Herr Ainetter, Sie haben im Bundesverkehrsministerium einen Newsroom aufgebaut: das Neuigkeitenzimmer. Inwieweit hat die Social-Media-Kommunikation des Ministeriums davon profitiert?
Ainetter: Als ich in dieses Ministerium gekommen bin, war die Pressestelle durch zwei Eisentüren getrennt von den Social-Media-Leuten. Die waren sich zwar nicht unsympathisch, aber die einen wussten nicht, was die anderen tun. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, das Neuigkeitenzimmer zu gründen. Es war der erste Newsroom in einem Bundesministerium. Der Minister hat das zu 100 Prozent unterstützt. Die Leute, die früher die Presse gemacht haben, denken jetzt auch in Richtung Social Media. Umgekehrt ist es dasselbe. Insofern waren wir ein Vorbild für andere Ministerien.
Sie sprechen andere Ministerien an. Warum sollten sie einen Newsroom einrichten?
In spätestens drei Jahren wird es kein Bundesministerium mehr geben, das keinen Newsroom hat. Es geht nicht mehr anders. Vor der Wahl hat mich geschmerzt, wie das Community Management in den Bundesministerien läuft. Ich bin schockiert, wie wenig die Bundesministerien auf Bürgeranfragen antworten. Da sind manche wochen- oder monatelang auf Tauchstation gegangen. Ich glaube, dass wir jetzt in der Zeit leben, in der Bürger moralisch ein Recht haben, eine Antwort zu bekommen. Community Management ist das große Thema unserer Zeit. Das geht mit einem Newsroom effektiver und schneller.
Behörden neigen dazu, klassische Medien und Presseanfragen zu priorisieren. Wie sollen sich Behörden aufstellen, damit das Community Management nicht zu kurz kommt?
Es gibt eine einfache Regel. Sie brauchen gleich viele Stunden und Stellen für das Social-Media-Team und die Pressesprecher. In der Wahrnehmung sind die klassischen Sprecher in der Hierarchie höher angesiedelt. Wenn Sitzungen stattfinden, sind sehr oft nur die Pressesprecher dabei. Das Social-Media-Team bekommt dann eine Pressemitteilung mit der Ansage, daraus einen Tweet machen zu müssen, aber dass kein Wort gekürzt werden darf. Die Ungleichheit zwischen Pressesprechern und Social-Media-Managern ist eine Grundkrankheit von Behörden. Social-Media-Verantwortliche sind genauso Sprecher. Sie vertreten auch ihre Behörde nach außen. Die Behördenleitung muss für Gleichstellung sorgen.
Das Buch „Social Media für Behörden“ ist Ende September dieses Jahres erschienen. Wolfgang Ainetter und Christiane Germann beschreiben auf mehr als 400 Seiten, wie sich Behörden in Social Media aufstellen sollen und was es zu beachten gilt. Das Buch enthält zahlreiche Beispiele für gelungene Social-Media-Kommunikation, aber auch für verunglückte Auftritte.
Konzerne haben deutlich größere Kommunikationsabteilungen als Ministerien. Auf Länder- und Kommunenebene ist die Personalknappheit noch extremer. Wie sollen sich mit so wenig Ressourcen Social Media kompetent bedienen lassen?
Ich hatte im Neuigkeitenzimmer 14 Leute; die Hälfte Pressesprecher, die andere Hälfte Social Media. Ich erwarte gar nicht, dass Behörden so viele Personen in der Kommunikation haben wie Konzerne. Es muss aber machbar sein, jedem Bürger auf seine Fragen eine Antwort geben zu können. Moderne Bürgerkommunikation funktioniert über Direct Messages und klare Antworten und nicht durch eine lieblose Verlinkung.
Ist Ihr Eindruck, dass die Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus Behörden in den Sozialen Netzwerken selbst aktiver werden wollen?
Es kommt eine neue Generation. Es gibt mittlerweile in Behörden viele Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, die sehen, dass es nicht mehr anders geht. Wer auf Social Media nicht existent ist, der verliert Millionen von Bürgern. Kaum jemand von den unter 40-Jährigen guckt mehr lineares Fernsehen. Wenn sich die Medienlandschaft so verändert, muss sich auch die Behördenkommunikation verändern.
Wie verbreitet ist die Einstellung, Social-Media-Kommunikation bestehe aus ein paar Postings und es reiche, hin und wieder in die Kommentare zu schauen?
Es besteht der Eindruck, Twitter-Posts könne man nebenbei machen. Innerhalb einer Minute, weil der Text so kurz ist. Dieses Grundverständnis ist noch ausgeprägt bei denjenigen, die von Social Media keine Ahnung haben. Die wissen nicht, dass es beim Posting auf jedes Wort und jedes Bild ankommt.
Bei geringen Ressourcen: Wie soll eine Behörde ihre Zeit einteilen?
Der Idealzustand wäre, dass 30 Prozent der Arbeitszeit für das Erstellen von Beiträgen verwendet werden. Weitere 30 Prozent für Community Management. Für die interne Kommunikation sollte man 20 Prozent einplanen, jeweils fünf Prozent für Strategie und Weiterentwicklung, Organisation und Rechtliches, Lernen und Fortbildung sowie Projekte. Aber Community Management first. Die wichtigste Aufgabe einer Behörde ist, Fragen zu beantworten und für die Bürger da zu sein. Meist ist es so, dass für Content 60 bis 70 Prozent eingeplant sind und für Community Management etwa fünf Prozent. Beides muss gleich wichtig sein.
Welche Themen laufen auf Social Media gut? Was muss eine Behörde vermeiden?
Das schreckliche Amtsdeutsch! Da kommen Wörter wie „Kompetenzzentrum“, „Handlungsempfehlung“ und „Dialogbereitschaft“ vor. Also Wörter, bei denen man sich denkt: „Freunde, bitte sprecht normal.“ Mit diesen Phrasen erreichen Sie niemanden mehr. Horst Seehofer ist mein Lieblingsnegativbeispiel in unserem Buch. Er steht mit seinen acht Staatssekretären – alles Männer – vor einer grauen Wand. Alle haben graue Anzüge an. Seehofer hätte auf sein Social-Media-Team hören müssen. Dann wäre dieses Bild niemals publiziert worden. Solche Dinge findet man häufig. Es gibt aber auch kreative Leute wie das Social-Media-Team des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Der hat es mit 77 Jahren geschafft, ein Social-Media-Star zu werden, ohne sich zu verbiegen. Bei ihm merkt man, dass das Verhältnis zwischen Chef und Team total eng ist.
Wie sieht es mit Bewegtbild aus? Sind dafür die Ressourcen in Behörden zu knapp?
Es gibt Einzelkämpfer, bei denen ich verstehe, dass die dafür keine Ressourcen haben. Es fehlt in Behörden oft das Verständnis, dass es heute Spezialisten für Bewegtbild braucht. Man benötigt im Idealfall eine Grafikerin und einen Videoprofi. Wenn man sich Grafiken von externen Agenturen bestellt, dauert das meist zu lange. Da sollte man sich unabhängig machen.
Stichwort Einzelkämpfer. Wenn man in der Kommunikation einer Behörde allein ist, auf Social Media gerne aktiver wäre, es aber zeitlich nicht schafft – wie geht man dann vor?
Der erste Schritt ist, die Zielgruppe zu analysieren und zu schauen, auf welchem Kanal man diese am besten erreicht. Es ist besser, sich auf einen Kanal zu konzentrieren und diesen mit Herzblut zu begleiten als vier Kanäle nur halbherzig. Das bringt gar nichts.
Ein Problem: Man muss dauerhaft liefern. Wie kann eine Behörde in Social Media hohe Qualität und Kreativität über Jahre sicherstellen?
Für Kreativität braucht man Zeit. Wenn Sie aber in der Mühle sind und von einer Aufgabe zur nächsten hetzen, haben Sie keine Kreativität. Ein kleines Team braucht vor allem eine gute Idee. Diese gilt es professionell umzusetzen. Das ist wichtiger, als zehn langweilige Meet-and-Greet-Tweets abzusetzen à la Bürgermeister XY trifft Landrätin Z inklusive Händeschütteln. Die Zeit, die man in solche Tweets investiert, kann man sich sparen. Das ist wertloser Content.
Haben Sie auch ein positives Beispiel?
Rene Heidergott ist ein Polizeioberkommissar aus Niedersachsen. Der nimmt mit seinem Handy Videos auf. Diese sind nicht gut gefilmt und recht simpel gemacht. Aber er spielt dabei humorvoll einen Trickbetrug nach. Genial. Sie brauchen gar nicht viel Geld. Manchmal reicht ein Handyvideo mit einer kreativen Idee. Deshalb mein Appell an alle Behörden: Verzichtet auf Meet-and-Greet-Tweets und Nullbotschaften, bei denen es nur um Selbstdarstellung geht!
Macht es denn Sinn, in Behörden Corporate Influencer aufzubauen?
Ja. Das Land Schleswig-Holstein betreibt zum Beispiel „Moin Karriere“. Azubis erzählen auf Instagram über ihren Tag. Die nehmen die Leute mit, zeigen Videos von ihrem Arbeitsplatz, was sie gerade machen, was sie dort lernen und so weiter. Viele Behörden haben das Problem, Nachwuchs zu bekommen. Wenn man das Wort „Behörde“ hört, ist es für viele nicht so anziehend. Deswegen ist es aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, coole junge Leute zu finden, indem sie Corporate Influencer aufbauen. Die funktionieren aber nur, wenn sie so reden, wie sie wirklich sind, und nicht in Amtsdeutsch kommunizieren.
Sie schlüpfen mit Ihrem Buch nun auch in die Beraterrolle. Wenn Sie in einer Behörde eine Präsentation halten müssten, was wären Ihre Hauptargumente, warum man auf Social Media sein muss?
In den vergangenen 30 Jahren ist die Gesamtauflage der deutschen Tages- und Wochenzeitungen von 28 Millionen auf etwa 15 Millionen geschrumpft. Gleichzeitig sind 43 Millionen Menschen in Deutschland in den Sozialen Medien unterwegs. Allein diese Zahl muss jeder Behörde zeigen: Wenn man nicht auf Social Media kommuniziert, werden Millionen von Menschen nicht mehr erreicht. Wer auf Social Media nicht präsent ist, ist für die Bürger nicht mehr existent.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Technologie. Das Heft können Sie hier bestellen.