- und Meinungsfreiheit – darunter machen es die Verfasser nicht. Und der geneigte Leser? Denkt: „Was ist eigentlich mit den bestehenden Landesmediengesetzen und dem Pressekodex?“ Nicht nur aus Sicht der Industrie reichen diese offensichtlich nicht mehr aus. Der Deutsche Presserat jedenfalls hat die Initiative als „sinnvolle Ergänzung“ begrüßt.
Richtig oder falsch, irgendwie bleibt es ein skurriles Ansinnen: Die Macher von möglichst rosaroter Kommunikation wollen als eine Art weiße Ritter die Medien vor sich selbst retten. Der bittere Beigeschmack bleibt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Liebe – Wie viel Passion braucht die Profession?. Das Heft können Sie hier bestellen.