Nicht zu viel versprechen

Nachhaltigkeitskommunikation

Seit Monaten beobachten wir ein wachsendes Gefühl der Desorientierung bei Unternehmen – auch bei solchen, die sich bereits intensiv mit ESG-Berichterstattung beschäftigen. Der Eindruck, dass die EU ihre Nachhaltigkeitsagenda zurückdreht, verstellt den Blick darauf, was weiterhin gilt, was neu kommt und was sich tatsächlich verschoben hat. Die Annahme, dass man nun eigentlich gar nichts mehr tun muss, ist falsch und gefährlich. Vielmehr müssen sich Unternehmen und Verantwortliche jetzt die Frage stellen: Was darf ich zwischen Green Deal, CSRD, Omnibus-Prozessen und Green Claims Directive eigentlich noch sagen und tun? Und was besser nicht?

In der Unternehmenskommunikation wird diese Unsicherheit besonders spürbar. Hier manifestiert sich die regulatorische Komplexität in Formulierungen, Claims, Storylines – und zunehmend auch in juristisch relevanten Begriffen. Was früher als kreative Zuspitzung durchging, kann heute einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht, Verbraucherschutz oder regulatorische Berichtspflichten darstellen. Die Folge: Unternehmen werden zunehmend einsilbiger. Das Schlagwort dafür lautet „Greenhushing“. Frei nach dem Motto: Wenn ich nix sage, kann mir auch niemand einen Strick daraus drehen.

Problematisch ist aber auch das andere Extrem – Greenwashing. War es gestern nur ein PR-Problem, ist es heute ein Compliance-Risiko. Wer Nachhaltigkeit kommuniziert, muss auch Nachhaltigkeit liefern. Er steht nicht mehr nur im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern auch im Visier des Gesetzgebers.

Diese paradoxe Situation ist das Ergebnis einer komplexen Gemengelage aus regulatorischer Dichte, rechtlicher Unsicherheit und reputationsbezogenen Risiken.

CSRD, ESRS, Omnibus

In der öffentlichen Debatte steht derzeit insbesondere die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) im Mittelpunkt. Diese EU-Richtlinie verpflichtet große Unternehmen, ab 2025 einen standardisierten Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen, der auf einer doppelten Wesentlichkeitsanalyse basiert und die Risiken sowie Auswirkungen unternehmerischen Handelns entlang der ESG-Dimensionen offenlegt. Die Berichterstattung erfolgt auf Grundlage der European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die direkt in den Lagebericht des Unternehmens eingebettet und von externen Prüfern testiert werden müssen. Damit werden nichtfinanzielle Informationen faktisch auf das gleiche Niveau gehoben wie klassische Finanzkennzahlen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der regulatorische Rahmen in permanenter Bewegung befindet. Die sogenannte Omnibus-Initiative der EU hat bereits mehrfach zu kurzfristigen Änderungen an Anwendungsbereich, Schwellenwerten und Zeitplänen geführt. Die Unsicherheit, welche Anforderungen wann gelten und welche Unternehmen nun tatsächlich betroffen sind, ist hoch.

Weniger im Fokus, aber nicht weniger relevant war die Green Claims Directive der EU. Die Europäische Kommission hat den Vorschlag kürzlich zurückgezogen und damit einer absehbaren Blockade im Parlament vorgebeugt. Ziel der Richtlinie war es, irreführende Umweltwerbung zu unterbinden. Unternehmen, die freiwillige Umweltaussagen – sogenannte „Green Claims“ – treffen, hätten künftig nachweisen müssen, dass diese wissenschaftlich fundiert, nachvollziehbar und regelmäßig überprüft sind. Vage Begriffe wie „klimaneutral“, „umweltfreundlich“ oder „nachhaltig produziert“ sollten ohne belastbare Belege nicht mehr verwendet werden dürfen. Auch wie diese Aussagen kommuniziert werden – etwa im Marketing, auf Verpackungen oder gegenüber Investoren – sollte einem engen regulatorischen Rahmen unterliegen. Das sei zu eng gefasst und zu aufwendig, monierten Unternehmen und Verbände.

Rechtliche Risiken

Besonders kritisch wurde gesehen, dass die geplanten Vorgaben nicht nur für kapitalmarktorientierte Großunternehmen gelten sollten, sondern für jedes Unternehmen, das öffentlich Nachhaltigkeitsversprechen macht – unabhängig von Größe oder Branche. Auch Mittelständler, die sich bislang freiwillig engagierten und Nachhaltigkeit zur Differenzierung nutzten, wären betroffen gewesen. Das hätte bedeutet: Wer auf seiner Website von „nachhaltigen Produkten“ spricht, ohne über eine strukturierte Nachhaltigkeitsstrategie und einen belastbaren Berichtsrahmen zu verfügen, hätte künftig ein erhebliches rechtliches und reputationsbezogenes Risiko getragen.

Mit dem Rückzug des Vorschlags ist das Risiko von Greenwashing keineswegs vom Tisch. Die Notwendigkeit verbindlicher Regeln war gerade aus der Realität eines zunehmend unübersichtlichen Kommunikationsraums abgeleitet worden – einem Umfeld, das sich durchaus als „Wildwest“ beschreiben lässt. Der politische Rückzieher schafft keine Klarheit, sondern neue Unsicherheit. Unternehmen, die Nachhaltigkeit weiterhin kommunizieren möchten, sollten sich deshalb umso mehr an etablierten Standards orientieren und freiwillige Transparenz zeigen – nicht aus regulatorischem Zwang, sondern zur Stärkung ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und Vermeidung von rechtlichen Risiken.

Freiwillige Rahmenwerke wie GRI, SASB oder TCFD haben bereits in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen – vor allem aus Sicht institutioneller Investoren. Während früher die CSR-Abteilung für den Nachhaltigkeitsbericht zuständig war, sind heute Risk und Finance involviert, weil Investoren ESG-Daten als Indikator für die Zukunftsfähigkeit eines Geschäftsmodells werten. Vor allem im angelsächsischen Raum wird Nachhaltigkeit vorrangig als Risikodimension und weniger als moralisches Bekenntnis begriffen. Wer hier mit vagen oder widersprüchlichen Aussagen auffällt, riskiert nicht nur seinen Ruf, sondern auch den Zugang zu Kapital.


Lesen Sie auch:


Die Angst, in der ESG-Kommunikation juristische oder mediale Fehler zu machen, führt inzwischen dazu, dass selbst ambitionierte Unternehmen Kommunikationsverzicht als sicherste Strategie betrachten. So bleiben riesige Potenziale ungenutzt. Denn wer fundiert berichten kann, gewinnt an Glaubwürdigkeit, differenziert sich vom Wettbewerb und schafft Vertrauen bei Stakeholdern.

Für Kommunikatorinnen und Kommunikatoren bedeutet dies: ESG-Kommunikation lässt sich nicht mehr losgelöst von Strategie, Finanzen und Recht betreiben. Die Verwendung von Begriffen wie „nachhaltig“, „klimaneutral“ oder „umweltfreundlich“ ist kein sprachliches Detail mehr, sondern ein regulatorisch riskanter Akt. Selbst mit abgestimmter Kommunikation kann es zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommen – wie das sogenannte „Katjes-Urteil“ zeigt, in dem ein Gericht der bekannten Süßwarenmarke untersagte, sich ohne belegbare Grundlage als „klimaneutral“ zu bewerben.

Wer über Nachhaltigkeit sprechen will, braucht belastbare Daten, definierte Prozesse, dokumentierte Ziele – und idealerweise eine verankerte Governance. Wer nicht berichten muss, sollte es dennoch tun. Denn ein freiwillig erstellter Bericht, abgestimmt mit den gängigen Standards und transparent kommuniziert, eröffnet nicht nur Spielräume in der Kommunikation, sondern zeigt auch regulatorischer Willkür Grenzen auf. Nicht zuletzt entstehen so Dialogräume, in denen Unternehmen nicht als Adressaten von Erwartungen, sondern als aktive Gestalter der Transformation wahrgenommen werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Nachhaltig. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel