Data Reputation: Künstliche Intelligenz wird zum Stakeholder

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Er kann es selbst kaum glauben: Sichtlich verblüfft berichtet der Journalist und frühere Gerichtsreporter Martin Bernklau im SWR über seine letzte Suchanfrage an Copilot, den neuen KI-Assistenten von Microsoft. Bernklau hatte seine Online-Reputation überprüfen wollen, und das Ergebnis ist so absurd wie beunruhigend: Die Künstliche Intelligenz beschreibt ihn als verurteilten Sexualstraftäter, Witwenbetrüger und Ausbrecher aus der Psychiatrie. Offensichtlich hatte die KI alte Prozessberichte des Reporters mit seiner Identität verschmolzen. Und nicht nur das, sie gibt auch bereitwillig Auskunft über die genaue Adresse Bernklaus, seinen Familienstand und andere sensible Daten. Abschließend fällt Copilot ein harsches Urteil: „Es ist bedauerlich, dass jemand mit einer solchen kriminellen Vergangenheit eine Familie hat.“

Für die persönliche Reputation ist sowas normalerweise eine Katastrophe. Bernklau hatte Glück – die Darstellung war bizarr und als Journalist konnte er die Situation durch seine Vorwärtsverteidigung schnell unter Kontrolle bringen. Kommunikationsprofis sollten sich diesen Fall trotzdem zu Herzen nehmen. Denn was wäre, wenn die Halluzinationen subtiler sind – also weniger abenteuerlich? Wenn der CEO des eigenen Unternehmens angeblich Ärger mit dem Gesetz hat oder das Misstrauen des Aufsichtsrats? Wenn die KI über Problemen mit der Zahlungsfähigkeit halluziniert oder der Aktienkurs heruntergeschrieben wird? Künstliche Intelligenzen werden in Zukunft ganz erheblich über die Reputation von Personen oder Unternehmen entscheiden. Es wird höchste Zeit, dass wir uns darauf vorbereiten.

Der wichtigste Grund dafür ist ein sich allmählich veränderndes Suchverhalten im Netz. Eine Gartner-Studie prognostiziert, dass Suchmaschinen bis 2026 etwa ein Viertel ihres Marktanteils verlieren werden – zugunsten von KI-Chatbots wie ChatGPT oder virtuellen Assistenten wie Copilot. Und warum auch nicht? Eine unmittelbar generierte Antwort ist viel praktischer, als sich durch eine Handvoll eklektischer Webseiten zu klicken.

Die professionelle Kommunikation wird von dieser Entwicklung allerdings vor eine neue Herausforderung gestellt. Das Suchverhalten hat schon immer großen Einfluss auf die Reputation von Unternehmen, Marken oder Personen. Klare Sache: Wenn eine Online-Suche unvorteilhafte Informationen zutage fördert, leidet das Ansehen. Die Unternehmenskommunikation nutzt deshalb Disziplinen wie SEO, Public Relations und Content Marketing, um die öffentliche Wahrnehmung auf vorteilhafte Inhalte zu lenken und die eigene Reputation zu schützen. So weit, so etabliert.

Künstliche Intelligenz hat auch hier die Karten neu gemischt. Die Large Language Models (LLMs) hinter den Chatbots oder Assistenten können veraltete, verzerrte oder falsche Informationen als vermeintliche Wahrheiten ausgeben. Die Frage lautet also:  Wie können wir das Image der uns anbefohlenen Personen oder Unternehmen schützen? Wie gestalten wir unsere Datenreputation?

Der erste Schritt ist wie bei der klassischen Reputationsarbeit ein umfassendes Monitoring. Neben Pressespiegel, Community Management und Search Listening müssen Unternehmen in Zukunft auch „Data Listening“ betreiben. Sie müssen die großen, für die eigenen Zielgruppen relevanten LLMs überwachen und ihre dortige Reputation beobachten, um frühzeitig auf Falschmeldungen reagieren zu können.

Mit einem zunehmenden Verständnis von LLMs können Unternehmen ihre Datenreputation dann auch irgendwann gestalten, also negative Darstellungen oder Falschinformationen wie bei Bernklau minimieren und gezielt positive Inhalte fördern. Irgendwann – denn derzeit gibt es noch kein langfristig erprobtes Werkzeug, um LLMs gezielt zu beeinflussen. Wir sind an einem ähnlichen Punkt wie im ersten Jahr der Google-Suche. Ohne fundiertes SEO, dafür mit einer Menge herumgereichter Tipps und Tricks. Das Optimieren von Generativer KI (GAO) steckt noch in den Kinderschuhen und wird, wenn überhaupt vom Marketing beobachtet, vor allem wegen Brand Awareness und Sales-Impulsen.

Das ist sicher nicht verkehrt, aber hier sollte auch die Kommunikationsabteilung aktiv werden. Es ist an der Zeit für eine neue Disziplin: Data Reputation Management, als Erweiterung der bereits etablierten Reputationsarbeit. LLM-Monitoring und GAO müssen in den Aufgabenbereich der Unternehmenskommunikation integriert werden. Das ist kein Job fürs Marketing: Wer die Reputation überwacht, muss auch die LLMs ins Visier nehmen.

Data Reputation Management funktioniert dann als Doppelstrategie. Kurzfristig muss die wahrheitsgemäße Wiedergabe von Content aus dem Netz gewährleistet werden, wenn LLMs bei einer Suchanfrage die Browsing-Funktion verwenden. Langfristig müssen Unternehmen die korrekte Darstellung in den Trainingsdaten sicherstellen.

Das gelingt, wenn Unternehmen die großen Sprachmodelle wie Stakeholder behandeln. Mit einem strategischen Messaging, mit gezielter Content-Arbeit und einer regelmäßigen Bedürfniskontrolle. Die Zeit wird zeigen, wie genau sich diese Arbeit im Tagesgeschäft gestaltet. Kommunikationsprofis müssen aber jetzt bereits die Grundlagen dafür schaffen, um die Deutungshoheit über ihre digitalen Identitäten zu behalten. Unternehmen müssen ihre Reputation in der Datensphäre strategisch planen, kontrollieren und formen können. Nur so können sie durch eigene Kraft verhindern, dass Halluzinationen oder Falschinformationen ihnen schaden. Denn eins ist sicher: Niemand will einen Witwenbetrüger als CEO.

 

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